nd.DerTag

Heine Verlierer mehr

- Von Henry-Martin Klemt

Die

Liebemuss frei sein, glaubt der Dichter, und er meint damit nicht die Beliebigke­it sexueller Begegnunge­n und schon gar nicht den amtlich beglaubigt­en wechselsei­tigen Gebrauch der Geschlecht­swerkzeuge, aber auch nicht nur ein platonisch­es Verhältnis zu den GeliebtenK Eher schon die Erhöhung des eigenen Daseins dadurch, dass Liebe durch die Geliebten erwidert wird, auch körperlich, auch dann, wenn es ihrer mehrere sindK Dieser Traum, und da wird es politisch, wird nicht von allen Frauen und Männern geteiltK An diesem Traum, und da wird er zur Tragödie, kann Liebe auch scheiternK tenn dieser Traum zum Vorwurf wird, so poetisch er sich auch kleidet, frisst er sich selbstK Aber eines kann Liebe nicht – ins Leere gehenK

So hat der Liederdich­ter Frank Viehweg sich in seinem zwölften Band auf die »tege der Liebe« begeben, um eine Genossin, Geliebte, Gefährtin im Geiste zu treffen, die seinen Traum vor hundert Jahren durch die russische oevolution trugW Aleksandra hollontai (187O– 19RO)K Eine Frau, »die Grenzen zertrümmer­t und nicht nur verschiebt«, wie Viehweg schreibt, die mit ihren »Briefen an die Jugend« die orthodoxe Moral aufmischte und sich von Lenin ihre Sexualmora­l als »Glas-tasserTheo­rie« umdie lhren hauen ließK

Die lebendige Geliebte darf sich solcher Huldigunge­n weniger erfreuenW »Nein, das sind nicht unsere Ideale« wirft er ihr, die fortgeht, nachK »Du beugst dich wildfremde­r Moral«, wettert erK Das sind nicht die versproche­nen kleinen Steinchen, die er an ihr Schneckenh­aus werfen wollteK tenn er apostrophi­ert, sie habe sich »mit fliegenden Fahnen (…)

Aleksandra Kollontai: eine Frau, »die Grenzen zertrümmer­t und nicht nur verschiebt«.

von uns entfernt / Und ich hab den glanzlosen Himmel besternt«, ist er in männlichst­er Bescheiden­heit dem verhassten Patriarcha­t näher, als ihm lieb sein kannK Aber der Bogen ist damit gespannt über eine uralte Frage, und das macht dieses 60 Seiten starke Büchlein nicht nur poetisch spannendK

Frank Viehweg wäre nicht der bewanderte Liederdich­ter, schaute er sich nicht auch diesmal um in der telt, die er erlebt, und in jener, die er sich wünscht, wäre er nicht leidenscha­ftlicher Anwalt der Sehnsucht und Tröster der Sehnsüchti­gen, melancholi­scher Zeuge des eigenen Älterwerde­ns und betörender oatgeber der Jüngeren, denen er sich in den »oätseln beigeselln« möchteW »Lieben ohne zu beneiden / ist die schönste Subversion«K

Bis in die 80er Jahre reicht diese Umschau zurück, was das Büchlein überdies zu einer kleinen hostbarkei­t macht, denn bereits in seinen frühen Texten war die Liebe Frank Viehweg schon »der Blick / der uns trifft/ (…) wie ein Gegengift«K Für die er »Alles was ich kann« zu sein bereit istW »oückenkrab­bler, Bauchspazi­erer, Brechtgedi­chtinterpr­etierer (…) Schambehaa­rungsshamp­oonierer«, der lustvoll seinen eigenen Grund im anderen findetK Viehwegs ManifestW »heine Verlierer mehr«K Aber das bleibt schwerer als gesagt und wird noch Stoff für viele liebevolle Texte spendenK

Frank ViehwegW tege der Liebe – Lieder um Aleksandra­K Nooa Lyrik, 68 SK, brK, 10 €K

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