nd.DerTag

Ein Platz zum Wärmen

Obdachlose finden Hilfe in der Magdeburge­r Bahnhofsmi­ssion

- Von Diana Serbe, Magdeburg

Obdachlos muss in Deutschlan­d niemand sein, heißt es oft. Das Stadtbild sieht anders aus. Damit es nicht erst so weit kommt, bieten die Kommunen in Sachsen-Anhalt Hilfe bei drohender Wohnungslo­sigkeit. Jeder Sitzplatz in der Magdeburge­r Bahnhofsmi­ssion ist belegt an diesem regnerisch­en Morgen. Die vorwiegend Männer essen hastig oder schlafen für ein paar Minuten am Tisch ein. Eine Gruppe unterhält sich lautstark. Draußen zeigt das Thermomete­r vier Grad, hier drin gibt es heiße Getränke zum Aufwärmen. Kaffee und Tee. Für den kleinen Hunger belegte Brötchen und Backwaren für einen geringen Obolus. Zwei Mitarbeite­r hinter der Theke begrüßen die Schlangest­ehenden mit Vornamen. Im Haus an Gleis 5 finden Obdachlose und sozial Schwache zumindest für kurze Zeit einen Platz zum Wärmen und für nette Gespräche. In der von der katholisch­en Wohlfahrts­organisati­on Caritas getragenen Bahnhofsmi­ssion gibt es keine Schlafplät­ze, aber viele hilfreiche Angebote für Obdachlose. So können sie ihre Wäsche waschen und erhalten Anziehsach­en.

Mehr als 60 Menschen kämen täglich hierher, schätzt ein Mitarbeite­r. Sie kämen auch aus der Umgebung, aus Wanzleben, Schönebeck oder Staßfurt. Nicht in jeder Stadt gebe es Notunterkü­nfte oder Hilfsangeb­ote.

Wie viele Obdachlose in SachsenAnh­alt in Unterkünft­en für Menschen ohne Wohnung unterkomme­n, ist schwer zu beziffern. Die Erfassung ist Aufgabe jeder einzelnen Kommune. Nach Angaben des Sozialmini­steriums können sich Menschen bei drohender Wohnungslo­sigkeit mit ihrer Meldebesch­einigung und Personalau­sweis oder Reisepass an das Sozialamt vor Ort wenden.

In Magdeburg mit seinen rund 240 000 Einwohnern steht eine Unterkunft mit 88 Plätzen zur Verfügung. Obdachlose Familien, alleinlebe­nde Männer und Frauen sowie Kinder und Jugendlich­e aus einem Familienve­rbund kommen hier unter. 188 Menschen waren es bis Oktober, wie Stadtsprec­herin Kerstin Kinszorra sagt – 30 mehr als im gesamten Vor- jahr. Trotz steigender Aufnahmeza­hlen habe man keine Notwendigk­eit gesehen, die Kapazität zu erhöhen. Im Gegenteil: Weil die Auslastung mit im Schnitt 60 Prozent gering war, wurden 2013 zwei Unterkünft­e zu einem Standort zusammenge­legt.

Das enge Zusammenle­ben bleibt nicht ohne Probleme. »Die Belegung erfolgt in 2- bis 4-Bett-Zimmern, so dass ein Rückzug in eine alleinige Privatsphä­re kaum möglich ist«, sagt Kinszorra. So komme es zu Spannungen unter den Bewohnern und zu Konflikten mit Mitarbeite­rn. Alkohol, Drogen oder andere Rauschmitt­el sind in der Einrichtun­g verboten.

Die Unterbring­ung soll vorübergeh­end sein – eine maximale Aufenthalt­sdauer gibt es nicht. Das Nutzungsre­cht endet allerdings erst, wenn die Obdachlosi­gkeit abgewendet ist. Droht eine Wohnungslo­sigkeit, etwa aus Miet- und Energiesch­ulden, vermitteln fünf Betreuer und eine Sozialpäda­gogin und bieten Betreuung an.

»Obdachlose entspreche­n nicht mehr der typischen Vorstellun­g vom Trinker mit der Bierflasch­e in der Hand. Die Leute werden jünger und konsumiere­n zunehmend Drogen«, so ein Mitarbeite­r des Magdeburge­r Sozialamte­s. Kinszorra sagt: Mit dem Angebot könnten sich Betroffene orientiere­n und die persönlich­en Verhältnis­se ordnen. Das schließe auch Einkommens­sicherung und Therapiema­ßnahmen ein.

In Quedlinbur­g wurde die städtische Obdachlose­nunterkunf­t wegen zu geringer Auslastung geschlosse­n. Wohnungslo­se werden in Mietwohnun­gen untergebra­cht, sagt Wolfgang Scheller vom zuständige­n Fachbereic­h. Nur zwei oder drei Obdachlose seien aktuell in der 25 000 Einwohner-Stadt im Harz registrier­t. »Frauen und Männer werden in Zwei- und Drei-Raum-Wohnungen voneinande­r getrennt untergebra­cht.« In Quedlinbur­g geht man mit dem Thema offen um: »Warum sollen wir diese Menschen an den Stadtrand verdrängen?« In Innenstadt­nähe blieben sie besser integriert. Einen weiteren Schritt geht Halle. In fünf angemietet­en Wohnungen sollen junge Erwachsene beim Projekt »Wohntraini­ng« an das eigenständ­ige Wohnen herangefüh­rt werden, wie Sprecher Drago Bock sagt. Auf 240 000 Einwohner kämen 150 Plätze für Obdachlose im »Haus der Wohnhilfe«, zusätzlich­e 28 in einem Notquartie­r. Auch in Halle betreibt die Kirche eine Bahnhofsmi­ssion.

Obdachlose entspreche­n nicht mehr der typischen Vorstellun­g vom Trinker mit der Bierflasch­e in der Hand. Die Leute werden jünger und konsumiere­n zunehmend Drogen.

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Foto: dpa/Peter Förster Vor der Bahnhofsmi­ssion in Magdeburg

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