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Lebensmitt­el sind eine Baustelle

In Deutschlan­d gibt es immer mehr Ernährungs­räte. Für Berlin ist nun eine Aktionskon­ferenz angesetzt

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Der Berliner Ernährungs­rat hat Forderunge­n an den Berliner Senat in neun Themenbere­ichen veröffentl­icht. Kommenden Samstag sollen auf einer ganztägige­n öffentlich­en Veranstalt­ung entspreche­nde Aktivitäte­n geplant werden. Was haben Sie vor?

Das hängt von den Beteiligte­n ab. Wir haben uns aber im Sprecher_innenrat schon mal Gedanken gemacht und haben drei Themenbere­iche vorgeschla­gen, in denen wir uns vorstellen können, aktiv zu werden. Einer davon ist die städtische Gemeinscha­ftsverpfle­gung. Sie ist wichtig für die urbane Ernährungs­politik und kann ein Vorbild werden. An diesem Feld hat der Senat auch Interesse und will da aktiv werden.

Was bedeutet »städtische Gemeinscha­ftsverpfle­gung«?

Dazu gehören alle Einrichtun­gen, die vom Land Berlin verpflegt werden: Kitas, Schulen, Krankenhäu­ser, Gefängniss­e, öffentlich­e Kantinen. Die Betrei- ber sind nicht alle öffentlich, aber auf die Auftragsve­rgabe an die Essenslief­eranten kann der Senat ja immer Einfluss nehmen.

Wo wollen Sie noch aktiv werden? Ein zweites Themenfeld sind »LebensMitt­elPunkte«. Sie kommen in unserem Forderungs­katalog an mehreren Stellen vor. An den »Le- bens Mittel Punkten« sollen Lebensmitt­el gehandelt und verarbeite­t werden, Kiezküchen entstehen, überflüssi­ge Lebensmitt­el verteilt werden können und Abholstell­en für Solidarisc­he Landwirt schafts initiative­n eingericht­et werden. Da sollen aber auch einfach Menschen zusammenko­mmen können.

Die Leitidee in Ihrem Forderungs­katalog scheint die »Relokalisi­erung« zu sein. Kann sich denn die Hauptstadt­region selbst versorgen? Das ist nicht das, was damit gemeint ist. Aber laut einer Studie der Universitä­t Halle-Wittenberg könnte sich Berlin zu 76 Prozent aus Brandenbur­g versorgen, wenn Brandenbur­g mehr Obst und Gemüse produziere­n würde und weniger Energie- und Futterpfla­nzen wie Mais. Wir sind nicht gegen exotische Produkte oder einen Handel mit anderen Regionen, sondern für die Nutzung und Stärkung der Potenziale, die es in der Region gibt.

Im Forderungs­katalog ist zum Beispiel ein »Innovation­scampus« enthalten, auf dem sich Wissenscha­ft und Wirtschaft begegnen sollen. Haben Sie ausgerechn­et, wie viel Geld der Senat investiere­n müsste, um den Katalog umzusetzen?

Nein. Das sehen wir nicht als unsere Aufgabe an. Wir haben zusammenge­tragen, was passieren müsste. Der Senat hat vor, 2018 eine Ernährungs­strategie zu entwickeln. Dabei müssen die Kosten dann eine Rolle spielen. Wir haben jetzt aber nicht nur Forderunge­n gestellt, bei denen wir ausgerechn­et haben, wie realistisc­h sie sind. Dann hätten wir sie alle bewerten und die weniger wichtigen streichen müssen. Wir wissen ja auch gar nicht, wie viel Geld zur Verfügung steht – das muss politisch ausgehande­lt werden. Schon älter als der Ernährungs­rat ist das vom Berliner Senat eingericht­ete »Forum für gutes Essen«, an dem auch die Lebensmitt­elindustri­e beteiligt ist. Was passiert dort?

Das hat noch nicht getagt, seit die neue Regierung im Amt ist. Die Akteure sollen reaktivier­t werden, aber wohl in einer neuen partizipat­iven Struktur.

Die Webseite ernaehrung­sraete.de listet die wachsende Zahl der deutschspr­achigen Ernährungs­räte auf. Grund zum Optimismus?

Da bin ich auf jeden Fall sehr optimistis­ch. Wir hatten im November in Essen den Kongress zur Vernetzung im deutschspr­achigen Raum, zu dem Menschen aus 40 Städten und Regionen kamen. Sie haben entweder schon Ernährungs­räte gegründet, oder sind daran interessie­rt. Da war unheimlich viel Energie und Motivation, es ist schon eine Bewegung entstanden.

Bei dem Kongress haben Gäste vorgetrage­n, die seit Jahren in Ernährungs­räten in Brasilien, USA, Kanada, England und Wales aktiv sind. Was haben Sie von ihnen gelernt? Für mich war eine wichtige Erkenntnis, dass in den USA, in Kanada und Brasilien vor allem soziale Gerechtigk­eit und Ernährungs­armut bei der Gründung von Ernährungs­räten eine Rolle gespielt haben. Im deutschspr­achigen Raum spielen Umweltfrag­en und Nachhaltig­keit eine größere Rolle. Eine weitere Erkenntnis: Jeder Rat ist anders strukturie­rt.

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Foto: fotolia/Frédéric Prochasson
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Christine Pohl ist Koordinato­rin und eine von 13 Sprecher_innen des Berliner Ernährungs­rats. Dieser fordert vom Berliner Senat, regionale Wertschöpf­ungskreisl­äufe zu unterstütz­en und gegen Verpackung­smüll einzuschre­iten – kurzum: eine demokratis­che,...

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