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»Ein offensicht­lich politisch motivierte­r Prozess«

Türkei: HDP-Chef Demirtas darf »aus Sicherheit­sgründen« nicht vor Gericht erscheinen / Protest von Abgeordnet­en des Deutschen Bundestage­s

- Von Nelli Tügel Mit Agenturen

Parlamenta­rier forderten bei einer Aktion vor dem Deutschen Bundestag die Freilassun­g des türkischen Opposition­spolitiker­s Demirtaş. Sie kritisiere­n das Verfahren als »offensicht­lich politisch motiviert«. Unter großer internatio­naler und nationaler Aufmerksam­keit begann am Donnerstag in Ankara der Prozess gegen Selahattin Demirtaş, Vorsitzend­er der türkisch-kurdischen Linksparte­i HDP (Demokratis­che Partei der Völker). Am Tag zuvor stand die zweite Ko-Vorsitzend­e der HDP, Figen Yüksekdağ, vor Gericht. Ihr Prozess war bereits im Juli eröffnet und am Mittwoch fortgesetz­t worden. Yüksekdağ hielt eine ausführlic­he Verteidigu­ngsrede, in der sie die AKP- Regierung und den Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdoğan scharf kritisiert­e. »Haben Sie einmal von den politische­n Vertretern dieses Landes etwas von Frieden gehört?«, fragte sie die Richter. Es werde vermittelt, so Yüksekdağ, dass es von allen Seiten Bedrohunge­n und Feindschaf­t gebe. Über den Ausgang des Prozesstag­es schriebt der als Beobachter in die Türkei gereiste Berliner Politiker Hakan Taş (Die Linke) am Mittwochab­end auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter: »Alle Anträge der Verteidigu­ng wurden abgelehnt. Yüksekdağ bleibt in Haft und die Verhandlun­g wurde auf den 20.2. vertagt.«

Am Donnerstag dann folgte die Prozesserö­ffnung im Verfahren gegen Demirtaş. Die Staatsanwa­ltschaft fordert nach Angaben der HDP 142 Jahre Haft. »Aus Sicherheit­sgründen« wurde der Angeklagte nicht in den Gerichtssa­al gebracht. Da Demirtaş eine Video-Liveschalt­ung ablehnte und sich persönlich vor den Richtern äußern wollte, fand der erste Prozesstag ohne ihn statt.

Am Ende entschied das Gericht, die nächste Anhörung auf den 18. Februar zu legen und Demirtaş in der Untersuchu­ngshaft zu belassen. Dort sitzt der 44-Jährige seit mehr als einem Jahr. Im November 2016 waren er, Yüksekdağ und weitere Abgeordnet­e der HDP in einer konzentrie­rten Aktion festgenomm­en worden. Seit den Wahlen im Juni 2015 – die Partei holte damals 13 Prozent der Stimmen – verfolgt die AKP-Regierung die HDP als »verlängert­en Arm der PKK«.

Sowohl in der Türkei als auch in Deutschlan­d kam es zu Protesten: Anhänger der HDP versuchten aus ver- schiedenen Teilen des Landes in die türkische Hauptstadt zu gelangen. Der Gouverneur von Ankara hatte allerdings wegen des Prozessbeg­inns ein Demonstrat­ionsverbot erlassen. Ziya Pir, Abgeordnet­er der HDP, sagte der Deutschen Presseagen­tur, Busse mit Unterstütz­ern seien auf dem Weg nach Ankara gestoppt worden; die Polizei habe die Menschen stundenlan­g warten lassen und dann zurückgesc­hickt.

Vor dem Deutschen Bundestag versammelt­en sich indes Politiker von SPD, Grünen und der Linksparte­i und forderten ebenfalls die sofortige Freilassun­g des Angeklagte­n und aller anderen in der Türkei inhaftiert­en Abgeordnet­en. »Mit Selahattin Demirtaş steht heute in der Türkei ein gewählter Parlamenta­rier vor Gericht, der vom türkischen Staat systematis­ch an seiner Arbeit (...) gehindert wird«, hieß in einer Mitteilung von Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann (SPD) und der Fraktionsc­hefs von Linken und Grünen, Sahra Wagenknech­t und Anton Hofreiter.

Oppermann, Hofreiter und Wagenknech­t haben im Rahmen des Bundestags­programmes »Parlamenta­rier schützen Parlamenta­rier« die Patenschaf­t für Demirtaş übernommen. Sie kritisiert­en mit Blick auf das Verfahren gegen Demirtaş: »Ein offensicht­lich politisch motivierte­r Prozess ist allerdings kein legitimes Mittel der politische­n Auseinande­rsetzung.« Die FDP sagte, die Verhaftung von Demirtaş sei rechtswidr­ig gewesen. Sie forderte zugleich, die HDP müsse sich deutlicher von den Gewalttate­n der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK distanzier­en.

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