Dunkle Wolken über Nahost
Nach Trumps Jerusalem-Erklärung droht neue Intifada im Westjordanland
Jerusalem. »Ich denke, es ist keine gute Sache, das zu tun«, zitiert dpa Osama Scheich, Palästinenser aus Jerusalem, zur Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Der 19-Jährige ist einer der Wenigen, die an diesem Tag arbeiten – in der Wechselstube seiner Familie am Jaffa-Tor zur Altstadt. »In Jerusalem befindet sich die Al-Aksa-Moschee und die gehört zu uns und nicht zu ihm«, sagt der junge Mann. Trump habe kein Recht, etwas zu verteilen, was nicht ihm gehöre. »AlAksa ist für alle Muslime wichtig, nicht nur für die Palästinenser.«
Die radikale Palästinenserorganisation Hamas rief für den heutigen Freitag zu einem neuen Palästinenseraufstand, einer Intifada, gegen Israel auf. Trumps Schritt komme einer »Kriegserklärung gegen die Palästinenser« gleich, sagte Hamas-Chef Ismail Hanija in Gaza. Am Donnerstag kam es zu ersten gewaltsamen Unruhen in Bethlehem, Hebron, Ramallah und anderen Zentren des palästinensischen und israelisch besetzten Westjordanlandes.
Israel feiert die US-Entscheidung hingegen, Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach am Donnerstag von einer »histori- schen Erklärung« Trumps. Der Rest der Welt sieht darin aber vor allem neue Kriegsgefahr. Für den heutigen Freitag will sich der UN-Sicherheitsrat auf Antrag Italiens, Schwedens und anderer Staaten zu einer Dringlichkeitssitzung treffen.
Die moderate Palästinenserführung will die USA nicht mehr als Vermittler des Friedensprozesses akzeptieren. »Ihre Hilfe ist nicht erwünscht«, sagte der palästinensische Ministerpräsident Rami Hamdallah am Donnerstag im Gazastreifen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Alleingang Trumps am Donnerstag kritisiert.
Die Folgen der Jerusalem-Entscheidung des US-Präsidenten sind unabsehbar. Dass sie schwerwiegend und opferreich sein werden, dürfte jedoch bereits feststehen. All die alarmierenden Vergleiche, die jetzt zu hören sind, wie »rote Linie überschritten« und »Büchse der Pandora geöffnet« sind nicht zu weit hergeholt.
Es ist zu bezweifeln, dass Trump überblickt, was er da außenpolitisch getan hat, und noch weniger, was er damit anrichten wird. Das entschuldigt freilich nichts. War schon das immer stärker amerikazentrierte Weltbild vergangener US-Präsidenten verhängnisvoll für den Rest der Welt, so ist es noch mehr dessen egomanische Verengung auf Trump und Co. Jerusalem ist bisheriger Höhepunkt in Washingtons Tendenz zum Unilateralismus. Diesmal steht kein einziger Verbündeter der USA an deren Seite.
Aber: Die Ablehnung ist zwar einhellig, doch bewegt sich der Protest bislang auf recht moderatem Niveau. Es wäre gefährlich, bliebe es dabei. Europa, im besonderen die EU, ist nach der US-Totalabsage an konstruktive Nahostpolitik substanziell gefordert, nicht zuletzt im eigenen europäischen Sicherheitsinteresse. Wie können jetzt vernunftgeleitete Kräfte in Nahost gestärkt werden? Das ist die Frage der Stunde. Die EU ist gut beraten, dabei nicht auf Beifall von Netanjahu zu schielen.