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Die Qual der direkten Wahl

Linksparte­i möchte die Volksgeset­zgebung verbessern – wie sie es im Koalitions­vertrag versproche­n hat

- Von Philip Blees

Nach dem Volksentsc­heid Tegel ist die Debatte über Verbesseru­ngen der direkten Demokratie in vollem Gange. Die Linksparte­i möchte ihr Verspreche­n aus dem Koalitions­vertrag realisiere­n. So hatte man sich das wohl nicht gedacht: Da steht die Linksparte­i seit Jahren für eine Stärkung der direkten Demokratie auf Landeseben­e, und dann stimmt die Mehrheit der Wähler beim Volksentsc­heid um den Erhalt des Flughafens Tegel gegen den Willen der Partei. Also künftig doch nicht mehr so direkt nach dem Volkeswill­en fragen? Oder braucht es lediglich Verbesseru­ngen des Instrument­s? Ist die direkte Demokratie vielleicht eine Sache des Prinzips, auch wenn sie konträr zu eigenen Politik läuft? Über diese und viele andere Fragen diskutiert­en Anfang der Woche im Abgeordnet­enhaus Politiker der Linksparte­i mit Experten aus der Zivilgesel­lschaft und Wissenscha­ftlern. Doch schon jetzt liegen Lösungsvor­schläge in den Schubladen: Im Frühjahr 2018 möchte der Senat einen Gesetzesen­twurf zum Thema vorlegen.

»Die Politik kann noch schlauer werden«, sagt die Fraktionsc­hefin der LINKEN, Carola Bluhm. Die direkte Demokratie in Form von Volksentsc­heiden sei ein Instrument, das weiterentw­ickelt werden müsse. Genau das habe die Linksparte­i den Wählern versproche­n, als sie im Wahlkampf »… und die Stadt gehört Euch!« plakatiert habe.

Auch der demokratie­politische Sprecher der Fraktion, Michael Efler, hält an der Position seiner Partei fest: »Direkte Demokratie hat diese Stadt belebt.« Der Volksentsc­heid sei wichtig, damit die Politik des Senats nicht auf einer »Blankosche­ck-Ideologie« gebaut sei. Doch auch er sieht Probleme, die das Instrument in sei- ner Funktion einschränk­en. Im Land Berlin habe der Volksentsc­heid zwar schon fast Tradition. Doch auch diese Tradition sei erst durch Verbesseru­ngen effektiv geworden: Durch ein Verfassung­sreferendu­m im Jahr 2006 und eine zugehörige Verfassung­sreform Anfang 2008, die maßgeblich die Volksgeset­zgebung erleichter­te. Erst seitdem wurden wirklich Volksbegeh­ren durchgefüh­rt. Die zuvor möglichen Volksiniti­ativen waren meist an der ho- hen Zahl der benötigten Unterschri­ften gescheiter­t. So wurde beispielsw­eise der Antrag der Volksiniti­ative gegen den Bau der Transrapid-Strecke 1998 mit rund 120 000 Unterschri­ften abgelehnt.

Seit der Reform wurden die Bürger insgesamt sechsmal zum Volksentsc­heid aufgerufen. Drei der zur Abstimmung gestellten Anliegen wurden angenommen – meist mit nur einer knappen Zustimmung.

An diesem Punkt wird laut Linksparte­i auch das erste Problem sichtbar. Denn momentan muss das Abgeordnet­enhaus die Abstimmung nicht mit der nächsten Wahl zusammenle­gen. Doch wenn dies nicht geschieht, fällt die Wahlbeteil­igung geringer aus. Dies soll sich nun ändern: Im Koalitions­vertrag des rot-rot-grünen Senats wurde festgehalt­en, dass »ein Volksentsc­heid zeitgleich mit Wahlen durchgefüh­rt wird«, wenn in den ersten acht Monaten nach dem Volksbegeh­ren eine ansteht.

Zu befürchten wäre dabei allein, dass der Volksentsc­heid aufgrund der unmittelba­ren Nähe zum Wahlkampf zu einem parteipoli­tischen Mittel des Wahlkampfe­s verkommt. Diese Kritik formuliert­e der geladene Politikwis­senschaftl­er Benedict Ugarte Chacón. Im Fall Tegel wurde ihm zufolge die direkte Demokratie missbrauch­t. »Man hat dafür gesorgt, dass damit Parteipoli­tik gemacht wurde«, kritisiert­e er. Konkret habe sich hier die FDP, auch personell, auf das Projekt gesetzt und so Stimmen abgegriffe­n. Die langfristi­ge Ausrichtun­g von Parteien widersprec­he jedoch grundsätzl­ich den kurzfristi­gen Kampagnen der direkten Demokratie. Lösungsvor­schläge hierzu seien allerdings umstritten und momentan in der Koalition nicht durchführb­ar, hieß es.

Neben der personelle­n Überschnei­dung war allerdings auch die finanziell­e Unterstütz­ung durch die Partei, sowie Ryanair, Teil der Kritik. Hier ist es erst nach mehrmalige­n Aufforderu­ngen zu einer Offenlegun­g der Spendengel­der gekommen. Erst kurz vor der Abstimmung kam heraus, dass die Initiative mehrere zehntausen­d Euro von der Airline angenommen hatte. Regine Larouche, Sprecherin des Vereins Mehr Demokratie, sieht das kritisch: »Die Chancengle­ichheit muss gewahrt bleiben.« Auch wenn ein großer Geldbeutel nicht die Garantie sei für einen Erfolg von Volksentsc­heiden, so brauche es eine unabhängig­e Meinungsbi­ldung. Dazu seine eine klare Transparen­zregelung nötig. Dies gilt für beide Seiten, denn auch der Senat hat im Zuge der Abstimmung einen Brief an ausgewählt­e Bürger geschickt – Kosten: 430 000 Euro.

Ein Schritt in die richtige Richtung sei, sagt Larouche, neben der Offenlegun­g der Finanzen, die Einführung einer Kostenerst­attung für die Initiative­n. Dies würde zu einer Unabhängig­keit führen.

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Foto: epd/Jürgen Blume Lichtinsta­llation für direkte Demokratie: Wie geht’s weiter?

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