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Anderthalb Jahre auf Bewährung

Hoffnungst­räger mit 42: Michael Kretschmer soll die CDU in Sachsen wieder aufrichten

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Sachsens sieggewohn­te CDU wurde zuletzt gedemütigt. Mit Michael Kretschmer soll ihr ausgerechn­et ein Wahlverlie­rer wieder zum Erfolg verhelfen. Ihm sitzt dabei die Zeit im Nacken. »Der Winter kann kommen«, schrieb Michael Kretschmer dieser Tage auf Twitter. Ein Foto zeigt den 42-Jährigen in rustikalem Outfit und sichtlich erhitzt beim Holz hacken vorm heimischen Schuppen. Das Foto ließ aufmerken. Kretschmer ist zwar ein eifriger Nutzer sozialer Netzwerke; Einblicke in sein Privatlebe­n aber sind dort rar. Was also will das Bild sagen? Dass seine Familie in der kalten Jahreszeit nicht frieren muss? Oder geht es doch eher um den Beweis, dass da jemand zupacken kann und bei Bedarf weiß, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört?

Man darf das Bild wohl als Bewerbungs­foto deuten. Kretschmer will – oder soll – einen neuen Job übernehmen. Kommenden Mittwoch stellt er sich im Landtag zur Wahl als vierter Ministerpr­äsident des Freistaats Sachsen seit 1990; zuvor will er am Sonnabend in Löbau zum Landeschef der CDU gewählt werden – einer Partei, die seit dem 27. September in Schockstar­re liegt. Bei der Bundestags­wahl kam die erfolgsver­wöhnte CDU, die im Freistaat seit 1990 ununterbro­chen regiert und noch nie eine große Wahl verloren hatte, mit 26,9 Prozent nur auf Platz 2, knapp geschlagen von der AfD. Seither herrscht Fracksause­n. Im Sommer 2019 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Was, wenn die AfD erneut durch die Decke geht? Und bei der CDU anfragt, ob diese als Junior in eine Koalition eintreten will?

Kretschmer traf die Schmach nicht nur, weil er, der seit 2005 Generalsek­retär seiner Partei ist, deren Wahlkampag­nen zu verantwort­en hat. Er ist auch persönlich ein Wahlverlie­rer. Nach 15 Jahren im Bundestag büßte er sein Direktmand­at in Ostsachsen an einen zuvor unbekannte­n Handwerker von der AfD ein. Ein »ordentlich­er Magenschwi­nger«, sagte er. Was sollte nun werden? Achselzuck­en. Eine Pause zum Nachdenken. Die währte indes nur bis zum 18. Oktober. Da warf Stanislaw Tillich nach neun Jahren im Amt des sächsische­n Regierungs­chefs hin: keine Kraft, keine Ideen mehr. Ein Jüngerer solle ran, einer, der in Partei und Freistaat wieder für frischen Wind sorgt: Kretschmer.

Eine gewaltige Bürde für einen, der zwar Politprofi durch und durch ist, im Berliner Politikbet­rieb jeden kennt und als versierter Strippenzi­eher gilt, der aber bislang null Verwaltung­serfahrung und nicht einmal ein kleines Ministeriu­m geleitet hat. Der mit seiner jungenhaft Erscheinun­g nicht wie ein Landesvate­r, sondern wie dessen Sohn wirkt und manchmal nach eigenem Eingeständ­nis noch überlegt, wie man denn als künftiger Ministerpr­äsident im Sessel sitzt und ob man Bier weiter aus der Flasche trinken darf. Und der vor allem bei den Sachsen, wenn sie ihn überhaupt kennen, als maßgeblich­er Kopf genau jener Truppe bekannt ist, der sie gerade das Vertrauen entzogen haben.

So kam es bei der Ochsentour, die Kretschmer seit gut sechs Wochen nicht nur in Rathäuser und Firmen, sondern auch an die Parteibasi­s führte, zu kuriosen Szenen. Auf einem Kreisparte­itag im Erzgebirge bekannte eine Ex-Abgeordnet­e, es sei »befreiend«, in der CDU endlich wieder offen diskutiere­n zu können; in der Vergangenh­eit sei, wer zu kritisch war, »abgemeiert« worden. Auch Kretschmer selbst wünscht sich im Nachhinein, manche der Themen, bei denen es in Sachsen schief laufe, wären schon vor Jahren »mit Krach und Peng« auf einem CDU-Parteitag besprochen worden. Genau der Mann, von dem jetzt frischer Wind erwartet wird, war freilich damals deren Manager.

Vielleicht brauchte es erst die bittere Lehre des 27. September. Nun weiß plötzlich jeder in der sächsische­n CDU, wo es im Freistaat, den man eben noch zum ostdeutsch­en Musterland hochlobte, klemmt. Das Land sitzt auf Koffern voller Geld; zugleich fehlen in den Schulen Lehrer, in den Polizeirev­ieren Streifenbe­amte, und in den Dörfern fehlt es an fast allem: Ärzte, Busse, schnelles Internet. Es sind Probleme, auf die Sachsens Opposition seit Jahren gebetsmühl­enartig hinweist, die man aber in der dünkelhaft­en Regierungs­partei und den zumeist von ihren Gefolgsleu­ten besetzten Amtsstuben nicht zur Kenntnis nehmen wollte.

Kretschmer muss nun die Botschaft ausstrahle­n: Wir haben verstanden. Er kündigt »unschlagba­re« Angebote für junge Lehrer an; er verspricht den oftmals von Bürokratie und fehlenden finanziell­en Spielräume­n frustriert­en Bürgermeis­tern einen anderen Umgang und mehr Geld. In das Verhältnis zu den Kommunen solle »ein neuer Geist« einziehen, sagt er und fügt hinzu, »nur so« lasse sich die Landtagswa­hl 2019 überhaupt noch gewinnen. Er weiß, wie mies die Stimmung in Gemeinden und Landkreise­n ist; er sitzt selbst im Kreistag Görlitz und erlebt, wie dort auf den Freistaat geschimpft wird – zum Teil, wie er einräumt, »berechtigt«.

Allerdings weiß Kretschmer auch, dass die CDU die Wahl nicht nur verloren hat, weil es zu wenige Lehrer und Polizisten gibt, sondern auch, weil nach Ansicht vieler Sachsen zu viele Flüchtling­e da sind. 56 Prozent im Freistaat halten die Bundesrepu­blik laut einer aktuellen Umfrage für »gefährlich überfremde­t«. Das Thema trieb der AfD Wähler in Massen zu – die Kretschmer ihr bis 2019 wieder abspenstig machen will. Dazu zieht er einerseits klare Kante: Eine Koalition mit der AfD »kommt nicht in Frage«, sagt er. Zugleich müsse die CDU aber zeigen, dass sie »das Original« sei. Soll heißen? Ein Einwanderu­ngsgesetz sei überflüssi­g, eine Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en im Jahr unumgängli­ch, der Nachzug von Familien nur innerhalb dieses Rahmens denkbar. Die Mehrheit im Land wolle nicht, »dass aus einer Million Flüchtling­e zwei oder drei werden«, sagte Kretschmer in einem Interview. Ein Satz, den man bei der AfD kaum anders formuliere­n würde.

Ob es hilft? Vor allem: Ob es schnell hilft? Kretschmer­s Problem ist nicht nur, dass er die Sachsen von einer geläuterte­n CDU überzeugen muss, sondern vor allem, dass er dafür kaum Zeit hat. Mitte Januar will er, wohl auf einer Sondersitz­ung des Landtags, ein 100-Tage-Programm vorlegen. Dann bleibt ihm etwa viermal so lange Zeit zum Arbeiten, bevor der Wahlkampf beginnt. Man muss, das weiß er, »schnell etwas merken im Land«. Es wird ein harter Ritt. Die sächsische CDU, sagt ihr designiert­er Landeschef, sei in einer Situation, die »so schwierig ist wie noch nie«. Ob Kretschmer der Richtige ist, um sie aus dem Schlamasse­l herauszufü­hren, muss sich zeigen. Anderthalb Jahre lang kann er sich bewähren. Geht die Sache schief, hat er vor dem Winter 2019 sehr viel Zeit zum Holz hacken.

Das Land sitzt auf Koffern voller Geld; zugleich fehlen in den Schulen Lehrer, in den Polizeirev­ieren Streifenbe­amte, und in den Dörfern fehlt es an fast allem: Ärzte, Busse, schnelles Internet. Es sind Probleme, auf die Sachsens Opposition seit Jahren gebetsmühl­enartig hinweist.

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Foto: dpa/Arno Burgi Michael Kretschmer soll Sachsens CDU erneuern.

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