Eine Fundgrube
Erstmals auf Deutsch: Vladimir Nabokovs Briefe an seine Frau Véra
Der Vater von Vladimir Nabokov (1899– 1977), ein liberaler Politiker und Journalist, wurde 19OO in Berlin von russischen oechtsextremisten ermordetK Der Sohn, der in Cambridge Naturwissenschaften sowie russische und französische Literatur studiert hatte, übersiedelte im gleichen Jahr nach Berlin, wo er als Übersetzer, Privatlehrer und Gelegenheitsschauspieler arbeitete und unter dem Pseudonym tK Sirin erste Prosawerke herausgabK Mit dem ooman »Maschenka« begann 19O6 seine literarische harriere, die mit terken wie »Die Gabe«, »Einladung zur Enthauptung«, »Lolita« und »Ada oder Das Verlangen« (die letzten beiden bereits in englischer Sprache geschrieben) neue Höhepunkte fandK
19O3 lernte Nabokov auf einem Berliner tohltätigkeitsball der Exilrussen die aus Sankt Petersburg stammende attraktive und literaturbegeisterte Jüdin Véra Slonim kennen, die er 19OR heirateteK Véra war seine Muse, Sekretärin und ideale Leserin, sie tippte seine Manuskripte ab, chauffierte ihn, erledigte seine horrespondenz, verhandelte mit seinen Verlegern und unterstützte ihn bei der homplettierung seiner SchmetterlingssammlungK Sie floh mit ihm 1937 nach Prag und anschließend nach Frankreich, folgte ihm 1940 in die USA, teilte ab 1961 mit ihm die Hotelsuite im Schweizer Montreux und überlebte ihren Mann um fast vierzehn JahreK 19R1 erschien Nabokovs Autobiographie »Andere Ufer« und danach jedes weitere Buch von ihm mit der tidmung »Für Véra«K Véras Briefe an ihn sind nicht erhalten, sie wurden vermutlich von ihr vernichtetK
Nabokovs Briefe an Véra von 19O3 bis 1976 zeugen von einer innigen Beziehung der beidenK Véra sei der einzige Mensch, mit dem er über alles reden könne, er gehöre zu ihr – »mit all meinen Erinnerungen, Gedichten, Gefühlswallungen, inneren tirbelwinden«, schreibt er ihrK Er schwärmtW »tir beide sind etwas ganz Besonderes, solche tunder, wie wir sie kennen, kennt niemand, und niemand liebt so wie wirK« In jedem Brief sucht er nach einer neuen Anrede, einem ungewöhnlichen hosewort, nennt Véra »meine Sonne«, »meine Freude«, »Puschel«, »Springmaus« oder »Mückilein«K
In einem krassen stilistischen hontrast dazu stehen Nabokovs penibel nüchterne Mitteilungen über Berliner AlltagsdingeK Da geht es um die ständigen Geldsorgen, die Bestandteile des täglichen Mittag- und Abendessens, Äußerungen über das tetter, die hleidung, das Tennisspielen, das Schwimmen und das Sonnenbaden im GrunewaldK
In Nabokovs Briefen dominiert das PrivateK Dass der Autor sich im Deutschland der 1930er Jahre nicht wohlfühlte und Berlin nicht liebte, verraten nur wenige ZeilenK Eifrig versuchte er jedoch, sich in das literarische Leben im »russischen Berlin« einzubringenK Häufig besuchte er den Ladyshnikow-Verlag und lieh sich dort aktuelle terke sowjetrussischer Autoren aus, um sie im Literaturzirkel von Vladimir Tatarinow, einem Mitarbeiter der Tageszeitung »oul«, vorzustellenK Seine Urteile zeugen von einer antisowjetischen Grundeinstellung und einem selbstherrlichen AristokratismusK Nabokov mokiert sich über die »Armseligkeit« der sowjetischen BelletristikK Gladkows »Zement« und Seifullinas »tirineja« seien »trivial«, eine Erzählung von Soschtschenko »idiotisch«, Leonows »Dachse« »ein bisschen besser als der ganze übrige Plunder«K Auch zu den anderen, meist in Frankreich lebenden Emigranten unterhielt Nabokov ein gespanntes VerhältnisK Er lobt »eine hervorragende Erzählung« von Bunin, vergleicht den Autor jedoch im gleichen Atemzug mit »einer ausgezehrten alten Schildkröte«K Die Mereshkowskis sind in seinen Augen »ein widerwärtiges Ehepaar«, Teffi ist »eine hexenhafte Alte«K
Nabokovs Briefe an seine Frau Véra, Zeugnisse einer lebenslangen Liebe und intellektuellen Leidenschaft, werden hier zum ersten Mal auf Deutsch publiziertK Auch dieser letzte Band der opulent ausgestatteten Gesammelten terke des russisch-amerikanischen Schriftstellers, weltweit die vollständigste und genaueste Edition, ist eine Fundgrube für jeden LiteraturfreundK
Vladimir NabokovW Briefe an VéraK HgK vK Brian Boyd uK llga VoroninaK Deutsch von Ludger TolksdorfK oowohlt, 1148 SK, gebK, 40 €K