Bundesweite Razzien nach G20-Protesten
Durchsuchungen mit 600 Polizisten in acht Bundesländern / Drei Jahre Gefängnis für Randalierer
Mit einem Großaufgebot gingen Hunderte Beamte am Dienstag gegen vermeintliche Teilnehmer eines »Schwarzen Blocks« vor. Infolge der Ausschreitungen beim G20-Gipfel im Juli in Hamburg hat es am Dienstagmorgen bundesweite Razzien gegeben. Ab sechs Uhr früh wurden Wohnungen in acht Bundesländern durchsucht, unter anderem in Hamburg, Berlin und Niedersachsen, teilte die Hamburger Polizei mit. Festnahmen gab es keine. Insgesamt waren fast 600 Polizisten im Einsatz.
Die Razzien stehen im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs am Morgen des 7. Juli am Hamburger Rondenbarg. Wegen der dortigen Auseinandersetzung zwischen der Polizei und einer Gruppe AntiG20-Demonstranten steht auch der italienische Aktivist Fabio V. vor Gericht.
Wie die Hamburger Polizei am Montagmittag in einer Pressekonferenz erklärte, hatten die Beamten insgesamt 24 Objekte im Visier, darunter private Wohnungen und linke Stadtteilzentren. Das linke Hamburger Kulturzentrum »Rote Flora« wurde bei dem Einsatz am Dienstag aber nicht durchsucht, so ein Polizeisprecher. In der Stadt kontrollierten Beamte aber die Wohnung eines mutmaßlichen Mitglieds der linksradikalen Gruppe »Roter Aufbau Hamburg«. Die Vereinigung hatte mit teilweise martialischen Videos für die Proteste gegen den G20-Gipfel geworben.
Laut der Polizei Hamburg ging es bei den Razzien ausschließlich um die Ereignisse am Morgen des 7. Juli in der Straße Rondenbarg ging. Damals kam es nach Darstellung der Beamten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen etwa 200 Gipfelgegnern und den Einsatzkräften. Ein Polizeivideo weckte jedoch bald Zweifel an der Darstellung der Beamten. Unstrittig ist: Es gab damals 70 Festnahmen, darunter 15 Verletzte mit Arm- und Beinbrüchen.
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer machte deutlich, dass allein die Teilnahme am »Schwarzen Block« bereits für die Ermittlungen ausreichte, da die Angriffe auf die Polizei niemandem aus der Gruppe verborgen geblieben sein könnten.
Bei der Razzia wurden vor allem Laptops, Mobiltelefone und Speichermedien beschlagnahmt. In allen Fällen sei sicher, dass die Beschuldigten bei den Ereignissen in der Rondenbarg dabei gewesen seien, so die Polizei. Für die Sonderkommission gehe es darum, näher an den »Kern der autonomen Szene heranzukommen«.
Für Aufregung sorgte die Ankündigung der Polizei, weitere Beschuldigte mittels Öffentlichkeitsfahndung suchen zu wollen. Es seien noch für diesen Monat Maßnahmen geplant.
Mit drei Jahren und drei Monaten Gefängnis für einen 30Jährigen hat derweil Hamburgs Justiz ihr bislang härtestes Urteil gegen einen G20-Randalierer verhängt. Der Angeklagte habe in der Nacht zum 8. Juli in der Sternschanze Polizisten mit Steinen beworfen und Geschäfte ausgeräumt, begründete der Richter seine Entscheidung.
Die Durchsuchungen der Polizei bei G20-Kritikern sorgen in der linken Szene für Kritik. Offenbar stehen die Ermittler unter Zugzwang.
Die Auseinandersetzung zwischen der Polizei und einer Gruppe von rund 200 Aktivisten bei den G20-Protesten am Hamburger Rondenbarg steht weiter im Mittelpunkt der polizeilichen Ermittlungen. Am frühen Dienstagmorgen durchsuchten Beamte 24 Wohnungen und linke Räumlichkeiten in acht Bundesländern, mit dem Ziel, weitere Beweismittel für die Ermittlungen wegen des Verdachts auf schweren Landfriedensbruch am Morgen des 7. Juli zu sichern.
Wegen der damaligen Auseinandersetzung zwischen der Polizei und einer Gruppe Anti-G20-Demonstranten im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld steht auch der italienische Aktivist Fabio V. vor Gericht. Ob es sich bei den Vorkommnissen um Landfriedensbruch handelte, ist umstritten.
Nach Augenzeugenberichten gingen die Polizisten bei den Razzien insbesondere in Göttingen äußerst rabiat vor. Dort wurden Wohnungen über dem »Roten Zentrum« durchsucht, in dem verschiedene linke Gruppen der Stadt ihre Treffpunkte haben, sowie das Privathaus eines Kreistagsabgeordneten der Piraten. Ein Nachbar des »Roten Zentrums« schilderte, dass sich die Polizei dort mit einer schweren Brechstange Zutritt verschafft habe. Zwei Personen wurden demnach verletzt, eine musste mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht werden.
Im Haus des Piratenpolitikers Meinhart R. saß dessen Familie gerade beim Frühstück, als rund zwei Dutzend Polizisten gegen die Tür bollerten und anschließend in die Wohnung stürmten. Er selbst sei gar nicht bei den G20-Protesten in Hamburg gewesen, sagte R., nur seine Frau habe an der Demonstration teilgenommen. Dennoch habe die Polizei alle seine Festplatten beschlagnahmt, auch die Handys der gesamten Familie seien mitgenommen worden.
Die Grüne Jugend Göttingen sprach von einem »brutalen und martialischen Vorgehen« der Beamten. »Die heutigen Razzien sind eine skandalöse politische Inszenierung«, sagte ein Mitglied der Jugendorganisa- tion. »Hier geht es nicht um die Aufklärung von Straftaten, sondern um die nachträgliche Legitimierung des völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatzes beim G20-Gipfel und um Schikane gegen politisch Aktive. Der Staat verliert gerade die Deutungshoheit über die G20-Geschehnisse und reagiert jetzt mit einer medialen Show.«
Lena Rademacher von der Gruppe »Baisdemokratische Linke« äußerte sich »überzeugt, dass die Polizei versucht, ihre Fehltritte im Nachhinein zu legitimieren, indem sie dieses unverhältnismäßige Bedrohungsszenario heraufbeschwört«.
In Bonn durchsuchten Beamte zudem Wohnungen von Mitgliedern der ver.di-Jugend. Mehrere junge Gewerkschafter waren am Rande der G20-Proteste vorübergehend festgenommen worden – ebenfalls in der Situation am Rondenbarg. Drei von ihnen saßen in Untersuchungshaft. Bei allen Betroffenen beschlagnahmte die Polizei nach Angaben der Bonner Anwältin Anna Busl Handys, Laptops, USB-Sticks und Notizen.
Verschiedene linke Gruppen äußerten am Dienstag ihre Solidarität mit den Beschuldigten. »Das Ziel solcher Aktionen ist immer auch Einschüchterung und Spaltung«, so Emily Laquer von der Interventionistischen Linken. »Diese Absicht der Ermittlungsbehörden wird scheitern.« Die Behauptung, am Rondenbarg habe es schwere Ausschreitungen und Angriffe gegeben, bleibe »bislang ohne Belege«.
Die Linksjugend warnte nach den Razzien davor, dies sei der Versuch einer Kriminalisierung von linken Aktivisten: »Was bei Fabio anscheinend nicht klappt, soll bei den nächsten weitergehen.«
Für Diskussion sorgte zudem, dass die G20-Aktivisten offenbar im Vorfeld über die geplante Razzia informiert waren. Entsprechende Hinweise kursieren in den sozialen Netzwerken. Nach nd-Informationen wurden entsprechende Warnungen bereits am Montag über verschlüsselte Nachrichtendienste verschickt. Der Leiter der Soko, Jan Hieber, kommentierte dies auf einer Pressekonferenz: »Bei Einsätzen dieser Größenordnung besteht immer die Gefahr, dass Informationen nach außen gelangen könnten. Bei einem Objekt hatten die Kollegen das Gefühl, erwartet zu werden.«