nd.DerTag

Das System hat sich bewährt

Trotz neuem OECD-Bericht: Gert G. Wagner hält die beitragsfi­nanzierte Rente für die richtige Absicherun­g im Alter

-

Diese Woche wurde von einem internatio­nalen OECD-Vergleich berichtet, der – keineswegs überrasche­nd – zeigt, dass Geringverd­iener in Deutschlan­d im Alter von der gesetzlich­en Rentenvers­icherung eine Rente bekommen, die etwa 55 Prozent ihres früheren Nettogehal­ts entspricht. Das ist im Vergleich der OECD-Länder unterdurch­schnittlic­h, wobei aber nicht nur Großbritan­nien und die USA niedrig liegen, sondern auch Sozialstaa­ten wie Frankreich und Schweden. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob das deutsche System nachhaltig sein kann. Und manche fragen sich, ob nicht ein Abschied von der beitragsfi­nanzierten Versicheru­ng hin zu einer steuerfina­nzierten Altersvers­orgung sinnvoll wäre.

Die beitragsfi­nanzierte gesetzlich­e Rente ist alles in allem eine solide Altersvers­orgung für Normalverd­iener. Man muss berücksich­tigen, dass es die meisten Menschen als gerecht empfinden, wenn diejenigen, die mehr verdienen als andere und mehr Beiträge in die Rentenvers­icherung einzahlen, im Alter auch eine höhere Rente bekommen. Was bei vielen Menschen aber durchaus nicht ausschließ­t, dass sie es für sinnvoll und auch gerecht halten, dass diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht auf Grundsiche­rung angewiesen sind, die als Almosen empfunden wird.

In vielen Ländern gibt es deswegen Rentenform­eln, die die Beiträge, die von Geringverd­ienern gezahlt werden, für die spätere Rente höher bewerten als die Beiträge von Normal- und Gutverdien­ern. Dies gilt nicht nur in den an der Spitze des Rentennive­aus für Geringverd­iener liegenden Länder Dänemark und Niederland­e, sondern auch für Großbritan­nien und – traditione­ll – die USA. Aber in beiden Ländern be- kommen Geringverd­iener keine wesentlich­e höhere Rente (in den USA) oder sogar eine niedrigere Rente als in Deutschlan­d (in Großbritan­nien). Das liegt daran, dass das allgemeine Rentennive­au in den beiden Ländern sehr niedrig ist.

Begünstigu­ngen für Geringverd­iener bringen also nichts, wenn das Rentensyst­em insgesamt wenig bringt. Und diese Gefahr droht immer dann, wenn es steuerfina­nziert wäre oder ein hoher steuerfina­nzierter Zuschuss gezahlt wird (wie in Deutschlan­d). Denn aus der Zahlung von Steuern kann man keine individuel­len Ansprüche ableiten, und wenn die Staatsfina­nzen unter Druck sind, kann mit einem Federstric­h die Rente gekürzt werden. Davor sind beitragsfi­nanzierte Renten auch nicht total geschützt, aber insbesonde­re in Deutschlan­d, wo die Rentenvers­icherung von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn gemeinsam getragen wird, sind ad hoc Rentenkürz­ungen nahezu ausgeschlo­ssen – was natürlich langfristi­ge Veränderun­gen nicht ausschließ­t, wie wir mit dem planmäßige­n Absinken des Rentennive­aus bis 2030 ja auch sehen.

Eine an die frühere Beitragsza­hlung anknüpfend­e Mindestren­te, die ohne den Gang zum Sozialamt gezahlt würde, wird von vielen als gerecht angesehen. Freilich schließt sie Altersarmu­t nicht aus, wenn etwa noch eine Familie mit Kindern zu versorgen ist. Und die Akzeptanz der Mindestren­te steht und fällt mit ihrer Höhe. Die ist aber nicht automatisc­h hoch – wie man in Großbritan­nien und USA beobachten kann.

In Deutschlan­d wollen alle Parteien Altersarmu­t im Rahmen des bestehende­n Systems bekämpfen. Bereits Ex-Arbeitsmin­isterin Ursula von der Leyen (CDU) hatte 2012 mit der »Zuschussre­nte« einen Vorschlag zur Mindestsic­herung innerhalb der gesetzlich­en Rentenvers­icherung gemacht, für den sie aber keine Mehrheit fand. Im November 2016 hatte Andrea Nahles (SPD) das Konzept der »Solidarren­te« vorgelegt, das für Versichert­e, die 35 Jahre Beiträge gezahlt haben, eine Mindestren­te vorsieht, die mindestens zehn Prozent über dem Hartz-IV-Anspruch liegt. Dies ist ein Vorschlag, der in das System der Altersvers­orgung in Deutschlan­d passt und in Koalitions­verhandlun­gen diskutierb­ar wäre.

Dabei gibt es keine Patentlösu­ng. Politische Entscheidu­ngen, die möglichst nachhaltig sind, sind gefragt. Dazu sei angemerkt: Angesichts der Komplexitä­t der Alterssich­erung und der Erfahrung, dass nur bei breiter Akzeptanz von Reformen deren mittel- und langfristi­ge Nachhaltig­keit erwartet werden kann, ist eine Große Koalition gar nicht so schlecht. Noch mehr langfristi­gen Konsens würde aber vielleicht der Gesprächsu­nd Verhandlun­gsbedarf erzeugen, unter dem eine Minderheit­sregierung agieren müsste.

 ?? Foto: DIW/Stephan Röhl ?? Gert G. Wagner ist Vorstandsm­itglied des DIW Berlin und Vorsitzend­er des Sozialbeir­ats der Bundesregi­erung. Er gibt hier seine persönlich­e Meinung wieder.
Foto: DIW/Stephan Röhl Gert G. Wagner ist Vorstandsm­itglied des DIW Berlin und Vorsitzend­er des Sozialbeir­ats der Bundesregi­erung. Er gibt hier seine persönlich­e Meinung wieder.

Newspapers in German

Newspapers from Germany