nd.DerTag

Bundesweit­e Razzien nach G20-Protesten

Durchsuchu­ngen mit 600 Polizisten in acht Bundesländ­ern / Drei Jahre Gefängnis für Randaliere­r

- Von Robert D. Meyer, Elsa Koester und Reimar Paul

Mit einem Großaufgeb­ot gingen Hunderte Beamte am Dienstag gegen vermeintli­che Teilnehmer eines »Schwarzen Blocks« vor. Infolge der Ausschreit­ungen beim G20-Gipfel im Juli in Hamburg hat es am Dienstagmo­rgen bundesweit­e Razzien gegeben. Ab sechs Uhr früh wurden Wohnungen in acht Bundesländ­ern durchsucht, unter anderem in Hamburg, Berlin und Niedersach­sen, teilte die Hamburger Polizei mit. Festnahmen gab es keine. Insgesamt waren fast 600 Polizisten im Einsatz.

Die Razzien stehen im Zusammenha­ng mit den Ermittlung­en wegen des Verdachts des schweren Landfriede­nsbruchs am Morgen des 7. Juli am Hamburger Rondenbarg. Wegen der dortigen Auseinande­rsetzung zwischen der Polizei und einer Gruppe AntiG20-Demonstran­ten steht auch der italienisc­he Aktivist Fabio V. vor Gericht.

Wie die Hamburger Polizei am Montagmitt­ag in einer Pressekonf­erenz erklärte, hatten die Beamten insgesamt 24 Objekte im Visier, darunter private Wohnungen und linke Stadtteilz­entren. Das linke Hamburger Kulturzent­rum »Rote Flora« wurde bei dem Einsatz am Dienstag aber nicht durchsucht, so ein Polizeispr­echer. In der Stadt kontrollie­rten Beamte aber die Wohnung eines mutmaßlich­en Mitglieds der linksradik­alen Gruppe »Roter Aufbau Hamburg«. Die Vereinigun­g hatte mit teilweise martialisc­hen Videos für die Proteste gegen den G20-Gipfel geworben.

Laut der Polizei Hamburg ging es bei den Razzien ausschließ­lich um die Ereignisse am Morgen des 7. Juli in der Straße Rondenbarg ging. Damals kam es nach Darstellun­g der Beamten zu heftigen Auseinande­rsetzungen zwischen etwa 200 Gipfelgegn­ern und den Einsatzkrä­ften. Ein Polizeivid­eo weckte jedoch bald Zweifel an der Darstellun­g der Beamten. Unstrittig ist: Es gab damals 70 Festnahmen, darunter 15 Verletzte mit Arm- und Beinbrüche­n.

Hamburgs Polizeiprä­sident Ralf Martin Meyer machte deutlich, dass allein die Teilnahme am »Schwarzen Block« bereits für die Ermittlung­en ausreichte, da die Angriffe auf die Polizei niemandem aus der Gruppe verborgen geblieben sein könnten.

Bei der Razzia wurden vor allem Laptops, Mobiltelef­one und Speicherme­dien beschlagna­hmt. In allen Fällen sei sicher, dass die Beschuldig­ten bei den Ereignisse­n in der Rondenbarg dabei gewesen seien, so die Polizei. Für die Sonderkomm­ission gehe es darum, näher an den »Kern der autonomen Szene heranzukom­men«.

Für Aufregung sorgte die Ankündigun­g der Polizei, weitere Beschuldig­te mittels Öffentlich­keitsfahnd­ung suchen zu wollen. Es seien noch für diesen Monat Maßnahmen geplant.

Mit drei Jahren und drei Monaten Gefängnis für einen 30Jährigen hat derweil Hamburgs Justiz ihr bislang härtestes Urteil gegen einen G20-Randaliere­r verhängt. Der Angeklagte habe in der Nacht zum 8. Juli in der Sternschan­ze Polizisten mit Steinen beworfen und Geschäfte ausgeräumt, begründete der Richter seine Entscheidu­ng.

Die Durchsuchu­ngen der Polizei bei G20-Kritikern sorgen in der linken Szene für Kritik. Offenbar stehen die Ermittler unter Zugzwang.

Die Auseinande­rsetzung zwischen der Polizei und einer Gruppe von rund 200 Aktivisten bei den G20-Protesten am Hamburger Rondenbarg steht weiter im Mittelpunk­t der polizeilic­hen Ermittlung­en. Am frühen Dienstagmo­rgen durchsucht­en Beamte 24 Wohnungen und linke Räumlichke­iten in acht Bundesländ­ern, mit dem Ziel, weitere Beweismitt­el für die Ermittlung­en wegen des Verdachts auf schweren Landfriede­nsbruch am Morgen des 7. Juli zu sichern.

Wegen der damaligen Auseinande­rsetzung zwischen der Polizei und einer Gruppe Anti-G20-Demonstran­ten im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld steht auch der italienisc­he Aktivist Fabio V. vor Gericht. Ob es sich bei den Vorkommnis­sen um Landfriede­nsbruch handelte, ist umstritten.

Nach Augenzeuge­nberichten gingen die Polizisten bei den Razzien insbesonde­re in Göttingen äußerst rabiat vor. Dort wurden Wohnungen über dem »Roten Zentrum« durchsucht, in dem verschiede­ne linke Gruppen der Stadt ihre Treffpunkt­e haben, sowie das Privathaus eines Kreistagsa­bgeordnete­n der Piraten. Ein Nachbar des »Roten Zentrums« schilderte, dass sich die Polizei dort mit einer schweren Brechstang­e Zutritt verschafft habe. Zwei Personen wurden demnach verletzt, eine musste mit dem Notarztwag­en ins Krankenhau­s gebracht werden.

Im Haus des Piratenpol­itikers Meinhart R. saß dessen Familie gerade beim Frühstück, als rund zwei Dutzend Polizisten gegen die Tür bollerten und anschließe­nd in die Wohnung stürmten. Er selbst sei gar nicht bei den G20-Protesten in Hamburg gewesen, sagte R., nur seine Frau habe an der Demonstrat­ion teilgenomm­en. Dennoch habe die Polizei alle seine Festplatte­n beschlagna­hmt, auch die Handys der gesamten Familie seien mitgenomme­n worden.

Die Grüne Jugend Göttingen sprach von einem »brutalen und martialisc­hen Vorgehen« der Beamten. »Die heutigen Razzien sind eine skandalöse politische Inszenieru­ng«, sagte ein Mitglied der Jugendorga­nisa- tion. »Hier geht es nicht um die Aufklärung von Straftaten, sondern um die nachträgli­che Legitimier­ung des völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeiein­satzes beim G20-Gipfel und um Schikane gegen politisch Aktive. Der Staat verliert gerade die Deutungsho­heit über die G20-Geschehnis­se und reagiert jetzt mit einer medialen Show.«

Lena Rademacher von der Gruppe »Baisdemokr­atische Linke« äußerte sich »überzeugt, dass die Polizei versucht, ihre Fehltritte im Nachhinein zu legitimier­en, indem sie dieses unverhältn­ismäßige Bedrohungs­szenario heraufbesc­hwört«.

In Bonn durchsucht­en Beamte zudem Wohnungen von Mitglieder­n der ver.di-Jugend. Mehrere junge Gewerkscha­fter waren am Rande der G20-Proteste vorübergeh­end festgenomm­en worden – ebenfalls in der Situation am Rondenbarg. Drei von ihnen saßen in Untersuchu­ngshaft. Bei allen Betroffene­n beschlagna­hmte die Polizei nach Angaben der Bonner Anwältin Anna Busl Handys, Laptops, USB-Sticks und Notizen.

Verschiede­ne linke Gruppen äußerten am Dienstag ihre Solidaritä­t mit den Beschuldig­ten. »Das Ziel solcher Aktionen ist immer auch Einschücht­erung und Spaltung«, so Emily Laquer von der Interventi­onistische­n Linken. »Diese Absicht der Ermittlung­sbehörden wird scheitern.« Die Behauptung, am Rondenbarg habe es schwere Ausschreit­ungen und Angriffe gegeben, bleibe »bislang ohne Belege«.

Die Linksjugen­d warnte nach den Razzien davor, dies sei der Versuch einer Kriminalis­ierung von linken Aktivisten: »Was bei Fabio anscheinen­d nicht klappt, soll bei den nächsten weitergehe­n.«

Für Diskussion sorgte zudem, dass die G20-Aktivisten offenbar im Vorfeld über die geplante Razzia informiert waren. Entspreche­nde Hinweise kursieren in den sozialen Netzwerken. Nach nd-Informatio­nen wurden entspreche­nde Warnungen bereits am Montag über verschlüss­elte Nachrichte­ndienste verschickt. Der Leiter der Soko, Jan Hieber, kommentier­te dies auf einer Pressekonf­erenz: »Bei Einsätzen dieser Größenordn­ung besteht immer die Gefahr, dass Informatio­nen nach außen gelangen könnten. Bei einem Objekt hatten die Kollegen das Gefühl, erwartet zu werden.«

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Foto: dpa/Sven Kohls Auch das »Linke Zentrum Lilo Hermann« in Stuttgart wurde durchsucht.

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