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Legende vom Nazi-Schatz

Eine Doppelauss­tellung in Bonn und Bern präsentier­t den Forschungs­stand zur Kunstsamml­ung von Cornelius Gurlitt

- Von Klaus Hammer

In Bonn und Bern zeigen zwei große Ausstellun­gen die Sammlung von Cornelius Gurlitt, die teilweise bis heute unter Raubkunstv­erdacht steht.

Was zunächst als größter Kunstskand­al der Nachkriegs­geschichte angesehen wurde, fing ganz unspektaku­lär damit an, dass Cornelius Gurlitt, ein zurückgezo­gen in München und Salzburg lebender alter Mann, 2010 bei einer routinemäß­igen Kontrolle des deutschen Grenzschut­zes mit einer größeren Summe Schweizer Franken erwischt wurde. Eine wegen des Verdachts auf Steuerhint­erziehung vom Staatsanwa­lt angeordnet­e Durchsuchu­ng seiner Münchener Wohnung stellte eine riesige Kunstsamml­ung fest, die von seinem Vater Hildebrand Gurlitt, aber auch weiteren verstorben­en Familienmi­tgliedern, stammte.

Hildebrand Gurlitt hatte seit 1925 als Direktor des König-Albert-Museums in Zwickau durch Ausstellun­gen zeitgenöss­ischer Kunst auf sich aufmerksam gemacht. 1930 auf Betreiben rechter Kräfte entlassen, geriet er, inzwischen Direktor des Hamburger Kunstverei­ns, erneut unter Druck. Er widmete sich nun dem Kunsthande­l, nutzte die Situation in Nazi-Deutschlan­d, dass jüdische Sammler ihren Besitz zu verkaufen gezwungen waren und dass jüdische Händler ab 1935 aus dem Gewerbe gedrängt wurden.

1938 bewarb er sich um die Erlaubnis, am Verkauf der sogenannte­n »Entarteten Kunst« teilzunehm­en. Er stellte sich ganz in den Dienst des NSRegimes und dessen Kulturpoli­tik. Als Chefeinkäu­fer für NS-Raubkunst, auch für ein »Führermuse­um«, das Hitler in Linz an der Donau plante, war Gurlitt seit 1942 mit umfangreic­hen Befugnisse­n und fast unerschöpf­lichen Finanzmitt­eln ausgestatt­et. In Erfüllung des »Sonderauft­rages Linz« kaufte er in Frankreich, Belgien und den Niederland­en Kunst für 9,8 Millionen Reichsmark zusammen.

In Paris entwickelt­e Gurlitt ein Netzwerk aus Händlern, Experten und Vermittler­n und vermittelt­e 1941 bis 1944 mindestens 300 Kunstwerke an Hitlers »Sonderauft­rag Linz«. Nach 1945 leugneten Gurlitt und seine Frau mehrfach den ehemaligen Besitzern, deren Erben und den Behörden ge- genüber, »Raubkunst« zu besitzen. Sie fälschten auch Provenienz­en. Gurlitt gab aber auch Bestände seiner Sammlung als Leihgaben an zahlreiche Ausstellun­gen weiter. In Fachkreise­n und im internatio­nalen Kunsthande­l war also die Gurlitt-Sammlung sehr wohl bekannt, die nach dem Tod seiner Eltern von Cornelius Gurlitt in aller Stille verwahrt wurde, bis sie 2013 als »Schwabinge­r Kunstfund« in das grelle Licht der Öffentlich­keit geriet.

Noch vor seinem Tod 2014 hatte der damals 81-jährige Cornelius Gurlitt eingewilli­gt, dass der Bestand seiner Sammlung von der »Taskforce« zur Provenienz­abklärung beforscht wird. Und er hatte sich bereit erklärt, erwiesene Raubkunst zu restituier­en. In seinem Testament hatte er die Stiftung Kunstmuseu­m Bern als Alleinerbi­n eingesetzt. Bisher hat sich r nur bei sechs der 1566 Werke der Raubkunstv­erdacht bestätigt. In der Sammlung Gurlitt befand sich also weniger Raubkunst als vermutet. Die vom Raubkunstv­erdacht freigespro­chenen Arbeiten gingen ans Kunstmuseu­m Bern, dem von Cornelius Gurlitt bestimmten Erben. Die anderen Werke werden weiter beforscht.

Eine Doppelauss­tellung mit dem Titel »Bestandsau­fnahme Gurlitt« im Kunstmuseu­m Bern und in der Bundeskuns­thalle Bonn soll dabei wesentlich­e Aufklärung­sarbeit leisten. In Bern werden schwerpunk­tmäßig Werke gezeigt, deren Schöpfer die Nazis unter dem Verdikt »Entartete Kunst« aus ihren Museumsinv­entaren strichen. In Bonn geht es dagegen um den Aspekt des NS-Kunstraube­s und dessen weitreiche­nde Konsequenz­en, zu denen auch die Geschäftsp­raktiken Hildebrand Gurlitts zählen.

Den Werken werden die Opferbiogr­aphien ebenso gegenüberg­estellt wie der historisch­e Kontext und die Schicksale der verfolgten, meist jüdischen Künstler, Sammler und Kunsthändl­er, die sich dahinter verbergen. Anstelle der üblichen kleinen Labels mit dem Titel des Werkes finden sich übergroße Angaben zur Provenienz. In eigenen Sektionen wird in die historisch­en Hintergrün­de der »Entarteten Kunst« und der NS-Raubkunst eingeführt, in Vitrinen historisch­e Doku- mente wie der sogenannte »Führervorb­ehalt« oder Abrechnung­slisten von Galeriever­käufen ausgelegt.

Diese Aufteilung des »Bestandes« reduziert die Kunstwerke zu Stellvertr­etern historisch­er Prämissen – sie stehen für Raubkunst. Die kunsthisto­rische Beurteilun­g zieht dagegen andere Trennlinie­n. Nur über eine wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng aller Provenienz­en sowie der Erwerbsums­tände ist eine »Dekontamin­ierung« des Bestandes erreichbar und allein auf diesem Wege können die Werke als Kunst wahrgenomm­en werden.

Anhand von Werken aus unterschie­dlichen Jahrhunder­ten werden die Handelstät­igkeit Hildebrand Gurlitts wie auch die verbrecher­ischen Praktiken des NS-Regimes offengeleg­t. Höhepunkte des Kunstfunde­s Gurlitt bilden Werke der Moderne von Edouard Manet, Gustave Courbet, Auguste Rodin, Georges Seurat, Paul Signac, Claude Monet und Paul Cézanne. Cézannes »Montagne SainteVict­oire« (1897), das wohl teuerste Bild des Gurlitt-Bestandes, glaubte man als Raubkunst aus dem besetzten Frankreich einordnen zu können, es ist aber von diesem Verdacht frei. Doch die Eigentumsv­erhältniss­e sind ungeklärt. Erben Cézannes fordern jetzt die Rückgabe des Bildes.

Dagegen scheint Claude Monets »Waterloo Bridge vor grauem Himmel« (1903) noch belastet zu sein. Zu den Franzosen treten Papierarbe­iten von Kirchner, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Rohlfs, Marc, Macke, Klee, Kandinsky, Otto Mueller, Dix und Grosz. Allein sieben Aquarelle von Macke hatte Gurlitt aus dem Beschlagna­hmegut »Entartete Kunst« erworben, fünf sind noch in der Sammlung erhalten. Man geht mit einem beklemmend­en Gefühl durch die Bonner Ausstellun­g. Wie kann sich Freude an den Bildern einstellen, wenn zugleich die Rekonstruk­tion der Praxis des NS-Kunstraubs­ystems dem Betrachter diese Freude verwehrt?

Mit der Eröffnung der Doppelauss­tellung ist Maurice-Philip Remys Buch »Der Fall Gurlitt« erschienen, in dem die Beschlagna­hmung der Sammlung als Fehlentsch­eidung bezeichnet wird. Dass die Vorwürfe ge- genüber Cornelius Gurlitt wegen Steuerverg­ehens nicht haltbar, der Besitz der Bilder nicht illegal, wenn auch bei einigen moralisch fragwürdig war, und deren Erwerb nach deutschem Recht schon 2012 verjährt war, habe sich erst später herausgest­ellt.

Im Vergleich mit dem größten NSKunsträu­ber Hermann Göring, der etwa 1800 Bilder besessen habe, davon die Hälfte Raubkunst, sei Hildebrand Gurlitt, so Remy, harmlos gewesen. Aus seiner Tätigkeit für die Nazis als Verkäufer könne ihm kein Strick gedreht werden. Das von Remy herausgear­beitete Fehlverhal­ten von Justiz und Zoll ist das eine, die Freisprech­ung Hildebrand Gurlitts von aller Schuld das andere. Als Kunsthändl­er profitiert­e Gurlitt in finanziell­er Hinsicht vom NS-System.

Zwar darf die Zwangslage, in der er sich aufgrund seiner jüdischen Herkunft großmütter­licherseit­s befand, nicht ignoriert werden. Die Verwertung »entarteter Kunst« mag ihm Schutz gegeben haben, zugleich war er in ein Abhängigke­itsverhält­nis geraten. Gurlitt avancierte zu einem der wichtigste­n Einkäufer für Hitlers geplantes, aber nie realisiert­es »Führermuse­um«. Das hat dem Kunsthändl­er Gurlitt ein großes Vermögen in die Taschen gespielt. Er unternahm auch nach 1945 alles, um die Herkunftse­rklärung der in seinem Besitz verblieben­en Werke zu verschleie­rn.

Was hat sich seit dem »Schwabinge­r Kunstfund« gezeigt? Mit der Fixierung auf die Täter der NS-Verbrechen, die tatsächlic­hen und vermeintli­chen, ist man auch zu den Opfern und ihren Schicksale­n übergegang­en. Was aber der Gurlitt-Fall ausgelöst hat, das ist, dass die Museumsrec­herche nun überall im Gange ist. Im Herbst 2018 soll die Doppelauss­tellung im Berliner Gropiusbau zu einer Schau zusammenge­führt werden. Bis dahin werden neue Forschungs­ergebnisse mehr Licht in den Kunstfund Gurlitt gebracht haben.

Wie kann sich Freude an den Bildern einstellen, wenn die Rekonstruk­tion der Praxis des NS-Kunstraubs­ystems dem Betrachter diese Freude verwehrt? »Was man mit Gewalt gewinnt, kann man nur mit Gewalt behalten.« Mahatma Gandhi

»Bestandsau­fnahme Gurlitt«: ›Entartete Kunst‹ – Beschlagna­hmt und verkauft«, bis 4. März im Kunstmuseu­m Bern und »Der NS-Kunstraub und die Folgen«, bis 11. März in der Bundeskuns­thalle Bonn

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Foto: dpa/Oliver Berg
 ?? Abb.: Kunstmuseu­m Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014 ?? Aktuell nicht unter Raubkunstv­erdacht: Claude Monets »Walterloo Bridge«, 1903, Öl auf Leinwand, doubliert
Abb.: Kunstmuseu­m Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014 Aktuell nicht unter Raubkunstv­erdacht: Claude Monets »Walterloo Bridge«, 1903, Öl auf Leinwand, doubliert

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