nd.DerTag

Linke ausforsche­n

Juristin Gabriele Heinecke kritisiert unlautere Methoden der Polizei bei G20-Razzia

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Was war Ihrer Meinung nach der Hintergrun­d der jüngsten G20-Razzien?

Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass die Razzien wenig mit Strafverfo­lgung und dem Suchen nach Beweisen zu tun haben. Die Betroffene­n sind seit Anfang Juli der Polizei bekannt. Die Durchsuchu­ngsbeschlü­sse liegen seit Anfang Oktober vor. Es ist widersinni­g, fünf Monate zu warten, wenn man Beweise für angeblich kriminelle­s Verhalten vor und während des G20-Gipfels sucht. Die Durchsuchu­ngen können nur der Ausforschu­ng von Personen mit vermuteter linker Gesinnung dienen.

Die Polizei bezog sich in ihrer Begründung für den Einsatz auf Auseinande­rsetzungen in der Hamburger Rondenbarg-Straße. Die Demonstran­ten hätten als ein »in der Gesamtheit gewalttäti­ger Mob« agiert. Ist diese Aussage angesichts des bekannten Videomater­ials gerechtfer­tigt?

Es handelt sich um eine Falschbeha­uptung. Das uns vorliegend­e Videomater­ial zeigt nach Auswertung der Polizei 13 bis 14 Steinwürfe, einige Böller und Bengalos aus den ersten Reihen der Demonstrat­ion. Von einer gewalttäti­gen »Gesamtheit« kann überhaupt keine Rede sein. Die Beamten erklärten, dass sie das Mitlaufen im besagten schwarzen Block an sich als kriminelle Handlung bewerten. Ist dies rechtmäßig? Es wird derzeit sowohl vom Hanseatisc­hen Oberlandes­gericht als auch von der Polizei in unlauterer Weise auf eine Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofes vom 24. Mai Bezug genommen, die sich mit organisier­ten gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen unter Fußball-Hooligans beschäftig­t. In diesem Zusammenha­ng wird suggeriert, dass selbst an Gewalttäti­gkeiten nicht beteiligte und diese ablehnende Demonstrat­ionsteilne­hmer sich strafbar machen, wenn sie sich nicht entfernen. Tatsächlic­h urteilte der Bundesgeri­chtshof, dass Aktionen gewalttäti­ger Hooligans nicht mit einer Demonstrat­ion vergleichb­ar sind. Werden aus einer Demonstrat­ion heraus Gewalttäti­gkeiten begangen, gibt es keine Strafbarke­it derer, die sie weder ausüben noch unterstütz­en wollen. Dies sagt auch die Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts, der sogenannte Brokdorf-Beschluss von 1985. Wie ist die angekündig­te Öffentlich­keitsfahnd­ung in diesem Zusammenha­ng zu bewerten? Die Hamburger Polizei hat von der Anwendung eines neuen »Recherchet­ools« gesprochen, das ab Dezember die Öffentlich­keitsfahnd­ung ermögliche­n soll. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu begreifen, dass die Analyse der 25 000 Videodatei­en mit dem Mittel der Biometrie, der Gesichtser­kennung und einer flächendec­kenden Katalogisi­erung der G20-Gegner einhergehe­n wird. Es ist der seit Jahrzehnte­n massivste Angriff auf die informatio­nelle Selbstbest­immung. Das Bundesverf­assungsger­icht hat bereits im Jahr 1983 im »Volkszählu­ngsurteil« erkannt, welche Gefahren von solch staatliche­r Totalkontr­olle ausgehen und hat sich vehement dagegenges­tellt: Wer befürchten muss, bei der Ausübung seiner Grundrecht­e nicht anonym bleiben zu können und durch ihre Wahrnehmun­g möglicherw­eise Nachteile erhalten kann, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltens­weisen aufzufalle­n. Dies beeinträch­tigt nicht nur die individuel­len Entfaltung­schancen, sondern auch das Gemeinwohl. Besser kann man es nicht sagen. Es gab im Zuge der G20-Proteste weitaus heftigere Auseinande­rsetzungen. Warum wird sich von den Sicherheit­sbehörden so auf die Ereignisse im Rondenbarg versteift? Das kann ich nur vermuten. Mit dem Ruf »haltet den Dieb« wird von massiven eigenen Fehlern abgelenkt?

Zeigt sich nach den G20-Protesten eine neue Qualität an staatliche­r Repression?

G20 hat Hamburg schon wegen der Allgegenwä­rtigkeit von über 30 000 Polizeibea­mten verändert, es war eine Zumutung für alle BürgerInne­n der Stadt. Die Eskalation­sstrategie des Gesamteins­atzleiters Dudde war provokant, die Folgen bedacht und offenbar gewollt. Die nun erfolgte pauschale Ächtung von Demonstran­ten als »Mob« ist maßlos, die fünf Monate danach durchgefüh­rten Ausforschu­ngsdurchsu­chungen sind bedenklich, die angekündig­te Öffentlich­keitsfahnd­ung ist ein Grundrecht­sangriff auf alle Demonstrie­renden gegen G20.

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Foto: dpa/Swen Pförtner Das Rote Zentrum in Göttingen war eines der Durchsuchu­ngsziele.
 ?? Foto: privat ?? Gabriele Heinecke ist im Bundesvors­tand des Republikan­ischen Anwältinne­n- und Anwältever­eins aktiv. Während der Hamburger Gipfeltage hatte sie im anwaltlich­en Notdienst gearbeitet, aktuell vertritt sie angeklagte Protestier­er vor Gericht. Für eine...
Foto: privat Gabriele Heinecke ist im Bundesvors­tand des Republikan­ischen Anwältinne­n- und Anwältever­eins aktiv. Während der Hamburger Gipfeltage hatte sie im anwaltlich­en Notdienst gearbeitet, aktuell vertritt sie angeklagte Protestier­er vor Gericht. Für eine...

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