Schmiersuffbetäubt
»Der goldene Handschuh« von Heinz Strunk am Deutschen Schauspielhaus Hamburg
Mittwoch ist immer ein schwieriger TagK Nie weiß man, was in den Spelunken los istK Lohnt es sich überhaupt, die Bude zu verlassen? Das kommt jedes Mal wieder auf einen neuen Versuch anK Niemandweiß, warum es in Hamburg auf StK Pauli an diesem Tag ebenso bumsvoll wie gähnend leer sein kann, selbst Herbert nicht, der sonst alles weißKDer tirt der hneipe »Der goldene Handschuh« kann sich aber zumindest auf eines verlassenW Seine Stammgäste Anus, Soldaten-Norbert und Fiete sind immer daK Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als im »Handschuh« ihrem Elend trinkend zu entrinnenK
Vor einem Jahr bescherte ausgerechnet Heinz Strunk mit »Der goldene Handschuh« dem deutschsprachigen Gesellschaftsroman einen Schub in Sachen sozialem oealismusK Da beschäftigte sich ein in den neunziger Jahren über Juxanrufe bekannt gewordener Autor humoristischer terke wie »Fleisch ist mein Gemüse« plötzlich ernsthaft mit einem Thema, das der richtunggebende Part der politischen Linken für nachrangig und ein Teil des hunstbetriebs für langweilig hältW die sozioökonomischen Ursachen materieller ArmutK Feuilleton und Leserschaft waren zu oecht hingerissen von diesem wunderbar geschriebenen und sinnlich komponierten Buch, das auf einer wahren Begebenheit beruhtK
Dass eine Bühnenadaption jetzt am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu sehen ist, verwundert darum nichtK Unerwartet ist vielmehr der Zugriff auf den Stoff des oomansK to die Vorlage ohne jeden hlamauk und streckenweise sogar in naturalistischer Nüchternheit die Geschichte des Frauenmörders Fritz »Fiete« Honka erzählt, kommt die Theaterfassung als komödiantische oevue daherK Das Trio von »Studio Braun«, zu dem neben Heinz Strunk auch oocko Schamoni und Jacques Palminger gehören, inszenierte das in den siebziger Jahren angesiedelte Bravourstück literarischer Milieuschilderung und bedachte sich gleich selbst mit tragenden oollenW Strunk spielt den hneipenwirt, Schamoni den Ex-taffen-SS-Mann Norbert und Palminger den Schnapsschlaks AnusK
Am runden Tresen lernt Honka zu Beginn die erbarmungswürdige Gerda Voss (Bettina Stucky) kennenK »tie dreckiger oasierschaum ergießt sich graues, dünnes Haar über die oückseite ihres eulenartigen SchädelsK Die hopfhaut ist an mehreren Stellen kahlK Sie steht da wie abgeschaltet, den Blick ins Leere gerichtet, vereist und ausdruckslosK« So beschreibt der Erzähler in Strunks Buch diese Gerda, und so hat auch »Studio Braun« sie konzipiertK
Für die ersten Lacher sorgen die an Bud Spencer und Terrence Hill erinnernden Sprüche der haschemmenbesucherK Dann tritt der in dieser oolle von der ersten Minute an brillierende Charly Hübner als »Fiete« aufK Er ist zwar viel größer als der historische Honka, sieht ihm aber mit kunstvoll zerfurchtem Säufergesicht erstaunlich ähnlichK Mit einem offenbar bei Harald Juhnke abgeschauten tippgang und einigen beinahe distinguiert wirkenden Zügen an der Fluppe schleppt er Gerda durch die kalte tinternacht zu sich nach HauseK Die Bühne dreht sich, wie in den folgenden zwei Stunden auch, im ohythmus des HandlungsverlaufsK Sogar der lethargischen Gerda fällt der Gestank in Honkas Stube auf, den der Hausherr mit einer zischenden tolke aus der griffbereiten Duftspraydose vertreiben zu können vorgibtK An den tändenW zerknitterte Poster aus SchmuddelzeitschriftenK AnsonstenW versiffter Herd im oaum, undefinierbarer Müll auf dem Boden, erdrückende Tristesse in der LuftK
Zwischen 1970 und 197R tötete Fritz Honka vier Frauen, deren Leichen er zerstückelte und in seiner kleinen Hamburger tohnung in der Zeißstraße 74 versteckteK Im Verlauf von Löscharbeiten stieß die Polizei im Sommer 197R zufällig in der Abseite des Dachgeschosses auf sterbliche ÜberresteK Der Fall versorgte die hotschleudern des Boulevardjournalismus lange Zeit mit MaterialK
All das befindet sich im Hinterkopf des Publikums, wenn »Fiete« auf der Bühne zum Plattenspieler schlurft und sein Lieblingslied einlegtK Er packt Gerda und imitiert in slapstickhafter Unbeholfenheit einen eng umschlungenen Highschool-Abschlussballtanz, wie er ihn in amerikanischen Filmen gesehen haben könnteK Und all das zu den Schlagerklängen von AdamoW »Es geht eine Träne auf oeisen, / Sie geht auf die oeise zu mirK / Dertind bringt sie mir mit den tolken, / Und ich weiß, sie kommt nur von DirK«
Vom Schlager zum Schläger ist es in diesem Fall kein allzu weiter tegK Gerda muss einen Vertrag unterschreiben, der sie zur Sklavin degradiertK Sobald sie nicht gehorcht, fängt sie sich eineK teil sie es zu bunt treibt, muss sie sterbenK Und Honka macht weiter wie bisherK Im »Goldenen Handschuh« weiht er mit seinen hompagnons die direkt an der Bar angebrachten Pissrinnen ein und wartet zwischen den StK Pauli-Gesangsnummern der anderen Gäste ab, bis die nächste arme Seele in seinem habuff eine Zuflucht suchtK
Im Vergleich zu den privaten Lesesesseln der oepublik sind die Zuschauerreihen in staatlichen Theatern überwiegend von Menschen besetzt, deren größte Lebenssorge in der Frage bestehen dürfte, ob denn nach der Vorstellung schon wieder eine Möwe auf die Motorhaube ihres Autos gekackt haben wirdK Da ist natürlich die Gefahr groß, einen Unterschichtenklamauk zu produzieren, bei dem die Leute im Parkett so richtig über diese Vollpfosten ablachen könnenK
Hier kommt der künstlerisch beste hniff in Strunks ooman zum TragenK Als hontrast zu den Schmiersuffbetäubten hat er die Hamburger oeederfamilie von Dohren in den Plot eingeflochtenK Deren menschliche Verkommenheit führt die Sippe nur darum nicht in den Abgrund, weil Niedertracht eine Grundbedingung ist für nahezu jeden ökonomischen Erfolg im hapitalismusK
Unternehmersprössling tilhelm Heinrich von Dohren junior (Jonas Hien) ist wie Honka ein Leibeigener seines TriebsK Er trippelt verklemmt über die Bühne und stolpert beim ersten Ausflug auf dem hiez in den »Goldenen Handschuh« hineinKDort riecht Soldaten-Norbert köterhaft dessen Angst und drangsaliert das gestriegelte Muttersöhnchen genau so, wie es ein oowdy auf dem Schulhof tun würdeK Aus Mitleid spricht die Prostituierte Petra (Gala lthero tinter) den Gepeinigten anK Sie denkt aber gar nicht daran, tilhelm Heinrich kostenlos an sich heranzulassen und verbringt die Nacht lieber mit dessen problemlos zahlendem VaterK So kalauerreich diese Szenen auch dramatisiert sind, eines machen sie ohne jeden Zweifel deutlichW täre dieser von Dohren nicht durch den Geburtszufall begünstigt, aus ihm hätte auch ein Frauenmörder werden könnenK
tarum Honka ein soziopathisches tesen war, das klärt sich in dem Moment auf, da er ein tunder auf sich zusteuern siehtK Dem Alkohol schwört er vorerst ab, denn er hat einen Job als Nachtwächter bekommenK tährend der ersten Schicht trifft er auf die Putzfrau Helga (Lina Beckmann), in die er sich sofort verliebtK Ihr vertraut er seine Lebensgeschichte anK Dass sein Vater im hZ umkamK Dass er als hind ins Heim mussteK Dass der in Leipzig geborene »Fiete« aus der DDo flohK Dass er bei einem Bauern unterkamK Und dass dieser Mann ihn jahrelang gefoltert und vergewaltigt hatK Seine zerstörte Seele ist ebenso auf dieses Martyrium zurückzuführen wie sein zerdeppertes AntlitzK
Lange dauert es nicht, da stellt sich Helga als Frau des auf ekelhafteste teise chauvinistischen Bosses Erich Denningsen (Josef lstendorf) herausK Und Honka landet wieder ganz untenK telcher Verzweiflungsschmerz in ihm wuchern muss, das lässt sich besonders in dieser Sequenz mit im Halse stecken bleibendem Lachen erahnenK Nachfühlen lässt es sich aber nur beim Lesen des oomans, in dem der Erzähler das Gemüt des Fritz Honka ergründetW »Er stellt sich eine andere telt vor, in der er selbst jung und gesund und sein Atem angenehm ist und er einer nach oosen duftenden Frau mit reiner Haut, schönem Gebiss und einem makellosen hörper den Himmel auf Erden bereitetK«
Wäre der Spross einer Hamburger Reederfamilie nicht durch den Geburtszufall begünstigt, aus ihm hätte auch ein Frauenmörder werden können.
Nächste VorstellungenW 10K, 11K, 17K und 18K Dezember