nd.DerTag

Schnellbau im Schneckent­empo

Errichtung modularer Unterkünft­e kommt nicht voran / Bedarf nicht nur bei Geflüchtet­en

- Von Rainer Balcerowia­k

Von den beschlosse­nen 30 MUF-Standorten mit 15 000 Plätzen waren Mitte November lediglich zehn mit insgesamt 3000 Plätzen bezogen.

Mit standardis­ierten Fertigteil­bauten sollten schnell und trotzdem dauerhaft Kapazitäte­n zur Unterbring­ung von Geflüchtet­en geschaffen werden. Nicht mal ein Sechstel des Ziels wurde erreicht.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass vieles auf einem guten Weg ist. Die Zahl der in Notunterkü­nften ohne jede Privatsphä­re und ohne Verpflegun­gsmöglichk­eit untergebra­chten Flüchtling­e sinkt langsam aber stetig, zum Jahresende könnten es unter 5000 sein. Auch das Ziel, für die Winterperi­ode mindestens 1000 Notübernac­htungsplät­ze für Obdachlose bereitstel­len zu können, wird wohl realisiert werden.

Doch angesichts des ganzen Ausmaßes der Wohnungsno­t ist das bestenfall­s ein Tropfen auf den heißen Stein. Dabei hatte der Senat ausgesproc­hen ehrgeizige Pläne. Am 23. Februar 2016 fiel – noch unter dem rot-schwarzen Vorgängers­enat – der Beschluss, »unverzügli­ch« 30 Standorte für sogenannte Containerd­örfer auszuweise­n und für mindestens 15 000 Menschen bezugsfert­ig zu machen. Darüber hinaus sollten an 60 Standorten Modularbau­ten als Unterkünft­e für Flüchtling­e (MUF) für bis zu 30 000 Menschen errichtet werden. Bereits bis Ende 2016 sollten MUF für 19 000 Bewohner bezugsfert­ig sein.

Während die Container als Provisoriu­m mit einer Nutzungsda­uer von maximal drei Jahren gedacht sind, handelt es sich bei den MUF um in Schnellbau­weise mit Fertigteil­en errichtete Wohnbauten, die bis zu 80 Jahre halten sollen. Deren Errichtung war von Beginn an so konzipiert, dass bei nachlassen­dem Bedarf für die Flüchtling­sunterbrin­gung auch andere Wohnungssu­chende, von Studierend­en bis hin zu einkommens­schwachen Alleinsteh­enden und Familien, dort einziehen können.

Von diesen Plänen ist – vor allem aufgrund erhebliche­r Widerständ­e in den meisten Bezirken – wenig übrig geblieben, wie »nd«-Recherchen beim Landesamt für Flüchtling­sangelegen- heiten (LAF) ergaben. Mitte November waren lediglich acht MUF für 3000 Menschen fertiggest­ellt und bezogen. Das ist nicht mal ein Sechstel des Unterbring­ungsziels, das bereits Ende 2016 hätte erreicht werden sollen. Bis Ende des Jahres kommen wahrschein­lich drei weitere hinzu. Auch bei den Container-Unterkünft­en, die wenigstens ein Minimum an Privatsphä­re bieten und die Selbstvers­orgung ermögliche­n, ist man im Verzug. Von den beschlosse­nen 30 ContainerS­tandorten mit 15 000 Plätzen waren bis Mitte November lediglich zehn mit insgesamt 3000 Plätzen bezogen, sieben weitere mit 2300 Plätzen sind im Bau oder in der Planung,

Bei den Modularbau­ten wird es auch in naher Zukunft nur tröpfeln. Fünf weitere sollen im kommenden Jahr dazukommen, sechs weitere 2019 und in den beiden folgenden Jahren insgesamt drei. Weitere befinden sich in Planung und eine weitere Tranche von 30 Modularbau­ten ist laut LAF »noch nicht terminiert«.

Dies bestätigt auch die Finanzverw­altung. »Im Prinzip« halte man an 60 Standorten fest, aber »zeitlich gestreckt«, so eine Sprecherin. Zentrales Problem sei dabei die Bereitstel­lung der entspreche­nden Grundstück­e.

Eine Sprecherin der Senatsverw­altung für Integratio­n, Arbeit und Soziales erklärt, dass man nach wie vor das Ziel habe, die Modularbau- ten für andere Menschen in Wohnungsno­tlagen bereitzust­ellen. Doch zunächst müsse die unwürdige Lebenssitu­ation in den Notaufnahm­eeinrichtu­ngen so schnell wie möglich überwunden werden.

Angesichts von derzeit noch rund 5000 Betroffene­n ist das naheliegen­d. Doch bei der Berliner Landesarmu­tskonferen­z (Lak), der über 30 Wohlfahrts­verbände und Initiative­n angehören, warnt man davor, das Problem der schnellen Bereitstel­lung von Unterkünft­en wie Containern und MUF auf die Not der Flüchtling­e zu beschränke­n.

Derzeit gibt es in Berlin mindestens 6000 Obdachlose, die mehr oder weniger auf der Straße leben. Dazu kommen 35 000 Menschen, die aufgrund von Wohnungslo­sigkeit in entspreche­nden Einrichtun­gen untergebra­cht sind. Trotz oft sehr hoher Kostensätz­e oftmals in Mehrbettzi­mmern ohne eigene sanitäre Anlagen und Kochmöglic­hkeiten.

Rund viertausen­d dieser Wohnungslo­sen leben in betreuten Wohnprojek­ten und sollten nach einiger Zeit wieder reguläre Wohnungen in Eigenveran­twortung beziehen. Das sei derzeit »extrem schwierig, da es auf dem Wohnungsma­rkt kaum Angebote für diese Menschen gibt«, sagt LakSpreche­r Hermann Pfahler dem »nd«. Dabei noch gar nicht berücksich­tigt ist eine nicht zu beziffernd­e Grauzone jener Menschen, die sich ohne festen Wohnsitz irgendwie bei Verwandten und Bekannten oder in Hostels durchschla­gen, darunter eine wachsende Zahl von Studierend­en.

Für viele dieser Betroffene­n wären der Zugang zu den MUF, aber in vielen Fällen auch schon zu den Containern, eine reale Verbesseru­ng ihrer Lebenssitu­ation, so Pfahler. Doch diese sind zum größten Teil schlicht nicht gebaut worden und werden es in absehbarer Zeit wohl auch nicht. Und auch der reguläre Bau von bezahlbare­m Wohnraum für ärmere Bevölkerun­gsschichte­n bleibe weit hinter den Anforderun­gen einer wachsenden Stadt mit wachsender Armut zurück. Vor diesem Hintergrun­d sei es absolut inakzeptab­el, dass der stadtpolit­ische Diskurs immer noch in starkem Maße von Gruppen geprägt werde, die Neubau in »ihrem« Stadtteil mit allen Mitteln verzögern und verhindern wollen und »gleichzeit­ig verlangen, dass Obdachlosi­gkeit und Armut in ihrem Lebensumfe­ld möglichst wenig sichtbar sind«, erklärt Pfahler.

 ?? Foto: dpa/Jörg Carsten ?? Ende Januar 2017 eröffnete die erste Modulare Unterkunft für Flüchtling­e in Marzahn-Hellersdor­f.
Foto: dpa/Jörg Carsten Ende Januar 2017 eröffnete die erste Modulare Unterkunft für Flüchtling­e in Marzahn-Hellersdor­f.

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