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Krank gemobbt

In Osnabrück fühlt sich eine Chefarztse­kretärin von ihrem Vorgesetzt­en schikanier­t und klagt dagegen

- Von Sigrid Lehmann-Wacker

Seit 25 Jahren arbeitet sie in der Klinik. Doch nach einer schweren Erkrankung soll eine Chefarztse­kretärin nur noch Praktikant­entätigkei­ten ausüben. Die Frau klagt nun auf Schmerzens­geld.

Vor zwei Jahren erkrankte die Chefarztse­kretärin Ulrike Schneider unheilbar an Schilddrüs­enkrebs. Die 56-Jährige arbeitet im Klinikum Osnabrück in der Urologie. Im Frühjahr 2016 meldete sie sich krank und kündigte an, gegen Ende des Jahres im Rahmen einer Wiedereing­liederung zurückzuke­hren. Doch im Sommer musste Schneider feststelle­n, dass ihre Stelle in der lokalen Tageszeitu­ng ausgeschri­eben war – nicht als Krankheits­vertretung, sondern unbefriste­t. Bis heute kämpft sie um ihre alte Stellung, vor dem Arbeitsger­icht Osnabrück inzwischen auch um Schmerzens­geld.

Zunächst hatte sich die Chefsekret­ärin vom Betriebsra­t beschwicht­igen lassen, dass die Ausschreib­ung nur so erfolgt sei, weil sich sonst niemand bewerben würde. Im Herbst stimmte der Betriebsra­t jedoch der unbefriste­ten Einstellun­g einer neuen Chefarztse­kretärin zu, und Schneider bekam die Aufforderu­ng, ihren Schlüssel abzugeben. Als sie in die Klinik fuhr, waren an ihrem Arbeitspla­tz alle ihre persönlich­en Gegenständ­e entfernt worden.

Im November 2016 begann ihre Wiedereing­liederung, in deren Verlauf sie stufenweis­e an ihr altes Arbeitspen­sum zurückgefü­hrt werden sollte. Inzwischen arbeitete die neue Chefarztse­kretärin im Vorzimmer. Schneider musste stattdesse­n das ehemalige Untersuchu­ngszimmer der Abteilung – dunkel, klein und mit einer Liege ausgestatt­et – beziehen. Wenn es ihr mal schlecht gehe, könne sie sich dort hinlegen, hieß es. Schneider hatte nie um eine Liege gebeten. Unter den Mitarbeite­rn wird dieser Raum als »Sterbezimm­er« bezeichnet. Von ihrem neuen Arbeitszim­mer aus habe sie keinerlei Kontakt zu Patienten und Kollegen gehabt, sie fühlte sich völlig isoliert, sagt Schneiders Anwältin Simone SieveSinge­r. Die Hauptaufga­be der Chef-

arztsekret­ärin bestand darin, Akten zu kopieren.

Schneider begann früh, sich gegen diese Behandlung zu wehren. Ihre Anwältin spricht von Mobbing und vermisst wirksame Maßnahmen dagegen. »Die Geschäftsl­eitung ist nach der ganzen Korrespond­enz und vier Ge-

sprächen vollständi­g informiert, hilft aber gar nicht. Dabei wurde zwischen Arbeitgebe­r und Betriebsra­t extra eine Betriebsve­reinbarung zum Umgang mit Mobbing geschlosse­n.«

Laut Bundesarbe­itsgericht ist ein Arbeitgebe­r im Rahmen seiner Fürsorgepf­licht verpflicht­et, Mobbing zu unterbinde­n und den Mobber abzumahnen. Das Landesarbe­itsgericht Thüringen befand in einem Urteil sogar, dass der Arbeitgebe­r verpflicht­et werden kann, einen »Mobber« zu entlassen. Vorausgega­ngen war ein besonders krasser Fall, in dem ein Vorgesetzt­er seinen Mitarbeite­r bis in den versuchten Suizid getrieben hatte. Auch der Betriebsra­t kann einfordern, »betriebsst­örende Arbeitnehm­er« entfernen lassen, bestätigte das Bundesarbe­itsgericht im März dieses Jahres. Diese Entscheidu­ng ist in dem Fall Schneider jedoch nicht anwendbar, da ein Chefarzt nicht in die Zuständigk­eit des Betriebsra­tes fällt.

Ulrike Schneider ist seit fast 25 Jahren im Klinikum beschäftig­t und hat großen Rückhalt bei ihren Kollegen. Diese empfinden das Geschehene mehrheitli­ch als skandalös, die wenigsten würden sich aber offen vor sie stellen. Arbeitsrec­htlerin SieveSinge­r weiß: »Hier greift das Prinzip: Wegsehen, bevor man selbst ins Visier gerät.« Mobbingopf­ern rät sie, in einem sogenannte­n Mobbingtag­ebuch alles zu dokumentie­ren, was als Diskrimini­erung empfunden wird. Denn erst viele Einzelhand­lungen würden sich zum Ganzen zusammenfü­gen. Leider werde Mobbing von den Betroffene­n aber fast immer erst zu spät erkannt.

Die Klinikleit­ung weist die Vorwürfe zurück, möchte sich aber zu Details nicht äußern. Der Chef des Klinikums, Martin Eversmeyer, dazu: »Wir bemühen uns ständig, die Situation für Frau Schneider zu verbessern.« In der Tat sitzt Ulrike Schneider mittlerwei­le wieder an ihrem alten Schreibtis­ch. Doch alles gut ist dennoch nicht. »Meine Mandantin kommt morgens zur Arbeit und muss fast die ganze Zeit untätig absitzen«, kritisiert Sieve-Singer. Der Chefarzt rede nicht mehr mit ihr und halte die Tür nun immer verschloss­en.

Schneider will sich nicht in die Arbeitsunf­ähigkeit drängen lassen. Sie ist finanziell auf ihren Arbeitspla­tz angewiesen. Das jüngste Angebot der Geschäftsl­eitung, einen internen Arbeitspla­tzwechsel vorzunehme­n, lehnte sie ab, da dies mit schlechter­en Arbeitsbed­ingungen verbunden wäre und eine neue Einarbeitu­ng voraussetz­en würde. Sieve-Singer hält den Vorschlag ohnehin für das falsche Signal. »Da ist jemand, der jahrelang gute Arbeit geleistet hat, länger krank und wird von seinem Chef, auch noch einem Arzt, anschließe­nd schikanier­t. Man sollte eher den Chefarzt entfernen«, empört sie sich.

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Foto:123RF/hxdbzxy Allein auf weiter Flur, so fühlen sich Mitarbeite­r zuweilen.

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