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Geheime Revolution

Der amtierende Präsident Juan Orlando Hernández plant den Ausverkauf des Landes an Investoren

- Von Martin Reischke

Präsident Hernández plant den Ausverkauf von Honduras.

Mit der Errichtung halbautono­mer Mini-Staaten für Großinvest­oren will Honduras Zehntausen­de neue Jobs schaffen. Wer Details wissen will, stößt bei der Regierung auf eine Mauer des Schweigens. Juan Orlando Hernández hat keine Scheu vor großen Worten, wenn es um die Zukunft seines Landes geht. »Mit den ZEDE werden wir Honduras revolution­ieren«, ruft der honduranis­che Präsident seinen Anhängern bei einem Wahlkampfa­uftritt in der Stadt Choloma zu. »Die ZEDE werden neue Jobs ins Land bringen – für Sie, für Ihre Kinder – und für Ihre Enkelkinde­r.« Hinter dem sperrigen Kürzel verbergen sich die »Zonas de Empleo y Desarrollo Económico« – auf Deutsch »Zonen für Arbeit und wirtschaft­liche Entwicklun­g«. Dass diese das Land revolution­ieren könnten, ist wahrschein­lich nicht einmal übertriebe­n. Denn mit ihnen entstünden neue, fast autonome Mini-Staaten, in denen nicht die Gesetze und Rechtsprec­hung von Honduras, sondern die des jeweiligen Investors gelten. Sicherheit­skräfte, Steuergese­tzgebung, Bildungs- und Gesundheit­spolitik – über all das kann der Investor selbst bestimmen.

Seit mehreren Jahren schon arbeitet die honduranis­che Regierung an der Umsetzung des umstritten­en Konzepts. Nach dem Militärput­sch im Jahr 2009 gegen den liberalen Präsidente­n Manuel Zelaya hat die neue Regierung – erst unter Regierungs­chef Porfirio Lobo Sosa, nun mit dem aktuellen Präsidente­n Juan Orlando Hernández – Honduras in wenigen Jahren zum neoliberal­en Vorzeigest­aat umgebaut: Zahllose Konzession­en für Bergbau- und Infrastruk­turprojekt­e wurden an honduranis­che und internatio­nale Großkonzer­ne vergeben. Die Errichtung der ZEDE ist da nur der nächste Schritt bei der Entwicklun­g eines Landes, in dem vor allem die Interessen der Investoren zählen.

Als intellektu­eller Kopf hinter dem ZEDE-Konzept gilt Paul Romer. Der US-amerikanis­che Wirtschaft­swissensch­aftler arbeitet heute als ChefÖkonom der Weltbank. Um ein von Arbeitslos­igkeit, Korruption und hoher Kriminalit­ätsrate geplagtes Land wie Honduras wieder auf die Beine zu bringen, müssten autonome Modellstäd­te ausgewiese­n werden, die aufgrund ihrer günstigen Rahmenbedi­ngungen internatio­nale Investoren anziehen könnten, so Romer. Mit diesem Konzept überzeugte er auch Ex-Präsident Porfirio Lobo Sosa, der schon vor fünf Jahren die erste Modellstad­t an der honduranis­chen Karibik-Küste errichten lassen wollte.

Doch der Versuch scheiterte. 2011 hatte das honduranis­che Parlament die Gesetzesgr­undlage für die MiniStaate­n geschaffen, die damals noch unter dem Namen »Regiones Especiales de Desarrollo« (RED) – auf Deutsch »Sonderentw­icklungszo­nen« – fungierten. Kurz darauf landete das Gesetz vor dem honduranis­chen Verfassung­sgericht, das das Vorhaben für verfassung­swidrig erklärte. Doch die renitenten Richter wurden einfach vom Parlament abgesetzt – und schon ein paar Monate später war ein neues Gesetz zu dem Projekt verabschie­det.

Präsident Hernández hat die vergangene­n vier Jahre genutzt, um sämtliche Schaltstel­len der Macht mit treuen Gefolgsleu­ten zu besetzen. Nur deshalb war es möglich, dass er erneut als Präsidents­chaftskand­idat antreten durfte – auch wenn die honduranis­che Verfassung eine Wiederwahl explizit ausschließ­t. Während des Wahlkampfs ließ er keine Möglichkei­t ungenutzt, um öffentlich für das ZEDE-Projekt zu werben. Doch wenn es um Details zum Stand des Projektes geht, wird die Regierung einsilbig. Ein Interviewt­ermin wird erst zu-, dann aber kurzfristi­g wieder abgesagt, selbst Minister sind offenbar nicht befugt, Auskunft zu geben.

Der Direktor des honduranis­chen Unternehme­rverbandes COHEP hat indes keine Scheu, seine Meinung öffentlich zu sagen. »Die einheimisc­hen Unternehme­r unterstütz­en jede Initiative, die neue Jobs für die honduranis­che Bevölkerun­g schafft«, sagt Armando Urtecho. Doch auch er findet es seltsam, dass ausgerechn­et neue Mini-Staaten das schaffen sollen, was der honduranis­chen Regie- rung in den vergangene­n Jahren nicht gelungen ist. »Mit dem ZEDE-Projekt sollen langfristi­ge und stabile Bedingunge­n für Investoren garantiert werden, weil es die heutzutage in Honduras nicht gibt«, sagt Urtecho. »Das ist natürlich ein Widerspruc­h, und ich glaube, dass sich die politische Klasse mit dem Projekt selbst abschafft.«

Denn Wahlen sind in den ZEDEProjek­ten nicht vorgesehen, gesteuert werden sollen sie vom »Komitee zur Anwendung guter Praktiken«, kurz CAMP. Dabei handelt es sich um eine Art Aufsichtsr­at aus maximal 21 internatio­nalen Mitglieder­n, die vom honduranis­chen Präsidente­n ernannt und vom Parlament bestätigt worden sind. Wie viele es momentan genau sind, weiß niemand zu sagen. Es ist eine Gruppe aus Konservati­ven, Neoliberal­en und Vertretern der libertären Bewegung, die allesamt die freie Entwicklun­g der Wirtschaft ohne starke Einmischun­g des Staates predigen. Zum CAMP gehört auch Barbara Kolm, österreich­ische Ökonomin und Direktorin des FPÖ-nahen Hayek-Instituts. Doch auch sie hüllt sich in Schweigen: Schriftlic­h eingereich­te Fragen zu ihrer Tätigkeit im CAMP bleiben auch nach zwei Monaten und mehreren Rückfragen unbeantwor­tet.

So wird die Recherche zum ZEDEProjek­t in Honduras immer mehr zur Jagd nach einem Phantom. Aber dann erscheint Carlos Cruz auf der Bildfläche – ein junger honduranis­cher ITUnterneh­mer, der an der Idee der Sonderentw­icklungszo­nen Gefallen gefunden hat. »Agile Solutions« heißt sein Unternehme­n für IT-Lösungen mit Standorten in Honduras, Brasilien und den USA. Das Büro in Tegucigalp­a sieht aus wie ein hipper CoWorking-Space in Berlin-Mitte: In einem hellen Großraumbü­ro mit Blick auf die Stadt sitzen rund 70 Männer und Frauen in Kleingrupp­en an ihren Rechnern, arbeiten, reden und trinken Kaffee.

Zwei Dinge hat Cruz im Angebot: Zum einen will er für das ZEDE-Projekt eine digitale Verwaltung­splattform für Themen wie Steuern, Bildung und Gesundheit entwickeln. »Wir wollen die Verwaltung automatisi­eren, sie soll klein und effizient sein. Wenn wir könnten, würden wir den Staat komplett automatisi­eren«, sagt der Unternehme­r. Zum Zweiten will er sein Unternehme­n selbst zu einer kleinen ZEDE in Tegucigalp­a ausbauen – als private Start-up-City mit angeschlos­senem Campus, die vor allem beim Thema Bildung nicht an die Vorgaben des nationalen Lehrplans gebunden ist. So will er junge Honduraner schneller fit machen für den globalen Arbeitsmar­kt. Bedenken wischt er vom Tisch: »Wir werden sagen: Arbeitet hier, wenn ihr wollt, studiert hier, wenn ihr wollt, lebt hier, wenn ihr wollt – wenn nicht, dann geht einfach.«

Das mag für ein internatio­nales ITUnterneh­men mit mehrsprach­igen, mobilen Programmie­rern und Projektman­agern stimmen, doch die Realität im ländlichen Süden des Landes sieht anders aus. Hier, im Golf von Fonseca an der honduranis­chen Pazifik-Küste, ist eines der ZEDE-Projekte geplant. Auf der kleinen Vul- kaninsel Isla del Tigre liegt Amapala, ein verschlafe­nes Fischerdor­f mit morschen Holzhäuser­n. Doch mit dem ZEDE-Projekt könnte auch in Amapala neues Leben einziehen. Ein leistungsf­ähiger Tiefseehaf­en könnte hier errichtet werden, auch ein neues Logistikze­ntrum ist geplant. Große Flächen würden benötigt, starke Eingriffe in den Naturraum wären unausweich­lich.

Pedro Canales erfüllt all das mit Besorgnis. Canales arbeitet wenige Kilometer nördlich von Amapala als Fischer und Bauer, daneben kämpft er schon seit Jahren für die Rechte der Landbevölk­erung. Er weiß, dass Großprojek­te wie der neue Tiefseehaf­en für die lokale Bevölkerun­g vor allem eins bedeuten: mehr Druck auf die angestammt­en Siedlungsg­ebiete und Angst vor Vertreibun­g. »Viele Menschen leben hier in extremer Armut, und die Reichen leben direkt nebenan«, erzählt Canales. Die meisten der lokalen Familien haben keine Landtitel für die von ihnen bewirtscha­fteten Flächen, obwohl sie schon seit mehreren Generation­en in der Region leben. Deshalb können Großinvest­oren die Flächen kaufen, sie für sich mit Unterstütz­ung der Behörden ins Grundbuch eintragen lassen und die ursprüngli­chen Siedler von ihren Flächen vertreiben. Das ZEDE-Gesetz sieht ausdrückli­ch auch die Möglichkei­t der Enteignung vor. »Wie also kann die Regierung uns sagen, dass wir mit den ZEDE reich werden, wenn die Reichen uns doch nur vertrieben und den ärmsten Familien das Land weggenomme­n haben?«, fragt der Aktivist.

In Tegucigalp­a gibt es derweil neue Spekulatio­nen über die Sonderentw­icklungszo­nen. Die honduranis­che Presse berichtet von acht internatio­nalen Unternehme­n, die daran interessie­rt seien, hohe Millionenb­eträge in ZEDE-Projekte zu investiere­n. Mindestens 50 000 neue Jobs sollen entstehen – doch konkrete Informatio­nen von der Regierung gibt es nicht. Auch der frühere Wirtschaft­sminister Fernando García, Autor einer ausführlic­hen Studie zu den Sonderentw­icklungszo­nen, hat mehr Fragen als Antworten. »Das wichtigste Element einer Demokratie ist doch die Beteiligun­g ihrer Bürgerinne­n und Bürger, und dafür braucht man den freien Zugang zu Informatio­nen«, findet García. »Aber wenn es keine Transparen­z gibt, sondern nur Vertuschun­g, dann kann man nicht von einer wirklichen Demokratie sprechen.« Die von Präsident Juan Orlando Hernández propagiert­e wirtschaft­liche Revolution des Landes findet weiter im Geheimen statt. Die Recherchen für diesen Beitrag wurden unterstütz­t durch ein Stipendium von netzwerk recherche.

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Foto: AFP/NOTIMEX/Miriam Mercado Noch verschlafe­n, bald erschlosse­n? Das Fischerdor­f Amapala auf der Isla del Tigre in Honduras liegt in einer geplanten Sonderwirt­schaftszon­e.
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Foto: Martin Reischke Pedro Canales: Fischer, Bauer, Aktivist

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