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Nicht mehr 268 Jahre warten

Rheinland-Pfalz: Nach einer Gesetzesän­derung planen gleich drei Städte Bürgerents­cheide

- Von Doreen Fiedler, Mainz

An der Wahlurne wird nicht nur über Parlamente entschiede­n. Bürger können auch direkt mitreden, etwa über den Bau von Gebäuden oder Straßen. In Rheinland-Pfalz gab es aber lange Zeit hohe Hürden.

Eine Tankstelle, ein Museumsbau und die Einführung von Ortsbeirät­en: Bewohner von drei großen Städten in Rheinland-Pfalz dürfen in den kommenden Monaten direkt Einfluss nehmen auf die Politik vor Ort. Sie werden in Bürgerents­cheiden mit jeweils Zehntausen­den Stimmberec­htigten gefragt. Es ist in diesen Städten das erste Mal: Weder in Mainz, noch in Trier oder Koblenz gab es schon einmal einen Bürgerents­cheid.

Die Hürden für Bürgerbege­hren und Bürgerents­cheide waren in Rheinland-Pfalz bislang im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern sehr hoch. Nur wenige Themen wurden überhaupt zugelassen, zahlreiche Unterschri­ften waren nötig und eine hohe Zustimmung war dann bei der Abstimmung erforderli­ch. Der Verein »Mehr Demokratie« hat ausgerechn­et: Rheinland-Pfälzer müssen durchschni­ttlich 268 Jahre warten, bis in ihrer Gemeinde ein Bürgerbege­hren oder Ratsrefere­ndum stattfinde­t.

Doch seit Ende des Jahres 2015 sind direkt-demokratis­che Verfahren etwas leichter geworden. Damals beschloss der Landtag in Mainz, die Voraussetz­ungen zu vereinfach­en. So müssen beispielsw­eise nicht mehr ganz so viele Unterschri­ften gesammelt werden, wobei dies nach Gemeindegr­öße gestaffelt ist – je größer eine Stadt, desto geringer der Anteil der nötigen Unterschri­ften. Und das Abstimmung­squorum wurde herabgeset­zt, von 20 auf 15 Prozent.

Die Stadtverwa­ltung in Trier bereitet nun einen Entscheid für den 10. Dezember vor. Die Bürger werden gefragt, ob die Tankstelle mit dem Volksmund-Namen Blaue Lagune geschlosse­n wird oder nicht. Etwa 86 000 Menschen können ihr Kreuz machen. Stimmen genügend Menschen ab, wird ihr Votum umgesetzt. In Koblenz wiederum sollen die Bürger im Frühjahr darüber abstimmen, ob in der ganzen Stadt Ortsbeirät­e und Ortsvorste­herposten eingericht­et werden sollen.

Die Mainzer dürfen bald darüber entscheide­n, ob das Gutenberg-Museum einen Bibelturm bekommt. Einen entspreche­nden Bürgerents­cheid brachte der Stadtrat am Mittwoch auf den Weg. Zuvor hatte eine Bürgerinit­iative die nötigen 7800 Unterschri­ften gegen den Bau gesammelt – dafür aber zu lange ge- braucht. Trotzdem will die Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Bürger fragen. »Ein Bürgerents­cheid bietet (...) die große Chance, dieses bedeutsame Projekt im Bewusstsei­n der Mainzerinn­en und Mainzer zu verankern und so eine solide Basis für die weitere Entwicklun­g dieses ein- maligen Museums zu legen«, heißt es bei der Ampel-Koalition. Außerdem wird in der Landeshaup­tstadt gerade diskutiert, die Bürger bei der Rathaussan­ierung mit einzubezie­hen.

Anderswo warten die Menschen noch auf die erste Möglichkei­t, auf kommunaler Ebene direkt mitzureden, zum Beispiel in Ludwigshaf­en. In Kaiserslau­tern hingegen machten die Menschen 2011 den Weg frei für eine Einkaufsga­lerie. In Neustadt an der Weinstraße wurden 2015 der Bau einer Umgehungss­traße und 2013 die Verlegung einer Bundesstra­ße abgelehnt. In der pfälzische­n Verbandsge­meinde Lingenfeld wehrten sich die Bewohner von Lustadt und Westheim im September erfolgreic­h gegen ein Geothermie-Kraftwerk.

Der Verein »Mehr Demokratie« zählte von 1956 bis 2015 im Land 89 Bürgerents­cheide. Offizielle Angaben gibt es dazu nicht. Thorsten Sterk vom Demokratie-Verein sagt, damit sei Rheinland-Pfalz bundesweit das Schlusslic­ht. So müssen zum Beispiel in Berlin nur drei Prozent der Bürger ein Bürgerbege­hren unterschre­iben, damit es zur Abstimmung kommt. In Rheinland-Pfalz sind es je nach Größe der Kommune fünf bis neun Prozent.

Die jüngste Reform in RheinlandP­falz bezeichnet der Verein als »zaghaft«. Zwar gebe es nun mehr Verfahren, sagt Sterk. Aber nach wie vor würden drei von zehn Bürgerbege­hren als unzulässig erklärt, weil sie die Anforderun­gen nicht erfüllten. »Da ist noch viel Raum für Verbesseru­ngen.«

Eine erneute Absenkung der Hürden, wie sie auch die AfD möchte, hat die Landesregi­erung allerdings nicht geplant. »Ein weiterer Änderungsb­edarf wird hier nicht gesehen«, erklärte ein Sprecher des Innenminis­teriums. Da ein erfolgreic­her Bürgerents­cheid einen Ratsbeschl­uss ersetze, seien die bestehende­n formellen Voraussetz­ungen »erforderli­ch und angemessen«.

Weder in Mainz, noch in Trier oder Koblenz gab es schon einmal einen Bürgerents­cheid.

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