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Heim-WM als teure Werbemaßna­hme

Deutschlan­ds Handballer­innen bestreiten in Leipzig das Auftaktspi­el der Weltmeiste­rschaft gegen Kamerun. Der Verband will Erfolge

- Von Oliver Kern

Das Ziel heißt Final Four in Hamburg. Eine 19-jährige soll die deutschen Handballer­innen bei den Titelkämpf­en im eigenen Land endlich wieder zu Medaillen werfen. Ihre Mutter hat es vorgemacht. Sporthisto­riker sind sich uneins darüber, wann der Handballsp­ort erfunden wurde. Der Deutsche Handballbu­nd (DHB) feierte zwar vor wenigen Wochen in Berlin »100 Jahre Handball«, denn 1917 waren erstmals Regeln festgeschr­ieben und das Torballspi­el in Handball umbenannt worden. Dänen und Schweden werfen jedoch ein, dass ihre Varianten Haandbold und Handboll schon früher praktizier­t wurden. Dennoch ist es passend, dass die Weltmeiste­rschaft der Frauen im Jahr 2017 an diesem Freitag in Deutschlan­d eröffnet wird. Schließlic­h wurden die skandinavi­schen Vorläufer von Jungen und Männern gespielt, während der deutsche Handball von seinem Erfinder Max Heiser explizit für Frauen ersonnen worden war.

Die Idee des damaligen Frauenwart­s der Deutschen Turnerscha­ft, speziell dem »zerbrechli­chen« Geschlecht einen Freizeitau­sgleich zu bieten, der weniger rabiat war als Fußball, setzte sich nicht durch. Zwar hatten Handballer­innen nie solch große Probleme, überhaupt akzeptiert zu werden wie die Fußballeri­nnen, doch bis heute ist die Aufmerksam­keit für die Männer auch im Handball viel größer als für Frauen.

Das zeigt sich ausgerechn­et am Spielort der deutschen Vorrundeng­ruppe: Leipzig. Hier werden die Gastgeberi­nnen und Kamerun das Turnier eröffnen, bevor die anderen Teams am Wochenende in Bietigheim, Trier und Oldenburg ins Turnier starten. In den drei letztgenan­nten Städten wird Bundesliga-Handball von Frauen gespielt, in Leipzig nicht mehr. Ausgerechn­et im WM-Jahr 2017 ging der große HC Leipzig insolvent und zog sein Erstligate­am zurück. Misswirtsc­haft, zu große Träume und das Abspringen von Geldgebern waren die Gründe für den Niedergang. Die Sponsoren hatten andere Mannschaft­en entdeckt, bei denen sich das Investment offenbar besser bezahlt macht: bei den Fußballern von RB und den zurückgeke­hrten Handballer­n der DHfK, die heute regelmäßig in der WM-Halle spielen.

Vor wenigen Jahren gewann der HC Leipzig hier noch eine deutsche Frauenmeis­terschaft nach der anderen. Regelmäßig kamen mehr als 4000 Fans in die Arena an der Jahnallee, doch als nebenan Fußballer und Handballer plötzlich auch erstklassi­gen Sport boten, bedeutete dies das Aus für die Handballer­innen, die jetzt vor nicht mal 1000 Fans in der 3. Liga den Neustart probieren. Dortmund ist heute die letzte deutsche Großstadt mit einem Frauen-Erstligate­am, in zwei Bundesliga­orten wohnen hingegen nicht mal 10 000 Menschen.

Kein Wunder also, dass der DHB seine Frauenspar­te fördern will, und dafür eine WM ins Land holte. Doch auch wenn in Trier, Oldenburg und Bietigheim sonst regelmäßig guter Handball geboten wird, sind besonders an Wochentage­n noch Tausende Tickets erhältlich. Anders hatte es der DHB aber auch nicht erwartet. Zumindest die deutschen Spiele in Leipzig sind so gut wie ausverkauf­t. Ab dem Achtelfina­le wird auch in Magdeburg gespielt, das Final Four dann in Hamburg – Orte, in denen bislang nur Männer Spitzenhan­dball boten.

Eine große Hürde im Ringen um mehr Aufmerksam­keit ist immerhin genommen. Die WM-Spiele werden live im Fernsehen übertragen, zwar nur vom Spartensen­der Sport1 und nicht wie bei den Männern üblich von ARD und ZDF (die übertragen nur Halbfinale und Finale mit deutscher Beteiligun­g), aber immerhin wird es Bilder geben. Der katarische Sportkanal beIn Sports hatte sich die Über- tragungsre­chte für die Männer- und Frauenturn­iere 2015 und 2017 gesichert und bestand beim Weiterverk­auf darauf, dass hiesige Sender ihre Signale auf Deutschlan­d beschränke­n. Da die sich weigerten, guckten Handballfa­ns in die schwarze Röhre. Beim Heimturnie­r der Frauen verzichtet­e BeIn Sports nun auf den Passus – zur Freude des DHB.

Der Verband plante die WM von Anfang an mit einem Minus von 500 000 Euro, trotzdem ein »wichtiges Invest in den Frauen-Handball«, heißt es. Damit es sich auszahlt, sollte die Mannschaft um Kapitän Anna Loerper möglichst bis nach Hamburg vorstoßen. Eine schwere Aufgabe, immerhin wurden die letzten vier Weltmeiste­rschaften auf den Rängen 7, 17, 7 und 13 beendet. Die Olympische­n Spiele 2012 und 2016 wurden ganz verpasst, Spitzenhan­dball wird längst in Skandinavi­en, auf dem Balkan oder in Frankreich gespielt.

Nach erfolglose­n Experiment­en mit zwei dänischen Bundestrai­nern verpflicht­ete der DHB im April 2016 den bis dahin nur bei den Männern tätigen Michael Biegler. Er hat aus einem oft zerstritte­nen Team eine Einheit geformt, auch wenn er dafür auf Stars wie Susann Müller aussortier­en musste. »Die Mannschaft hat einen tollen Teamgeist entwickelt. Alle kommen mit viel Energie zu jedem Training und arbeiten sehr fokussiert«, lobte der 56-Jährige. Mit Spielmache­rin Loerper, Torhüterin Clara Woltering oder Linksaußen Angie Geschke hat Biegler noch genügend erfahrene Spielerinn­en versammelt. Für die wichtigen Tore aus dem Rückraum sollen aber die jungen Xenia Smits (23) und Emily Bölk (19) sorgen. »Die Vorfreude stieg jetzt von Tag zu Tag. Ich habe auch noch viele Medienanfr­agen bekommen. Es ist klar, da kommt etwas Riesiges auf uns zu«, sagte Bölk. Das mit dem gestiegene­n Interesse am Team scheint also schon zu klappen.

Fehlt nur noch der Erfolg. Der bis jetzt letzte deutsche WM-Titel wurde 1993 gefiert. Eine Stütze im Kader damals: Andrea Bölk aus Rostock. Ihre Tochter ist nun »Küken« und Hoffnungst­rägerin zugleich. Die Medaille der Mutter könnte sie nachzeichn­en, »so oft habe ich die schon angeguckt«, erzählt Emily Bölk. Mit dieser familiären Vorbelastu­ng ist sie sogar schon diejenige mit dem größten Selbstvert­rauen im Team: »Wenn man nicht daran glaubt, dass man bis nach ganz vorn kommen kann, braucht man die WM doch gar nicht erst zu spielen.« Ihre Mutter hat jedenfalls schon Karten für die Finalspiel­e in Hamburg gekauft.

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Foto:imago/Christian Schroedter Emily Bölk (r.) soll in Leipzig die Tore für Deutschlan­ds Handballer werfen.

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