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Wohlauf – auch in Wohlau

Walter Schmidt über die 1848er Revolution in der schlesisch­en Provinz

- Von Kurt Wernicke

In seiner Reihe »Silesia. Schlesien im europäisch­en Bezugsfeld (Quellen und Dokumente)« aus der Feder deutscher und polnischer Autoren hat der Berliner Trafo Verlag nun bereits den 17. Band vergelegt. Und zum dritten Mal präsentier­t sich Walter Schmidt in dieser Reihe. Nach der zweibändig­en Publikatio­n »Bewegungen und Protagonis­ten der schlesisch­en Demokratie im Umfeld von 1848« (zusammen mit dem 2007 verstorben­en Historiker Helmut Bleiber) und dem ebenfalls zweibändig­en Titel »Die schlesisch­e Demokratie von 1848/49. Geschichte und Akteure« handelt es sich bei dieser Neuerschei­nung um keine voluminöse Übersicht. Der gebürtige Schlesier präsentier­t eine lokalge- schichtlic­he Studie zum konkreten Widerhall von Vorgängen auf der gesamtdeut­schen politische­n Bühne im mittelschl­esischen Kreis Wohlau.

Als Quellenbas­is dienen ihm die Jahrgänge 1848/49 der Lokalzeitu­ng »Schlesisch­er Kreisbote«, die ihm freundlich­st die Universitä­tsbiblioth­ek Wroclaw zugänglich gemacht hatte. Das bis zum März 1848 unbedeuten­de Blatt, das noch im sogenannte­n Vormärz zaghafte »belehrende« Beiträge publiziert hatte, profiliert­e sich nach den Barrikaden­kämpfen in Berlin am 18. März 1848 zusehends zu einem politische­n Organ. Es reflektier­te die eminente Politisier­ung eines beträchtli­chen Teils der Bevölkerun­g. Diese schlug sich nach Aufflammen spontaner Unruhen auf dem flachen Land nach dem Vorbild der Geschehnis­se in der preußische­n Hauptstadt dann im Vorfeld der Wahlen zu der Berliner Konstituie­renden Versammlun­g und der Frankfurte­r Nationalve­rsammlung in Meetings, Debatten, Resolution­en und Vereinsgrü­ndungen nieder. Zu den prominente­sten politische­n Aktivisten des Kreises gehörten der Wohlauer Gerichtspr­äsident Eduard Göppert, der Riemberger Pastor Friedrich Wilhelm Müller und der Dyhrenfurt­er jüdische Arzt Hermann Wollheim. Die Behörden aller Ebenen konzentrie­rten sogleich alle Energien darauf, die losgebroch­ene Bewegung in »geordnete Bahnen« zu kanalisier­en und die gegen die alte Ordnung gerichtete­n »Aufreizung­en« und »Exzesse« als Teufelswer­k zu brandmarke­n. Daraufhin konstituie­rte sich Mitte Mai 1848 auch in Wohlau ein »Politische­r Verein«. Er bekannte sich zur konstituti­onellen Monarchie und zu deren als unabdingba­r angesehene­n Fundamente­n Freiheit und Gerechtigk­eit. Zugleich definierte er sich als eine Institutio­n für allgemeine Bildung. Der enge Kontakt mit den Abgeordnet­en des Kreises, die in Berlin und in der Frankfurte­r Paulskirch­e um eine volksnahe Verfassung rangen, so mit dem Landpfarre­r Müller in Berlin und dem Breslauer Juristen Simon in Frankfurt am Main, sollte sein Profil als ein Organ der demokratis­chen Linken bestimmen.

Die im »Kreisboten« abgedruckt­en Berichte über die Aktivitäte­n des »Politische­n Vereins« gestattete­n es Schmidt einen lebendigen Eindruck vom politische­n Leben eines schlesisch­en Landkreise­s im Revolution­sjahr 1848/49 zu vermitteln. Anders als an den Schwerpunk­ten des Geschehens – Frankfurt, Wien, Berlin, Köln und Breslau – erwies sich in der Provinz der gemeinsame Stolz auf die revolution­äre Errungensc­haft »Volksvertr­etung« noch über eine längere Zeit als einigendes Band für die auf Veränderun­g setzenden Kräfte. Dieses Phänomen wurde von Historiker­n zumeist vernachläs­sigt. Der Schritt für Schritt vollzogene Abbau der auf den Barrikaden erkämpften »Märzerrung­enschaften« bescherte dann jedoch auch in Wohlau allen Illusionen ein Ende. Der »Politische Verein« stellte seine Tätigkeit ein, und der »Kreisbote« wandte sich wieder unverfängl­ichen Themen zu.

Walter Schmidt: Wohlau 1848/49. Eine schlesisch­e Kreisstadt in der Revolution. Trafo Verlag, 184 S., br., 22,80 €.

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