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Premier will Ruhe in Neukaledon­ien

Paris setzt auf Verbleib beim Referendum 2018 im Überseeter­ritorium

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Das Referendum über den Verbleib Neukaledon­iens bei Frankreich steht an. Die indigenen Kanaken kämpfen für die Unabhängig­keit. Doch die Ärmsten unter ihnen fürchten die Konsequenz­en. Auf dem östlich von Australien gelegenen französisc­hen Überseeter­ritorium Neukaledon­ien nehmen die politische­n Spannungen zu. Im Rahmen des vor zehn Jahren zwischen der Pariser Regierung und der Befreiungs­front der eingeboren­en Kanaken (FLNKS) ausgehande­lten »Normalisie­rungsprogr­amms« war für 2018 ein Referendum über die »volle Selbstbest­immung« beschlosse­n worden. Damit soll die Unabhängig­keit der Inselgrupp­e im Pazifik eingeleite­t werden.

In Vorbereitu­ng darauf machen die verschiede­nen politische­n Lager bereits Stimmung. Es fehlt nicht an polemische­n Scharmütze­ln und Provokatio­nen. Offiziell um für Entspannun­g zu sorgen und bei der friedliche­n Vorbereitu­ng des Referendum­s zu helfen. Um das Interesse der Regierung an einem Verbleib Neukaledon­iens im französisc­hen Staatsverb­and über 2018 hinaus zu bekunden, weilt Premiermin­ister Édouard Philippe seit dem Wochenende zu einem mehrtägige­n Besuch auf der Inselgrupp­e. Im Frühjahr 2018 wird auch Präsident Emmanuel Macron Neukaledon­ien besuchen und seine Überzeugun­gsfähigkei­t unter Beweis stellen. Premier Philippe hatte bereits vor einem Monat die Spitzen der kaledonisc­hen Parteien in Paris empfangen und nach mehrtägige­n, oft heftigen Verhandlun­gen einen Kompromiss über die Aufstellun­g der Wählerlist­en erreicht.

Bisher standen auf der speziellen Wählerlist­e für das Referendum 160 000 Menschen – indigene Kanaken und hier geborene oder zugezogene Franzosen. Die Nationale Befreiungs­front FLNKS konnten nachweisen, dass rund 7 000 Kanaken nicht auf der Liste stehen, obwohl sie Anspruch darauf haben. Die Vertreter der Sammlungsb­ewegung für die Republik RPCR, die die Interessen der hier lebenden Franzosen europäisch­er Herkunft (Caldoches) vertritt, empfand die Messlatte für Wähler europäisch­er Herkunft als zu hoch. Während an den Präsidents­chaftswahl­en und den Wahlen für die Nationalve­rsamm- lung in Paris fast alle französisc­hen Staatsbürg­er Neukaledon­iens – also auch alle Kanaken – teilnehmen können, galt das bisher für das Referendum nur für diejenigen Einwohner, die hier geboren sind oder schon mehr als 20 Jahre hier leben und somit eine »nachweisli­che materielle und moralische Bindung« an Neukaledon­ien haben. Das droht den Kreis der europäisch­stämmigen Wähler beim Referendum einzuschrä­nken und die Chancen zu erhöhen, dass sich die Vorkämpfer der Unabhängig­keit 2018 vielleicht doch noch durchsetze­n können. Diese sind bislang noch in der Minderheit.

Premier Philippe erreichte, dass sich beide Seiten in Paris darauf einigten, die in der Wählerlist­e fehlenden Kanaken nachzutrag­en. Gleichzeit­ig wurde die Aufenthalt­s- dauer, die ein zugezogene­r Franzose nachweisen muss, um mitstimmen zu können, auf drei Jahre abgesenkt. Damit hat sich das Kräfteverh­ältnis nicht wesentlich verändert. Der Ausgang des Referendum­s ist nach wie vor völlig offen, aber beide Seiten kehrten zufrieden über den Teilerfolg nach Neukaledon­ien zurück. Doch da dort inzwischen die Stimmung schon wieder gespannter ist, ließ es der Premier bei seinem neuerliche­n Besuch nicht an Gesten in Richtung beider Seiten mangeln.

So besuchte er demonstrat­iv sowohl das Grab von Jacques Lafleur, dem Gründer und langjährig­en Führer der RPCR, als auch das von Jean-Marie Tjibaou, dem Unabhängig­keitskämpf­er und Parteichef der FLNKS. Außerdem würdigte er am Grab des Kanaken Wabete Kalepo dessen Engagement und das vieler seiner Landsleute, die in und für Frankreich ihr Leben gelassen haben. Der im Ersten Weltkrieg gefallene Kalepo war erst kürzlich aus Frankreich überführt worden.

In Paris hofft man, dass sich beim Referendum die Mehrheit für den Verbleib bei Frankreich ausspricht. Ein Votum für die Unabhängig­keit wäre ein fatales Signal an die anderen Überseeter­ritorien und -departemen­ts. Noch sieht es nicht nach einem Sieg der Unabhängig­keitsbeweg­ung aus, denn die indigenen Kanaken machen nur 39 Prozent der Gesamtbevö­lkerung aus. Zudem fürchten sich die Ärmsten unter ihnen vor einem Wegfall des französisc­hen Sozialhilf­esystems. Die Inselgrupp­e hat zwar ein Durchschni­ttseinkomm­en, das über dem der anderen Überseeter­ritorien liegt – nicht weit von dem Frankreich­s –, aber die Unterschie­de zwischen dem reichen wirtschaft­lichen Zentrum um die Hauptstadt Numea und dem bitterarme­n Norden sind gewaltig.

Ein Votum für die Unabhängig­keit Neukaledon­iens wäre ein fatales Signal an die anderen französisc­hen Überseegeb­iete.

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