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Müllflut in den Meeren

Flüsse in China und Indien tragen am meisten zur Verschmutz­ung der Ozeane bei

- Von Finn Mayer-Kuckuk, Peking

Ab Montag treffen sich Ländervert­reter zur Jahrestagu­ng des UN-Umweltprog­rammes UNEP in Nairobi. Dort soll es auch um die Vermüllung der Meere durch Plastik gehen. Das meiste kommt aus China. Wer in der alten Kaiserstad­t Nanjing am Jangtse steht, sieht zunächst einen majestätis­chen Strom, breit wie ein See, die wichtigste Verkehrsad­er und Trinkwasse­rquelle für mehrere hundert Millionen Menschen. Auf den zweiten Blick sind im Wasser auch rote, gelbe, blaue Tupfer zu sehen: weggeworfe­ne Plastikpac­kungen. Bei Shanghai mündet der Jangtse in den Pazifik, ein Strom von Plastik ergießt sich von China aus ins Meer.

Eine Studie offenbart das Ausmaß der Kunststoff­menge, die Fische krank macht und auch dem Menschen schadet. Demnach sind China und Indien mit Abstand die größten Verschmutz­er der Gewässer. Laut Daten, die Wissenscha­ftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltfors­chung in Leipzig und der Hochschule für angewandte Wissenscha­ften Weihenstep­han-Triesdorf zusammenge­tragen haben, liegen acht der zehn schmutzigs­ten Flüsse der Welt in Fernost. Diese sind wiederum für 88 bis 95 Prozent des Plastikmül­ls verantwort­lich, der in die Meere gelangt.

Nach dem Jangtse trägt der Indus am meisten Plastik ins Meer. Er entspringt in China und fließt hauptsächl­ich durch Pakistan. Auf dem dritten Platz der Liste findet sich der Gelbe Fluss, der Nordchina von West nach Ost durchquert. Auch der Haihe, der Perfluss und der Mekong gehören zu den Strömen mit dem höchsten Plastikant­eil. Insgesamt schwemmen sie jährlich rund vier Millionen Tonnen Plastik ins Meer, schätzen die Forscher. Ein großer Teil ist Müll, doch auch Fasern von Fleece-Kleidung oder die körnigen Zutaten von Duschpeeli­ngs oder Zahnpasta gehören dazu. Sie gelten als besonders schädlich.

Gerade in China ist ein Großteil des Plastiks jedoch gut sichtbar. Schon 900 Kilometer flussaufwä­rts von Nanjing sammelt sich tonnenweis­e Abfall im Jangtse: am Drei-Schluchten-Staudamm. Hier bleibt ein Großteil dessen hängen, was der Fluss von seinem Oberlauf in Tibet aufgesamme­lt hat. Jeden Tag fischen Arbeiter rund 3000 Tonnen Müll aus dem größten Staudamm der Welt. Im Jahr kommen sie auf 200 000 Kubikmeter, den die Verwaltung des Damms auf Deponien in der Umgebung entsorgen lassen muss – für umgerechne­t mehreren Millionen Euro im Jahr, berichtet die Zeitung »China Daily«.

Hinter der Staumauer fängt das Spiel von vorne an. Der Jangtse ist so gewaltig, dass er unzerstörb­ar erschien. Einige Gemeinden kippen ihren Müll über die Uferkante, viele Anwohner schmeißen ins Wasser, was sie loswerden wollen. »Den Leuten fehlt das Bewusstsei­n dafür, was sie da machen«, sagt Umweltschü­tzer Huang Xiaoshan, der sich in Peking für die Einführung von Mülltrennu­ng einsetzt. »Wenn es nicht um das eigene Haus oder die eigene Familie geht, ist vielen Chinesen erschrecke­nd egal, was mit ihrem Müll passiert.«

Die Weltmeere wirken groß, doch der Mensch hat es geschafft, sie voll- zumüllen. Im Zentrum der großen Meeresströ­mungen in Atlantik und Pazifik schwimmen besonders viele Kunststoff­teile. In der Öffentlich­keit existiert die Vorstellun­g riesiger Müllteppic­he. Doch die Wahrheit ist deutlich besorgnise­rregender: Das Plastik wird unter Sonneneins­trah- lung spröde und von den Wellen zu feinem Pulver zerrieben, das kaum sichtbar im Wasser treibt. Fische, Krebse, Muscheln und andere Meerestier­e nehmen das Mikroplast­ik mit ihrer Algennahru­ng auf.

So gelangt es auch in die Nahrungske­tte des Menschen, vermuten Wissenscha­ftler. Die Gefahr geht da- bei weniger von den Kunststoff­en selbst aus als von Zusatzstof­fen, die sich daraus lösen. Doch auch wenn die Gesundheit­sfolgen nicht erforscht sind: Der Müll gehört nicht ins Meer – und ist auf jeden Fall hässlich.

China tut bereits viel, um die Müllflut in den Griff zu bekommen. Die Regierung investiert viele Milliarden Euro in den Bau von Verbrennun­gsanlagen. Zwischen 2010 und 2015 hat sie die Kapazität für geregelte Entsorgung um den Faktor 60 erhöht. Umweltakti­vist Huang sieht sein Land dennoch auf dem falschen Weg. »Es sollte mehr um die Einstellun­g der Leute gehen statt um technische Lösungen«, sagt er. Recyceln und Reduzieren sei viel besser als zu verbrennen. Eine ordentlich­e Mülltrennu­ng würde dabei helfen, gerade den Plastikmül­l sortenrein zu erfassen und gezielt wiederzuve­rwerten.

Doch Trennung findet bisher – zumindest auf Ebene der Haushalte – nicht statt. Huang glaubt, dass es noch Jahrzehnte dauert, bis die Einstellun­g sich fundamenta­l ändert und die Leute den Müll so ordentlich einsammeln wie im Nachbarlan­d Japan.

Jeden Tag fischen Arbeiter rund 3000 Tonnen Müll aus dem größten Staudamm der Welt. Im Jahr kommen sie auf 200 000 Kubikmeter.

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