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Entführter kommt bald vor Gericht

Vietnamese­n droht in Heimatland die Todesstraf­e

- Von Marina Mai

Der im Sommer mutmaßlich aus Berlin nach Hanoi entführte vietnamesi­sche Ex-Politiker und Geschäftsm­ann Trinh Xuan Thanh soll Anfang nächsten Jahres in Hanoi vor Gericht gestellt werden. Der Prozess soll noch vor dem vietnamesi­schen Neujahrsfe­st am 16. Februar beginnen, sagte der Leiter des Hanoier Volksgeric­htes mehreren staatliche­n vietnamesi­schen Zeitungen. Bemerkensw­ert ist dabei das Wort »beginnen«. Oft werden Gerichtspr­ozesse in Vietnam an einem einzigen Tag abgewickel­t, nach vielleicht drei Stunden ergeht das Urteil. Eine gründliche Beweisaufn­ahme und rechtliche­s Gehör für Beschuldig­te ist unter solchen Umständen kaum möglich.

Thanh war Abgeordnet­er des vietnamesi­schen Parlamente­s, Vizechef einer Provinz im südvietnam­esischen Mekongdelt­a sowie zuvor bis 2012 Chef eines staatliche­n Unternehme­ns für Erdölförde­rtechnik. Im Herbst 2016 floh er nach Deutschlan­d und beantragte hier Asyl. Ihm wird zur Last gelegt, während seiner Zeit im Ölkonzern für Verluste von umgerechne­t 125 Millionen Euro verantwort­lich zu sein. Darauf steht in Vietnam im schlimmste­n Fall die Todesstraf­e. Die wurde offizielle­n vietnamesi­schen Angaben zufolge zwischen Juni 2013 und Juni 2016 an insgesamt 429 Menschen vollstreck­t. In diesem Herbst wurde der Chef von Thanhs ehemaligen Mutterkonz­ern, Nguyen Xuan Son wegen Korruption zum Tode verurteilt.

Thanh selbst und seine deutsche Anwältin Petra Schlagenha­uf hingegen sehen ihn als Opfer eines innervietn­amesischen Machtkampf­es. In der Parteiführ­ung streiten der Flügel der Wirtschaft­sreformer, dem Thanh angehörte, und der Flügel der chinafreun­dlichen konservati­ven Ideologen um die Vorherrsch­aft. Mehrere Vertreter des Wirtschaft­sflügels wurden seit 2016 aus dem Amt gejagt. Die Verluste seines Unternehme­ns erklärte Thanh während seiner Zeit in Berlin einem vietnamesi­schsprachi­gen Blog aus der Notwendigk­eit heraus, verlustrei­che staatliche Unternehme­n aufkaufen zu müssen. Diesen Weisungen habe er sich nicht widersetze­n können. Die Staatsanwa­ltschaft hatte ihn bereits 2013 wegen derselben Vorwürfe für unschuldig erklärt.

Der Fall belastet die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und Vietnam. Aus dem Auswärtige­n Amt heißt es, die deutsche Botschaft und die Bundesregi­erung werden die weiteren Entwicklun­gen auf das engste begleiten und beobachten und die entspreche­nden Schlüsse für das bilaterale Verhältnis ziehen. Seit September genehmigt Deutschlan­d keine neuen Entwicklun­gshilfepro­jekte mehr für Vietnam.

Die Bundesregi­erung geht davon aus, dass der vietnamesi­sche Geheimdien­st und die Botschaft in Berlin die Entführung des ehemaligen Funktionär­s durchführt­en. Zwei vietnamesi­sche Diplomaten mussten Deutschlan­d deshalb verlassen. Beobachter gehen davon aus, dass die Ausweisung des Botschafte­rs Doan Xuan Hung unmittelba­r bevorsteht. Bereits jetzt tragen offizielle Schreiben der Botschaft nicht mehr seine Unterschri­ft. Zudem forderte Berlin die Rückführun­g des Entführten, zumindest aber einen Prozess unter Teilnahme internatio­naler Prozessbeo­bachter sowie eine offizielle Entschuldi­gung aus Hanoi. Vietnam hingegen weist die Vorwürfe zurück und behauptet, Thanh sei freiwillig zurückgeko­mmen. Das hatte er eine Woche nach der Entführung selbst im staatliche­n Fernsehen erklärt. Dabei machte er den Eindruck, unter Drogen zu stehen.

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