Wo Renten besonders niedrig sind
In Deutschland fallen die Rentenansprüche geringer als in anderen Industrieländern aus
Junge Beschäftigte sind hierzulande viel schlechter fürs Alter abgesichert als Erwerbstätige in anderen Industrieländern. Gerade Geringverdiener haben anderswo deutlich höhere Rentenansprüche. Die Bundesrepublik wird oft für ihre starke Wirtschaft und die gute Beschäftigungslage gelobt. Tatsächlich ist die Erwerbstätigkeit hoch und die Arbeitslosigkeit viel niedriger als anderswo. Wenn man sich allerdings anschaut, wie der Sozialstaat junge Menschen fürs Alter absichert, steht Deutschland sehr schlecht da: Die gesetzlichen Rentenansprüche von jungen Erwerbstätigen sind im internationalen Vergleich ausgesprochen niedrig. Das zeigt der Bericht »Renten auf einen Blick« der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der am Dienstag veröffentlicht wurde. Untersucht wurden die Rentensysteme von 35 OECD-Ländern und acht weiteren G20-Staaten.
In Deutschland müssen Geringverdiener demnach davon ausgehen, dass sie im Alter gerade einmal 55 Prozent ihres früheren Nettogehalts als gesetzliche Nettorente erhalten. Das ist ungewöhnlich wenig. So beträgt das Rentenniveau für Niedriglohnbeschäftigte im OECD-Durchschnitt gut 73 Prozent. Im EU-Schnitt sind es der Studie zufolge sogar fast 80 Prozent.
Konkret berechneten die Forscher, mit welcher gesetzlichen Rente junge Beschäftigte rechnen können, die im vorigen Jahr im Alter von 20 Jahren berufstätig geworden sind und so lange arbeiten, bis sie eine abschlagsfreie Rente erhalten. Hierzulande müssen sie dafür 45 Jahre berufstätig sein. Geringverdiener, die die Hälfte des Durchschnittseinkommens erhalten, sind demnach hierzulande besonders schlecht fürs Alter abgesichert. Selbst wenn sie durchgängig erwerbstätig sind, erhalten sie nach derzeitiger Gesetzeslage nur 55 Prozent ihres Nettolohns als Rente ausbezahlt. Geringverdiener, die später einmal nur die gesetzlichen Altersbezüge zur Verfügung haben, müssen demnach drastische Einbußen in Kauf nehmen.
Anderswo sind Menschen mit niedrigem Einkommen per Gesetz viel besser vor dem finanziellen Absturz im Alter geschützt. In Australien, Österreich und Israel liegt das Rentenniveau für Geringverdiener bei über 90 Prozent. In den Niederlanden und in Dänemark ist ihre Nettorente sogar höher als ihr Nettogehalt.
Auch Durchschnittsverdiener haben in Deutschland nur magere Ren- tenansprüche: Sie müssen der Studie zufolge damit rechnen, dass ihre Nettorente bei knapp 51 Prozent ihres Nettogehalts liegt. Im OECD-Durchschnitt sind es hingegen 63 Prozent (EU-Durchschnitt: 71 Prozent).
Bei der Berechnung berücksichtigt wurden alle gesetzlichen Leistungen, also auch Zahlungen aus einer obligatorischen betrieblichen Altersvorsorge, die es etwa in der Schweiz gibt.
Dass Deutschland so schlecht abschneidet, hat mehrere Gründe: Zum einen hat die Politik mit mehreren Reformen das Rentenniveau ge- drückt. Zum anderen gilt hierzulande das sogenannte Äquivalenzprinzip, nach dem sich die Rentenhöhe strikt nach den eingezahlten Beiträgen richtet.
Anderswo, etwa in den Niederlanden, haben Beschäftigte dagegen Anspruch auf eine Mindestrente, wenn sie einige Jahre gearbeitet haben. Hierzulande bleibt Menschen mit einer Mini-Rente nur, Grundsicherung zu beantragen.
Monika Queisser, Abteilungsleiterin für Sozialpolitik bei der OECD, plädiert dafür, dass die deutsche Po- litik Menschen mit geringen Einkünften besser schützt: »Wir sind dafür, dass die Alterssicherung für Niedrigverdiener verbessert wird«, sagte sie in einem Pressegespräch, ohne ein bestimmtes Modell zu empfehlen. Wichtig sei, dass Armut im Alter wirksam verhindert werde.
Auch der Sozialforscher Gerhard Bäcker hält es für geboten, dass die Politik gegensteuert: Der Arbeitsmarkt sollte rereguliert werden, damit Beschäftigte höhere Gehälter und im Alter höhere Renten erhalten. Dies würde bedeuten, dass Unternehmen durch höhere Lohn- und Beitragszahlungen einen Beitrag gegen Altersarmut leisten. Zudem solle das Rentenniveau auf dem jetzigen Niveau stabilisiert und auch wieder angehoben werden, betont der Sozialwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Schließlich sollte die sogenannte Rente nach Mindesteinkommen wieder eingeführt werden. Bei diesem Modell werden die Rentenpunkte von Niedrigverdienern höher bewertet, damit sie höhere Rentenansprüche erwerben. Diese Regelung gilt für Beschäftigungszeiten vor 1992, danach wurde sie abgeschafft.