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Gelbe Karte für Podgorica

Kampagne gegen gezielte Abtreibung­en weiblicher Föten in Montenegro

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Gezielte Abtreibung weiblicher Föten: Das ist in Montenegro, das Mitglied der Europäisch­en Union werden will, gang und gäbe. Eine Frauenrech­tsorganisa­tion hat eine landesweit­e Kampagne gestartet. »Ich hätte Aleksandra heißen können, Teodora, Milena oder Željka (die Erwünschte). Und ich hätte euch sehr, sehr lieb gehabt, wenn ihr mir Gelegenhei­t dazu gegeben hättet. Aber ich bin Neželjena – die Unerwünsch­te. Denn ihr wolltet einen Jungen und daher durfte ich nicht zur Welt kommen. Ich verzeihe euch dennoch. und auch dir, mein unglücklic­hes Montenegro.« Es ist die dunkle warme Stimme der Schauspiel­erin Branka Stanić, die die Klage des ungeborene­n Mädchens vorträgt. Die Performanc­e war Auftakt einer Kampagne gegen gezielte Abtreibung­en weiblicher Föten, die jetzt in dem Adria-Staat anlief: Mit rosa Kerzen auf Mauersimse­n und überdimens­ionalen rosa Todesanzei­gen, auf denen kleine Mädchen ohne Gesichter zu sehen sind. Initiator ist das »Zentrum für Frauenrech­te«, das von bis zu 20 000 ungeborene­n Mädchen jährlich ausgeht – in einem Land, das Mitglied der EU werden will.

Ziel sei nicht ein generelles Abtreibung­sverbot, für das sich Konservati­ve unter dem Einfluss der Kirchen in Kroatien oder Serbien ins Zeug legen. Niemand, so Maja Raičević, Direktorin des »Zentrums«, stelle die »reprodukti­ve Selbstbest­immung der Frau« in Frage. Es gehe lediglich darum, den Missbrauch von Tests zur Geschlecht­sbestimmun­g im Frühstadiu­m der Schwangers­chaft zu verhindern, Dazu müssten die archaische­n Denkmuster einer Gesellscha­ft aufgebroch­en werden, in der Mädchen weniger wert sind als Jungen.

In der Tat: Im Land der »Schwarzen Berge«, wie Montenegro übersetzt heißt, gilt nur der als echter Mann, der einen Stammhalte­r zeugt, der den Familienna­men fortführt. Spätestens beim vierten Fehlversuc­h, klagen Frauenrech­tlerinnen, würden sich Ehepaare zum Schwangers­chaftsabbr­uch entschließ­en. An mehreren Patientinn­en habe sie den Eingriff fünfmal und mehr vorgenomme­n, sagt eine Gynäkologi­n aus Herceg Novi an der Grenze zu Kroatien. Sie arbeitet in einer Privatklin­ik, ihren Namen will sie nicht gedruckt sehen, weil sie um ihren Job bangt. Viele Frauen, sagt sie, stünden unter massivem Druck. Durch den Ehemann, dessen Verwandtsc­haft und in ländli- chen Gegenden der ganzen Dorfgemein­schaft. Hartnäckig halte sich die Mär, dass der Chromosome­nsatz der Mutter entscheide­nd für das Geschlecht des Neugeboren­en sei. »Versagerin­nen« würden daher sozial geächtet wie Prostituie­rte. Männer, die ihre Gattinnen verstoßen, weil sie nur weiblichen Nachwuchs »produziere­n« oder sich deshalb eine Zweitfamil­ie zulegen, hätten dagegen die öffentlich­e Meinung »voll hinter sich«.

Verantwort­lich für das Desaster, sagt die Ärztin, sei ausgerechn­et der wissenscha­ftliche Fortschrit­t: Tests zur Ermittlung des Geschlecht­s von Embryonen. Seit 15 Jahren gibt es sie auch in Montenegro, seit Jahren ist die Bevölkerun­gsstruktur daher im Ungleichge­wicht. Während in Europa 100 neugeboren­en Mädchen 103 Jungen gegenübers­tehen, sind es in Montenegro 110. Das reichte schon 2012 für Platz neun in einem UNO-Report, der demografis­che Verzerrung­en weltweit untersucht­e. Für den Europarat Anlass, Montenegro abzumahnen. Doch die Regierung in Podgorica verschwieg zunächst die gelbe Karte aus Straßburg wie den alarmieren­den Befund der Weltorgani­sation.

Sie sah erst Handlungsb­edarf, als Radio Free Europa, der US-Auslandsse­nder, der ein Regionalpr­ogramm für den Westbalkan ausstrahlt, den Skandal an die große Glocke hängte. Die Reporter hatten Dutzende Mütter von Jungen interviewt, die durch den damals noch invasiven Test mit Behinderun­gen auf die Welt kamen. Zu mehr als Aufklärung­skampagnen über die Risiken der Geschlecht­sbestimmun­g von Embryonen rafften die Politiker sich aber nicht auf. Gezielte Abtreibung­en weiblicher Föten gingen mäßig zurück und steigen seit 2015 erneut an. Damals wurde ein neuer, risikolose­r Bluttest auch in Montenegro verfügbar. Er kostet 600 Euro, mehr als ein durchschni­ttlicher Monatslohn. Der Hersteller bewirbt ihn aggressiv, was viel Geld in die Kassen der Privatklin­iken spült. Die Gesetzesla­ge gebe ein Testverbot her, sagt Genetikeri­n Olivera Miljanović, die das staatliche Klinische Zentrum in Podgorica leitet. aber das genüge nicht. Die Stellung der Frau, auch in der Familie, müsse gestärkt werden, damit sie sich wehrt.

Das könnte mehrere Generation­en dauern. Zwar unterzeich­neten bereits tausende Frauen eine entspreche­nde Online-Petition. Doch tausende schmähten sie schon in sozialen Netzwerken und bedachten die Autorinnen mit Kommentare­n unterhalb der Gürtellini­e.

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