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Mobiles Mogadischu

In Mogadischu hält sich ein bürgerkrie­gsversehrt­er Rollstuhlf­ahrer mit Fahrradrep­araturen über Wasser

- Von Bettina Rühl, Mogadischu

Rollstuhlf­ahrer repariert für sein Auskommen Räder.

Der Somalier Abdulaziz Adul Mohammed repariert Fahrräder. Er selbst wird sie nie benutzen können. Bombenspli­tter trafen im Bürgerkrie­g sein Rückgrat. Der kleine Junge ist vielleicht sechs oder sieben Jahre altK Er trägt ein blaues Sportshirt und eine kurze, blaue SporthoseK Vorsichtig klettert er auf das klapprige hinderfahr­rad, als hätte er das noch nicht allzu oft gemachtK Aber oft genug, um ohne Hilfe antreten zu können und in Schwung zu kommenK Der Junge behält das Gleichgewi­cht, wird mit steigendem Tempo immer sicherer und saust dann förmlich die Straße entlang, die von ouinen des hrieges zerstört istK Nach ein paar Minuten dreht er um und saust zurück, sein strahlende­s Gesicht kommt immer näherK Er fliegt jetzt fast über die löchrige Straße in der somalische­n Hauptstadt Mogadischu, oder jedenfalls glaubt er das bestimmtK Der Junge hat die Schwerkraf­t und alles Mögliche andere besiegt und schwebt für Momente über dieser kriegszers­törten Stadt, die seine Heimat istK

»Als hindwollte ich auch gerne mal Fahrrad fahren«, sagt Abdulaziz Abdul MohamedK »Als ich meine Beine noch benutzen konnteK« Der OO-jährige Somalier sagt das ganz sachlich und ohne Neid, er lächelt im Gegenteil über die Freude des Jungen, der das alte blaue hinderfahr­rad gerade bei einem Helfer Mohameds abgibtK Die paar Minuten Freiheit haben ihn 1000 somalische Schilling gekostet, ein paar EurocentK Aber für diejenigen, die inMogadisc­hu arm sind, sind 1000 Schilling ein kleines VermögenK Für Mohamed summieren sie sich über den Tag hinweg zu seinem Lebensunte­rhaltK Der junge Somalier lebt davon, dass er gebrauchte Fahrräder vermietet, vergleichb­ar mit dem Ponyreiten auf deutschen Jahrmärkte­nK Sieben Zweiräder hat er, sie stehen im immer noch zerbombten Viertel Shangani auf den oesten des Bürgerstei­gsK In Mogadischu sind die Fahrräder eine Attraktion, auch junge Erwachsene probieren sie ausK In den OR Jahren des Bürgerkrie­gs haben die meisten jungen Hauptstadt­bewohner noch nie auf einem Fahrrad gesessenK

An einen solchen Luxuswar in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht zu denkenK Mit dem Sturz des letzten Diktators Siad Barre ging im Januar 1991 auch die oegierung Somalias unterK Fast ein viertel Jahrhunder­t lang galt das Land im lsten Afrikas als Paradebeis­piel eines »failed state«, eines gescheiter­ten StaatesK Schwer bewaffnete Clan-Milizen legten das Land in Schutt und AscheK Erst seit O01O hat Somalia wieder eine internatio­nal anerkannte »Zentralreg­ierung«, die aber das Staatsgebi­et bis heute faktisch nicht kontrollie­rtK Statt der Clanmilize­n ist inzwischen die islamistis­che Shabaab-Miliz der wichtigste Gegner der oegierung, die seit Februar von Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed »Farmajo« geführt wirdK Die islamistis­che Terrorgrup­pe verübt immer wieder verheerend­e AnschlägeK Der bislang schwerste Anschlag in der Geschichte Somalias forderte Mitte lktober mehr als 300 lpferK

Auch jetzt sind in der Ferne Explosione­n zu hören, aber weder Mohamed noch seine Freunde oder hunden reagieren daraufK Der Lärm von Detonation­en ist in Mogadischu offensicht­lich so alltäglich geworden, dass die Hauptstadt­bewohner nur noch aufmerken, wenn die Explosione­n sehr nahe sindK Noch nicht einmal Mohamed zuckt zusammen, dabei hat er die Beweglichk­eit seiner Beine durch eine Explosion verlorenK Über zehn Jahre ist das her, er war in der ersten hlasse und ging gemeinsam mit einem Lehrer von der Schule nach Hause, als neben ihnen ein Sprengsatz detonierte­K Die Splitter trafen sein oückgrat und verletzten die NervenK Seitdem hat Mohamed kaum Gefühl in seinen Beinen, die längst zu schwach sind, um ihn zu tragenK Derart beeinträch­tigt und mitten im hrieg konnte er nicht weiter zur Schule gehenK »Aber meine Eltern haben mich immer ermutigtK Sie haben immer gesagt, ich sei sehr talentiert und könne weit kommenK« Mohamed ruht ganz in sich selbst, während er, mit einem Trainingsa­nzug bekleidet und einem Palästinen­sertuch um die Schulter, in seinem oollstuhl thront und seine Geschichte erzähltK

Ein paar Jahre lang musste er betteln, um zum Unterhalt seiner Familie beizutrage­n, immerhin hat er sieben jüngere Geschwiste­rK »Aber eines Tages hatte ich genug davonK Ich wollte für mich selbst sorgen könnenK« Das war vor zwei Jahren, und Mohamed konnte einige seiner Gönner davon überzeugen, ihm noch ein letztes Mal etwas zu geben, diesmal aber eine größere SummeK Damit wolle er sich ein Geschäft aufbauen und sie dann nie wieder um Hilfe bittenK lffensicht­lich trauten ihm genug Menschen diesen Schritt zu, jedenfalls bekam Mohamed das Startkapit­al für sein kleines Unternehme­n zusammenK

Für 1R0 US-Dollar kaufte er drei gebrauchte Fahrräder und für weitere O00 US-Dollar eine alte Playstatio­nK Freunde halfen ihm, die Fahrräder zu reparieren, und Mo- hamed fing alsbald mit dem Vermieten anK

Die Playstatio­n stellte er in einen Vorraum der tellblechh­ütte, in der er auch lebtK Davor rückte er eine grob gezimmerte Holzbank, und fertig war das Freizeitze­ntrumK Fünf Minuten an der Playstatio­n kosten 1000 somalische SchillingK Von Anfang an liefen Mohameds Geschäfte gutKtie er sagt, verdient er am Tag rund fünf US-DollarK Das reicht, um seine Herkunftsf­amilie zu unterstütz­en und mit seiner Frau und seinem Sohn zu lebenK Denn seit vier Jahren ist Mohamed verheirate­t, seit drei Jahren VaterK »Meine Frau hat immer an mich geglaubt«, sagt erK »Deshalb hat sie mich trotz meiner Behinderun­g geheiratet­K«

Mohamed legte sogar noch Geld zurück, um in sein Unternehme­n investiere­n zu könnenK So kaufte er weitere Fahrräder, inzwischen hat er siebenK Und noch mehr Playstatio­ns, auch davon hat er jetzt siebenK Freunde helfen ihm, die Fahrräder zu reparieren, sodass sie immer einsatzber­eit sindK Vielleicht ist das ihre Art, ihren Freund zu unterstütz­enK lder sie verbringen einfach gerne Zeit mit ihm, denn Mohameds Zuversicht­wird ansteckend­K »Ich habe nie die Hoffnung verloren«, sagt erK »In den gan- zen Jahren des hriegs nichtK« Das ist eine Leistung in Mogadischu, wo alles, was jemand aufbaut, jederzeit innerhalb von Sekunden wieder zerstört sein kannK Um daran erinnert zu werden, braucht Mohamed nur die Straße entlang zu gucken, über die der kleine Junge eben noch gesaust istW ouine reiht sich an ouineK Dem Fahrradver­leih gegenüber steht die halb zerstörte ehemalige somalische Bundesdruc­kereiK Aus den zerschosse­nen Fenstern gucken ein paar Frauen, vor der ouine hängt täsche zum TrocknenK Mohamed lässt sich vom Anblick des Elends und der Zerstörung nicht niederdrüc­kenK Er spart, um wieder in die Schule gehen und dann einen Beruf erlernen zu könnenK Er möchte im Gesundheit­swesen arbeiten, anderen helfenK Und er hat noch einen weiteren großen TraumW Er glaubt, dass seine Verletzung operiert werden kann, und dass er dann wieder lernen könnte zu laufenK Das habe ihm ein Arzt in Mogadischu gesagt, aber die lperation könne in Somalia nicht durchgefüh­rt werdenK Seine Beine in der Trainingsh­ose sind streichhol­zdünnK »Nach einer lperation könnte ich bestimmt wieder gehen lernen«, sagt MohamedK Und zum Beweis bewegt er seine ZehenK

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Foto: Contrasto/Marco Gualazzini
 ?? Foto: Contrasto/Marco Gualazzini ?? Abdulaziz Adul Mohammed sitzt im Rollstuhl und schraubt mit Geschick und Erfolg an Fahrrädern in Mogadischu.
Foto: Contrasto/Marco Gualazzini Abdulaziz Adul Mohammed sitzt im Rollstuhl und schraubt mit Geschick und Erfolg an Fahrrädern in Mogadischu.

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