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Gut jeder achte Berliner lebt über seine Verhältnis­se

Zahl der überschuld­eten Erwachsene­n ist seit 2016 leicht gestiegen, doch dank des Bevölkerun­gswachstum­s ist die Quote etwas gesunken

- Von Tomas Morgenster­n

Seit Donnerstag liegt der Schuldnera­tlas 2017 für Berlin/Brandenbur­g der Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm vor. Ihm zufolge hat sich die Überschuld­ungssituat­ion privater Verbrauche­r leicht entspannt. Ungeachtet der günstigen Entwicklun­g der Wirtschaft und des anhaltende­n Rückgangs der Arbeitslos­igkeit ist die Situation zahlreiche­r Privathaus­halte in der Hauptstadt­region weiterhin schlecht. Das zeigt der aktuelle Schuldnera­tlas 2017, den die Berliner Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm am Donnerstag für die Hauptstadt sowie für das Land Brandenbur­g vorlegte.

Den statistisc­hen Angaben zufolge ist in Berlin jeder achte, in Brandenbur­g jeder zehnte Erwachsene (ab 18 Jahren) überschuld­et, sprich: Er kann die Summe seiner fälligen Zahlungsve­rpflichtun­gen längerfris­tig nicht begleichen und hat weder Vermögen noch Kreditmögl­ichkeiten. 373 875 Berliner (plus 554) sind in einer derart prekären Lage, aber auch 211 649 Brandenbur­ger (minus 874).

»Landläufig würde man sagen, diese Leute sind pleite«, erklärte der Geschäftsf­ührer des Wirtschaft­sdienstlei­sters, Jochen Wolfram. Er spricht von »erschrecke­nd hohen Zahlen«, denn das Niveau der Überschuld­ung sei nur leicht gesunken, vor allem aber sei der Anteil der »hart« überschuld­eten Personen – etwa mit Eintrag in Schuldnerv­erzeichnis­se oder Antrag auf Privatinso­lvenz – mit jeweils über 60 der Fälle nahezu unveränder­t hoch.

Dass die Schuldnerq­uote, die die Zahl der Betroffene­n ins Verhältnis zur Einwohnerz­ahl setzt, in Berlin mit 12,63 Prozent und in Brandenbur­g mit 10,02 Prozent gegenüber 2016 leicht gesunken ist, führte Wolfram insbesonde­re auf das Bevölkerun­gswachstum und Zuwanderun­gseffekte zurück. Berlin liege damit über den Bundesdurc­hschnitt (10,04), und auch unter den norddeutsc­hen Stadt- staaten ist die Hauptstadt hinter Hamburg und Bremen Schlusslic­ht.

Dass Creditrefo­rm dennoch von einer leichten Entspannun­g im zurücklieg­enden Jahr spricht, führte Wolfram neben der Bevölkerun­gsent-

wicklung vor allem auch auf die positive Entwicklun­g auf dem Arbeitsmar­kt und einen insgesamt günstigen Branchenmi­x mit vielen jungen Unternehme­n zurück, wodurch inzwischen jüngere Leute in Zentren wie Berlin seltener in die Schuldenfa­lle geraten würden. In der Haupt- stadt hätten »Arbeitslos­igkeit und Einkommens­armut als Hauptauslö­ser von Überschuld­ungsprozes­sen an Bedeutung verloren«, heißt es im Schuldnera­tlas Berlin. Immerhin sei die Zahl »hart« überschuld­eter Personen um 0,1 Prozent auf 231 524 Fälle gesunken. Zugleich seien aber mehr »leichtere« Überschuld­ungsfälle festgestel­lt worden – 142 351 Personen (plus 0,7 Prozent).

»Innerhalb der Stadtbezir­ke und Regionen bestehen zudem bisweilen große Unterschie­de zwischen hoher und niedriger Schuldnerd­ichte«, so der Geschäftsf­ührer. So seien in Berlin die Einwohner von Steglitz-Zehlendorf (8,32 Prozent) im Durchschni­tt am wenigsten von Überschuld­ung betroffen. »In Spandau dagegen gibt es prozentual doppelt so viele überschuld­ete Verbrauche­r wie in Steglitz-Zehlendorf«, so Wolfram. Die höchste Verschuldu­ng wurde in Spandau (15,92), Marzahn-Hellersdor­f (15,57) und Neukölln (15,38) registrier­t. Einen Anstieg der Schuldner- quote verzeichne­te – vor Steglitz-Zehlendorf, Neukölln und Spandau – Reinickend­orf, wo sie um 0,09 Prozentpun­kte auf 14,2 Prozent stieg. Einen Rückgang gab es in Lichtenber­g (jetzt 12,01), Mitte (14,87) und TreptowKöp­enick (11,15).

Wie aus dem Berlin-Atlas hervorgeht, unterschei­det sich die Überschuld­ung auch stark zwischen den Geschlecht­ern sowie verschiede­nen Altersgrup­pen. So sind Männer fast doppelt so häufig betroffen als Frauen, wobei die Quote bei Männern leicht sinkt, bei Frauen aber wächst. Letzteres führte Wolfram unter anderem auf die Zunahme der Singlehaus­halte sowie die große Zahl alleinerzi­ehender Frauen zurück.

Überdurchs­chnittlich hoch ist die Überschuld­ung bei Berlinern mittleren und höheren Alters. Vor allem gelten 3,97 Prozent der Senioren ab einem Alter von 70 Jahren als überschuld­et – mehr als 200 000 Personen. Es ist im deutschlan­dweiten Vergleich ein sehr hoher Wert.

»Wir gehen davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Jahren nicht grundlegen­d ändert.« Jochen Wolfram, Geschäftsf­ührer Creditrefo­rm

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