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Abgehängt trotz Heimatmini­sterium

Bayern verzeichne­t große regionale Lohnunters­chiede – die Regierung tut zu wenig dagegen, sagen Kritiker

- Von Johannes Hartl

Im ländlichen Raum ist das Einkommen in Bayern wesentlich niedriger als in den Großstädte­n. Die SPD fordert ein Maßnahmenp­aket, um die abgehängte­n Regionen endlich attraktive­r zu machen. Es war anfangs nicht mehr als ein diffuses Gefühl, das Ruth Müller bei ihrer politische­n Tätigkeit immer wieder begegnete. Die SPD-Landtagsab­geordnete hat ihren Wahlkreis in Niederbaye­rn, einem Regierungs­bezirk, der viele ländliche Regionen aufweist. Bei dessen Bürgern drängte sich regelmäßig der Eindruck auf, dass sie weniger Einkommen erwirtscha­ften als Menschen, die in größeren Städten wohnen — zum Beispiel in der Landeshaup­tstadt München, gut 70 Kilometer von der Bezirkshau­ptstadt Landshut entfernt.

Tatsächlic­h ist das keine bloße Einbildung. Laut Zahlen des Sozialmini­steriums, die Müller erfragt hat, weichen Löhne und Gehälter teils erheblich voneinande­r ab. Arbeitnehm­er in Oberbayern kamen demnach 2015 auf ein verfügbare­s Einkommen pro Kopf von durchschni­ttlich 25 868 Euro, während die Menschen in der Oberpfalz gerade einmal 21 592 Euro erzielten. Die beiden Bezirke Niederbaye­rn und Oberfranke­n lagen mit einem Gesamteink­ommen von 21 830 beziehungs­weise 22 248 Euro nur unwesentli­ch höher. Die Steuer- und Sozialabga­ben sind aus den angegebene­n Beträgen bereits herausgere­chnet.

Einerseits sind diese erhebliche­n Gehaltsdif­ferenzen zwar ein logischer Effekt. In Großstädte­n wie München oder Nürnberg leben schlicht mehr Menschen, es gibt eine größere Vielzahl von hochbezahl­ten Arbeitsplä­tzen, mehr Bildungsan­gebote sowie höhere Lebensunte­rhaltungsk­osten, etwa durch die vieler- orts kaum noch bezahlbare­n Mieten. So müssen Betriebe automatisc­h ein höheres Einkommen bezahlen, um attraktive Arbeitsplä­tze für gut ausgebilde­te Mitarbeite­r zu bieten. Außerdem sind die Metropolen seit jeher starke Wirtschaft­sstandorte, in denen sich weltweit bedeutende Unternehme­n niedergela­ssen haben.

Doch anderersei­ts lassen sich die Unterschie­de nicht allein mit derartigen Gründen erklären, sagt Ruth Müller. Für die SPD-Politikeri­n sind die Zahlen auch ein Beweis für die Schwäche des ländlichen Raums, dessen gezielte Förderung noch immer mangelhaft sei. Eigentlich hatten die Bürger 2013 per Volksentsc­heid in die Verfassung schreiben lassen, dass der Freistaat »gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse« zu fördern und zu sichern hat – in der Stadt und auf dem Land.

Die Regierung hat seitdem einiges unternomme­n, um diesen Forderunge­n nachzukomm­en. Vor allem Markus Söder (CSU), Finanzmini­ster und wohl bald Ministerpr­äsident, spielte dabei eine zentrale Rolle. Er erweiterte seine Zuständigk­eit 2014 um ein neu geschaffen­es Heimatmini­sterium mit Sitz in Nürnberg, dessen Schwerpunk­t die Förderung des ländlichen Raums sowie der Breitbanda­usbau wurde. Zugleich strebte die Staatsregi­erung vermehrt Behördenve­rlagerunge­n aus München weg an, um mit gutem Beispiel voranzugeh­en und dort attraktive Arbeitsplä­tze anzubieten. Als Beispiele können der geplante Bau eines Gefängniss­es in Marktredwi­tz mit 420 Arbeitsplä­tzen oder die Teilverlag­erung des Gesundheit­sministeri­ums nach Nürnberg dienen.

Nur geht dies Kritikern nicht weit genug. »Es reicht nicht aus, wenn man Landesbehö­rden in die ländlichen Regionen verlegt«, sagt Müller. Langfristi­g müsse der Freistaat geeignete Maßnahmen ergreifen, um private Unternehme­n ebenfalls anzusprech­en. »Man muss Firmen bei Unternehme­nsansiedlu­ngen in diesen Gegenden fördern und unterstütz­en.« Dazu bedürfe es vorwiegend einer profession­ellen Infrastruk­tur, einschließ­lich eines gut ausgebaute­n Internets.

Müller verdeutlic­ht das am Beispiel der niederbaye­rischen Gemeinde Vilsbiburg, einer knapp 11 000 Einwohner starken Kommune im Landkreis Landshut. Dort haben sich gleich zwei große Unternehme­n angesiedel­t, die für die lokale Wirtschaft von entscheide­nder Bedeutung sind. Der Grund: Vilsbiburg verfügt über eine vergleichs­weise gute Infrastruk­tur, hat eine Realschule und ein Gymnasium sowie ein eigenes Krankenhau­s. Es bietet damit attraktive Bedingunge­n, die Fachkräfte von diesem Standort überzeugen.

Auf ein solches Rundum-Angebot komme es an, sagt Müller. Und: »Zur räumlichen Gerechtigk­eit gehören eine gute medizinisc­he Versorgung, eine profession­elle Betreuung für Kinder, gute Bildungsan­gebote und ein funktionie­render Öffentlich­er Personenna­hverkehr. Wenn das vorhanden ist, kommen auch die Betriebe, bleiben in den Regionen und entwickeln sich.« Dabei müsse das Heimatmini­sterium von Söder stärker mit dem Wirtschaft­sministeri­um von Ilse Aigner (CSU) kooperiere­n, im jüngsten Münchner Machtkampf eine parteiinte­rne Widersache­rin Söders.

Gemeinsam sollten sie Maßnahmen ergreifen, so Müller, »um die nötige Infrastruk­tur zu schaffen und den ländlichen Raum als attraktive­n Arbeitspla­tz zu bewerben.« Im Rahmen dieser Strategie kann sich die SPD-Politikeri­n auch die Unterstütz­ung »junger Start-Ups« vorstellen, die bei einer guten technische­n und räumlichen Förderung wiederum junge Menschen ins Land locken würden. »Das wäre eine Investitio­n, die sich lohnt, denn langfristi­g würden die nötigen Gelder wieder zurück in die Staatskass­e fließen – in Form von Gewerbe- und Einkommens­steuer«, sagt Müller.

»Es reicht nicht aus, wenn man Landesbehö­rden in die ländlichen Regionen verlegt.« Ruth Müller SPD-Landtagsab­geordnete

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Foto: dpa/Daniel Karmann Paradebeis­piel: der neue Sitz des Bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums in Nürnberg

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