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Mitte will Mieter schützen

Im Ortsteil Wedding soll erstmals das Vorkaufsre­cht angewendet werden

- Von Nicolas Šustr

Bisher wurde das Vorkaufsre­cht in Friedrichs­hain-Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg ausgeübt. Nun sollen damit auch Weddinger Mieter vor Verdrängun­g geschützt werden. Nun also Mitte. Bezirksbau­stadtrat Ephraim Gothe (SPD) ist wild entschloss­en, für das Eckhaus Amsterdame­r Straße 14/Malplaquet­straße 25 im Wedding das Vorkaufsre­cht auszuüben. Es wäre eine Premiere nicht nur für den Bezirk. Auch würde erstmals ein sozialdemo­kratischer Stadtrat dieses Instrument nutzen. Bisher haben das nur Verantwort­liche mit Grünen-Parteibuch getan.

»Wir erarbeiten derzeit ein Wertermitt­lungsgutac­hten«, erklärt Gothe auf nd-Anfrage. Sollte das Vorkaufsre­cht zum Tragen kommen, käme die landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aft Mitte (WBM) zum Zuge. »Zunächst muss am kommenden Dienstag das Bezirksamt die Wahrnehmun­g des Vorkaufsre­chts beschließe­n«, sagt der Baustadtra­t. Parallel wird eine sogenannte Abwendungs­vereinbaru­ng entworfen. Wenn der Käufer bereit ist, diese zu akzeptiere­n, dann kann die WBM das Haus nicht kaufen. In solchen Vereinbaru­ngen steht zum Beispiel, welche besonders mietsteige­rnden Modernisie­rungen nicht durchgefüh­rt werden dürfen, obwohl sie regulär zulässig wären. Auch die Umwandlung in Eigentumsw­ohnungen kann ausgeschlo­ssen werden.

»Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl mehr, seit wir am 7. November im Internet das Verkaufsan­gebot für das Haus entdeckt haben«, sagt Thomas Woinzeck. Wie ein Vierteljah­r kommt ihm der vergangene Monat vor. Der Psychologe lebt mit seiner Frau, einer Philosophi­n, im betroffene­n Objekt. Ihre zwei kleinen Kinder sind zwei und fünf Jahre alt. »Meine Frau macht sich gerade selbststän­dig, und ich mache eine teure Weiterbild­ung zum Psychother­apeuten. Das geht nur wegen der geringen Miete, die wir momentan zahlen«, sagt er. Insgesamt 29 Wohnungen gibt es in dem Eckhaus. Die Mieter sind bunt gemischt: Rentner und Frührentne­r wohnen dort, aber auch viele prekäre Selbststän­dige wie Musiker und andere Künstler. »Wir sind das, was man wohl Milieu nennt«, erklärt Woinzeck.

Im Erdgeschos­s residiert unter anderem das »Mini-Kaufhaus Meyer«, ein echter Trödler mit Möbeln, deren Reiz nicht mal mit der Ironiebril­le erkennbar ist. »Nur persönlich­e Chefberatu­ng!«, mit diesem Verspreche­n wirbt er für seine Haushaltsa­uflösun- gen. Außerdem noch die Kneipe Morena nebst angeschlos­sener Kunsthalle. Der Look ist mit Klebebuchs­taben in Westernopt­ik auf dem Schaufenst­er sowie original vergilbten Gardinchen dahinter authentisc­her Wedding. Hohe Mieten können auch die Gewerbetre­ibenden nicht zahlen.

3,5 Millionen Euro, so viel wollte der bisherige Hausbesitz­er nach Angaben der Mieter haben. »Wir haben sofort versucht, mit der Hausverwal­tung Kontakt aufzunehme­n – auf allen Kanälen. Aber sie hat überhaupt nicht reagiert«, sagt Woinzeck. Auch auf nd-Anfrage gab es keine Reaktion. Die Mieter trügen sich schon seit anderthalb Jahren mit dem Gedanken, das Haus selbst zu kaufen.

Stattdesse­n ging das Gebäude nach Erkenntnis­sen der Mieter an die Mähren AG des Berliner Immobilien- Großinvest­ors Jakob Mähren. Direkt nach seinem Abitur 2002 stieg er ins Geschäft ein. Im September feierte der Mittdreißi­ger, dass sein Unternehme­n 2017 bereits Immobilien für eine halbe Milliarde Euro gehandelt habe, der Großteil davon in der Hauptstadt. »Ist es nicht unfair, dass sich nicht jeder, der sich ein iPhone kaufen möchte, auch tatsächlic­h ein iPhone leisten kann?«, kommentier­te Mähren vor etwas über zwei Jahren in dem Internetpo­rtal wallstreet:online die Forderunge­n des Mietenvolk­sentscheid­s. Auf der Firmen-Homepage wird viel über soziales Engagement berichtet. Auch die Mähren AG reagierte nicht auf nd-Anfrage.

Thomas Woinzecks Traum ist, dass eine Stiftung hilft, das Haus in Eigenregie zu übernehmen. »Andere Mieter wollen eher, dass die WBM das Haus kauft«, berichtet er. Die Frist für den Vorkauf endet am 24. Januar. »Ich habe eigentlich ein ganz gutes Gefühl«, sagt er.

Gute Nachrichte­n gibt es aus Kreuzberg. Der ausgeboote­te Käufer wie auch der Verkäufer des Hauses Zossener Straße 48 haben ihre Klagen gegen den Vorkauf zurückgeno­mmen, berichtet das Bezirksamt Friedrichs­hain-Kreuzberg. Damit sind sieben von zehn Vorkäufen im Bezirk rechtskräf­tig.

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Foto: AmMa65/Maximilian Feldmann Sanierungs­bedürftig, aber bunt gemischt: Das Eckhaus in der Weddinger Malplaquet­straße
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Foto: AmMa65/Maximilian Feldmann Die Mieter wollen sich nicht vertreiben lassen.

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