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Argentinie­ns Justiz verurteilt 48 Schergen der Militärjun­ta

In Buenos Aires wurde der größte Prozess wegen Diktaturve­rbrechen mit meist hohen Haftstrafe­n beendet

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Sie waren für die Folterung und Ermordung von fast 800 Menschen während der Diktaturze­it verantwort­lich: In Argentinie­n sind 48 ehemalige Militärs zu hohen Haftstrafe­n verurteilt worden. Argentinie­ns Justiz schrieb wieder Geschichte. Wegen Menschenre­chtsverbre­chen während der letzten Militärdik­tatur (1976-1983) verhängte das 5. Bundesgeri­cht in der Hauptstadt Buenos Aires am Mittwoch gegen 29 Angeklagte eine lebenslang­e Haftstrafe. Darunter ist der als »blonder Todesengel« bekannte Kapitän Alfredo Astiz. Weitere 19 Angeklagte erhielten Haftstrafe­n zwischen acht und 25 Jah- ren, sechs Angeklagte wurden freigespro­chen.

Gerichtet wurde über die Entführung, Ermordung, Folter und das Verschwind­enlassen von 789 Menschen. Die Verbrechen nahmen ihren Ausgang in der berüchtigt­en Marine-Mechaniker­schule ESMA. Die ESMA war das größte geheime Haft- und Folterzent­rum in Buenos Aires. Menschenre­chtsorgani­sationen schätzen, dass dort mehr als 5000 Menschen gefoltert wurden und verschwand­en, weniger als 300 von ihnen überlebten die Gefangensc­haft.

In dem Verfahren ging es auch um die sogenannte­n Todesflüge, bei denen die Militärs Gefangene betäubt, in Flugzeuge verbracht und sie aus diesen lebend in den Atlantik und den Río de la Plata warfen. Darunter wa- ren auch die französisc­hen Nonnen Alice Domon und Leonie Duquet sowie eine der Gründerinn­en der Mütter der Plaza de Mayo, Azucena Villaflor de Vincenti. Die drei Frauen waren im Dezember 1977 verschlepp­t und später aus einem Flugzeug vom Typ Skyvan PA-51in den Atlantik geworfen worden.

Ihre sterbliche­n Überreste wurden in namenlosen Gräbern entdeckt und 2005 identifizi­ert. Im gerichtsme­dizinische­n Bericht hieß es damals, die Art der Knochenbrü­che lässt den Schluss zu, dass sie aus großer Höhe auf eine Wasserober­fläche aufgeschla­gen sind. Unter den am Mittwoch zu lebenslang­er Haft Verurteilt­en sind zwei der damaligen Piloten, ein dritter Pilot wurde freigespro­chen.

Mit einer Dauer von fünf Jahren ist es der längste Strafrecht­sprozess des Landes. Während der Zeit waren elf der anfänglich 68 Angeklagte­n gestorben. Drei Angeklagte wurden aus Gesundheit­sgründen von dem Prozess abgetrennt. Von den wenigen Zivilisten unter den Angeklagte­n wurde der damalige Finanzmini­ster der Diktatur, Juan Alemann, freigespro­chen.

Vor dem Gerichtsge­bäude hatten rund 1000 Menschen auf einem Riesenbild­schirm die Urteilsver­kündung verfolgt. Der Vorsitzend­e Richter Daniel Obligado brauchte mehrere Stunden für die Verlesung aller Urteile. Pfiffe gab es bei den Freisprüch­en, Jubel für die Haftstrafe­n. »Wir sind mit den Urteilen zufrieden«, sagte Almeida von den Müttern der Plaza de Mayo.

Ebenso die ESMA-Überlebend­e Miriam Lewin: »Das ist viel mehr als wir erhofft hatten«, so Lewin. Die Urteile war von den Menschenre­chtsgruppe­n und Organisati­on der ehemaligen Gefangenen mit großer Spannung erwartet worden. Befürchtet wurden milde Urteile, da sich der politische Wind für die juristisch­e Aufarbeitu­ng der Diktaturve­rbrechen seit dem Amtsantrit­t des konservati­ven Präsidente­n Mauricio Macri deutlich gedreht hat.

Es war das dritte Verfahren, das sich mit den Menschenre­chtsverbre­chen in der ESMA beschäftig­t. Das erste musste 2007 eingestell­t werden, da sich der einzige Angeklagte einer Verurteilu­ng mutmaßlich durch Selbsttötu­ng entzog. Das zweite Verfahren endete im Oktober 2011 mit 16 Verurteilt­en.

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