nd.DerTag

Kultur des Wegschauen­s

- Sebastian Bähr ärgert sich über institutio­nellen Rassismus

Kurzzeitig, mit der Einstellun­g der Ermittlung­en im Fall Oury Jalloh Mitte Oktober, sah es so aus, als hätte die Zivilgesel­lschaft verloren. Durch die unermüdlic­he Arbeit von Aktivisten, Journalist­en und Abgeordnet­en konnte dies in letzter Sekunde abgewendet werden. Zwölf Jahre harte Kämpfe und immense Kosten waren nötig, um einen – möglichen, nach jüngsten Erkenntnis­sen wahrschein­lichen – Mord durch Polizisten an einem Asylbewerb­er wieder auf die Tagesordnu­ng zu setzen. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss liegt in greifbarer Nähe, immer mehr Details der Vertuschun­gen werden endlich öffentlich.

Die Freude ist jedoch nur von kurzer Dauer: Denn das ganze Prozedere macht die Effizienz des institutio­nellen Rassismus in Deutschlan­d deutlich. Die Kette der Verantwort­ungsträger im Fall Jalloh reicht von den diensthabe­nden Polizisten, die vermutlich mordeten, über eine Generalsta­atsanwalts­chaft, die offenbar Informatio­nen unterschlu­g, bis hin zu einer Justizmini­sterin des Landes, Parlaments­fraktionen und einer Bundesstaa­tsanwaltsc­haft, die keinen Aufklärung­swillen besaßen. Diejenigen, die aufklären wollten, wurden als Nestbeschm­utzer, Nervensäge­n und Lügner diskrediti­ert – und manchmal auch kriminalis­iert.

Es ist dasselbe wie beim NSU: In Deutschlan­d ist der Ausländer generell Täter, die Sicherheit­sbehörden sind generell Opfer. Wer das hinterfrag­t, macht sich Feinde. Das Vertrauen in den Rechtsstaa­t bröckelt weiter.

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