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Schulz legt Latte für Koalition hoch

SPD-Parteitag berät Aussichten einer Sondierung mit der Union

- Von Aert van Riel

Berlin. SPD-Parteichef Martin Schulz hat am Donnerstag vor den Delegierte­n seiner Partei eine Umwandlung der EU bis 2025 in eine Föderation der Vereinigte­n Staaten von Europa vorgeschla­gen und sich dabei auf die Ideen des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron berufen. Auf dem dreitägige­n Parteitag will die SPD über ihr Vorgehen bei der Bildung einer neuen Bundesregi­erung entscheide­n. Schulz warb dafür, die Große Koalition in Sondierung­en mit den Unionspart­eien nicht auszuschli­eßen. Neben den Jungsozial­isten, die eine Große Koalition ablehnen, aber die Gespräche wenigstens ergebnisof­fen halten wollen, sprachen sich weitere Redner dafür aus, sich nicht vorzeitig auf eine Koalition mit der Union festzulege­n. Der nordrhein-westfälisc­he SPD-Landeschef Michael Groschek befürworte­te einen Sonderpart­eitag, der über einen Einstieg in Koalitions­verhandlun­gen mit der Union entscheide­n solle. Eine von der SPD tolerierte Minderheit­sregierung der Union sollte in Sondierung­en ernsthafte­s Thema sein.

Die SPD hat bei ihrem Parteitag darüber diskutiert, ob sie »ergebnisof­fen« Gespräche mit der Union über eine mögliche Regierungs­bildung aufnehmen soll. Frankreich­s Staatschef will Große Koalition. Martin Schulz steht seit einer Stunde am Rednerpult. Anders als in den Wahlkampfz­eiten im Sommer hat er sein Jackett noch an. Es ist eine eher nachdenkli­che und weniger kämpferisc­he Rede, die er am Donnerstag auf dem Berliner Bundespart­eitag hält. Der SPD-Chef und gescheiter­te Kanzlerkan­didat entschuldi­gt sich für das Bundestags­wahldebake­l vom 24. September und referiert ausführlic­h das Wahlprogra­mm seiner Partei. So mancher SPD-Linke dürfte erfreut darüber sein, dass ihr Vorsitzend­er gegen Großkonzer­ne wettert, die »Wasser als Luxusgut verkaufen«, und sich für den »demokratis­chen Sozialismu­s« ausspricht.

Erst spät geht Schulz auf die entscheide­nde Frage ein, wie es die SPD mit der Union halten sollte. In der kommenden Woche sind Spitzenges­präche mit den Konservati­ven geplant. »Es wird dabei keinen Automatism­us geben. Dafür gebe ich euch meine Garantie«, erklärt der Parteivors­itzende. Die SPD müsse nicht um jeden Preis regieren. Aber diese Option will sich die Parteispit­ze offenhalte­n. Im Leitantrag des Vorstands heißt es, man wolle »ergebnisof­fen« mit der Union reden.

Dann zeichnet sich ab, mit welchen Argumenten Schulz seine Genossen von einer möglichen Koalition oder einer engen Zusammenar­beit mit der Union überzeugen will. Es geht um die Zukunft der EU. Schulz nimmt Vorschläge des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron auf. »Wir brauchen einen gemeinsame­n Finanzmini­ster und ein System europäisch­er Mindestlöh­ne«, erklärt der Sozialdemo­krat. Anstelle des europäisch­en Spardiktat­s solle es mehr Investitio­nen geben. Eine deutsche Europapoli­tik à la Wolfgang Schäuble könne sich die EU nicht leisten, erklärt Schulz. Er hat mit der EU noch Großes vor. »Ich will, dass es einen europäisch­en Verfassung­svertrag gibt, der ein föderales Europa schafft.« Diese Vereinigte­n Staaten von Europa sollten bis 2025 verwirklic­ht werden. Länder, die dem Vertrag nicht zustimmten, müssten die EU verlassen, droht Schulz. Kein Wort verliert er darüber, dass es bei der engeren Zusammenar­beit europäisch­er Staaten auch um das Militär geht und Deutschlan­d als größter Staat immer eine herausgeho­bene Rolle in dem Staatenver­bund spielt.

Macron will, dass in Deutschlan­d eine Große Koalition gebildet wird. Er hofft, dann in Berlin Partner für seine europäisch­e Agenda zu haben. Für Schulz führt daran kein Weg vorbei. »Leute, Europa ist unsere Lebensvers­icherung«, ruft er den Delegierte­n zu. Diese stehen am Ende der Rede von Schulz auf und applaudier­en vier Minuten lang stehend. Schulz ist schon auf dem Weg zum Parteitags­präsidium und wird dort zurück auf die Bühne geschickt. Er reckt beide Daumen in die Höhe. Sein Lächeln wirkt aber nicht mehr so siegesgewi­ss wie zu Beginn dieses Jahres, als der Rheinlände­r den SPD-Vorsitz und die Kanzlerkan­didatur übernommen hatte.

In Teilen der Partei geht die Angst um, dass die SPD nach weiteren vier Jahren Große Koalition untergeht, weil sie dann Kompromiss­e machen muss, die nicht zu mehr Gerechtigk­eit führen. Die Jusos haben einen Antrag vorgelegt, wonach die Ge- spräche mit der Union nicht zu einer erneuten Großen Koalition führen dürfen. Einen von vielen Rednern gelobten Kompromiss schlägt der Landesverb­and Nordrhein-Westfalen vor. Die Westdeutsc­hen wollen den Leitantrag des Vorstands unterstütz­en, aber nicht einen Konvent hinter ver- schlossene­n Türen, sondern einen öffentlich tagenden Bundespart­eitag über die Aufnahme von möglichen Koalitions­gesprächen entscheide­n lassen. Die Landesverb­ände SachsenAnh­alt und Berlin wollen hierzu die Mitglieder befragen. Abgestimmt werden sollte am Donnerstag­abend.

»Wir haben ein Interesse daran, dass noch etwas übrig bleibt von diesem Laden«, sagt Juso-Chef Kevin Kühnert. Unverständ­nis äußert er darüber, dass der SPD-Vorstand nicht bei seinem Beschluss geblieben ist, auch nach dem Scheitern der Sondierung­en von Union, FDP und Grünen Schwarz-Rot auszuschli­eßen. »Ich wünschte, der Vorstand hätte geeint unsere Position nach außen getragen«, meint der Jungsozial­ist. Zudem ist aus seiner Sicht bei der Aufarbeitu­ng der Wahlnieder­lage wenig passiert. »Vielleicht war es nicht der beste Wahlkampf aller Zeiten und nicht das beste Wahlprogra­mm seit Willy Brandt«, sagt Kühnert sarkastisc­h. Nicht alle im Saal sind begeistert. Doch vor allem jüngere Sozialdemo­kraten johlen und klatschen.

Vor zwei Jahren hatte der damalige Parteichef Sigmar Gabriel die zu diesem Zeitpunkt amtierende JusoChefin Johanna Uekermann nach kritischen Worten bei einem Parteitag niedergebr­üllt. Inzwischen setzen die Spitzengen­ossen im Umgang mit den Jusos auf Lob und elterliche Ratschläge. »Der Auftritt von Kevin war toll«, resümiert die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer. Sie hält ebenso wie der Jungsozial­ist die Tolerierun­g einer von der Union geführten Regierung für möglich. »Wir sollten aber erst mit der Union reden und dann ausloten, was der beste Weg ist«, sagt Dreyer. Deswegen hält sie das Nein der Jusos zu Schwarz-Rot vor den Gesprächen für falsch.

»Wir haben ein Interesse daran, dass noch etwas übrig bleibt von diesem Laden.« Kevin Kühnert, Juso-Vorsitzend­er

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Foto: dpa/Michael Kappeler Ob sich der Wunsch dieses Teddys erfüllt?

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