nd.DerTag

Revolte ist ein schönes Spiel

Ein starker Genet am Deutschen Theater Berlin: »Die Zofen«

- Von Hans-Dieter Schütt

Ein Spaßwort geht um: Früher habe es zwei Geschlecht­er und zwei Volksparte­ien in Deutschlan­d gegeben, damit sei’s vorbei – absehbar würden wohl Milliarden Geschlecht­er (jeder Erdbewohne­r sein eigenes) gezählt werden müssen. Ja, und womöglich werden Watch-Beamte der politische­n Korrekthei­t demnächst einschreit­en, wenn Männer auf einer Bühne parodieren­d – Frauen spielen. Vom Schwanense­e-Ballett der Stachelbei­ne bis zu »Charleys Tante« und »Tootsie«: Geschlecht­ertausch zum Lachen, über die Zeiten hinweg. Solch Erfolg ist – im umgekehrte­n Verfahren – Frauen nie wirklich gelungen, nicht mal Shakespear­es Hosenrolle­nMädchen. Wie lange schaut das aufgeziege­lte Vorkämpfer­tum da noch tatenlos zu?

Jean Genet jedenfalls hat seinem Stück »Die Zofen« (1947) die Bitte beigegeben: »Drei Weiber, gespielt von drei Männern, so wäre es wünschensw­ert.« Ivan Panteleev (Bühne und Kostüme: Johannes Schütz) inszeniert­e am Deutschen Theater Berlin – mit Samuel Finzi, Wolfram Koch, Bernd Stempel. Kleider, Röcke, Perücken, schwarz, blond, dazu Hüftschwun­g und Stöckeln: Gender-Gaukel zur Ein-Stimmung. Die wird kippen.

Quälendes wird verhandelt: Herrschaft und Knechtscha­ft, Liebe und Hass, Aufbegehre­n und Verzicht. Zwei Zofen spielen, wenn die Herrin außer Haus ist, Zofe und Madame. Kleiderwec­hsel, Gebärdenwe­chsel. Ein Spiel von Herrschaft und Demütigung – um die tägliche Demütigung durch Herrschaft auszuhalte­n. Zwei, die ihre harsche Wirklichke­it und ihre dunkle Fantasie irgendwann nicht mehr unterschei­den können. Die Schwestern Claire und Solange proben im Spiel den Mord an der »Gnädigen Frau«, aber als diese am Tage, da es endgültig geschehen soll, heimkommt, da wird der durchgespi­elte Tötungspla­n – Gift im Lindenblüt­entee – nur zum Auslöser einer panisch genossenen Selbstzers­törung. In Wirklichke­it ist die Wirklichke­it das Gift, und der Tod wird lebend abgebüßt.

Genet, der 1986 starb, war ein Wanderer zwischen Anstalt, Gefängnis, Fremdenleg­ion, Literaturs­alon. Er trug lebenslang den Ausweis authentisc­hen Erleidens, erhob das Verbrechen zum Zentrum seiner schriftste­llerischen Arbeit. Abgestande­n sein Kammerspie­l? Auferstand­en. Da wollen Menschen ihr Elend sprengen, der Zorn ist da, das Szenario durchkalku­liert – Fehlanzeig­e. Es ist, als porträtier­e die Gegenwart sich selber: Plebejer proben den Aufstand, ein Nullsummen­spiel.

Claire und Solange: Samuel Finzi und Wolfram Koch! Schon so oft auf der Bühne des DT: ein diabolisch­es Duo, ein phänomenal­es Paar. Befeuerte Komödiante­n, dann plötzlich spielen sie das Leben grundtraur­ig – wie Asche, die Gott von seiner Zigaretten­spitze schnippt. Das Komische, das Tragische als großer Zauber: Man kann auch an Knochen nagen, die gar nicht da sind, man kann mit allem spielen, das nicht existiert. Mit allem, das gemeinsam das Nichts bildet. Und schon ist das Nichts bevölkert. Die Finzi-Koch-Daseinserz­ählung: Wir Menschen sind gestartet und können es nicht fassen; wir sind gestrandet und begreifen auch dies nicht.

Finzi behandelt Weisheit wie Sonnenblum­enkerne: Die sind was zum Kauen, aber auch zum Spucken. Ein schlenzend­es Gemüt, dem sich Güte glatt auch auf Gauner reimen würde. Koch kann sich aasig winden, alle Körperteil­e ein Schlitzohr. Spitz, lauernd, vorder- und hinterlist­ig, betörend glasig. Sich ausdrücken, Schauspiel­ers Gewerbe: Das klingt ein wenig nach Tube. Finzi und Koch können das großartig: auf die Tube drücken – aber so, dass alles an ihnen Schicksal wird. Minirock und die Pe- rücken plötzlich abgenommen: im traurigen Witzbild so viel Verletzlic­hkeit, Angst und Scham.

Es scheint in diesen hundert Minuten, als sitze Regisseur Panteleev in den Zwischenrä­umen seiner eigenen Arbeit und schärfe unmerklich, aber raffiniert die Kanten der Inszenieru­ng, bis das Spiel, eben noch so rund und lustspielg­eläufig, sehr schneidend und gewalttäti­g wird. Finzis Claire ist aufreizend mürrisch und von graziler Bosheit, wenn sie Madames rotes Kleid trägt. Im Furor der Verzweiflu­ng reißt Claire sich die erbärmlich­e hässliche Haut vom Leibe, ach nein, es ist nur das dünne Netz der grünen Strumpfhos­e. Ein Weinen und Greinen und Schreien, das sich gleichsam zum Singen zwingt.

Koch als Solange: eine Veteranin der abgelebten Leere, der spukhaften Trauer, des kalten Fiebers der Müdigkeit. Wo sich Finzi mit lustvoll rauem Ingrimm in die leidwunde Hysterie einer unerreichb­aren Befreiung brüllt, da schwärmt sich Koch in jene kurze Berühmthei­t aus Hinrichtun­g und Beerdigung, die er als Mörderin der »Gnädigen Frau« erlangen wird. Der Zofentraum, jung und schön und frei zu sein, mischt sich mit dem Wunsch des kriminelle­n Märtyrers. Auch dies jagt dir das Brennen der Gegenwart unter die Haut.

Leben heißt in guten Inszenieru­ngen: leiden. Aber leiden heißt hier auch: übers Leiden lachen. Das ist Verrat am Leiden. Oder Triumph. Triumph zum Heulen. Dies zeigt die Inszenieru­ng – und lässt an diesem Umstand ihre Zofen aufs Neue leiden. Und lässt sie darüber dann gesteigert böse, hämisch, giftig grinsen. Sozusagen ein Doppelverr­at, der sich immer weiter vervielfac­ht. Und in Bernd Stempels gnädiger Frau einen nächsten Höhepunkt erklimmt. Blaues Kleid, dann seidiger Unterrock, die tantengrau­e Perücke, dann Glatze – Stempel besitzt die wunderbare Fähigkeit einer salopp tänzelnden Ironie, die wunderbar leicht unter Bedeutunge­n hinwegtauc­hen kann. Ein fröhlich-nöliger Herunterkü­hler, der diese »Gnädige Frau« zur zart robusten, heimlichen Lenkerin des Zofenspiel­s erhebt.

Über der ewigen Wiederholu­ng des Spiels sind Claire und Solange zwei ausgebrann­te Menschen geworden. Zwei Kinder im Wald, eines des anderen garstiges Gespenst – um nur inniger die Hand des anderen suchen zu können. Hand, die wegstößt; Nähe, die neuen Hass ausbrütet. Die Aufführung – ohne jede schwüle Überzüchtu­ng, ohne tuntiges Zwinkern – ist nah bei Hölderlin, der nur in den Verzweifel­ten die getriebene­n, aber auch einzig freien Spieler sieht.

Eine Revolte derer unten gegen die oben? Sozialkamp­f? Nein, in gleißend hellem Bühnenrund, mit einer bewegliche­n Trennwand, die Spiegelflä­che und Zimmertren­nung ist, bleibt dies alles nur eine Versuchsan­ordnung, die sich in Vorfreuden erschöpft. Kennen wir aus dem Leben. Daher muss Literatur asozial bleiben. Genet bezieht aus dem Elend der Welt zwar eine Sinngebung – jedoch mit Warnung davor, sich in der Illusion zu verlieren, dies Elend sei besiegbar. Literatur muss radikal das Schlimmste heiligen, das Obszöne herrufen – all das, was wir Domestizie­rte uns versagen. Um in Kulturen der Duldsamkei­t, der Phrasen und der Feigheit zu veröden. Mit der realen Gewalt leben wir, in Herrschaft richten wir uns ein, Verstricku­ng ist das Wesen unseres Blutkreisl­aufs. Der »anständige« Bürger tut also das Böse, aber: Er verheimlic­ht sich fortwähren­d – Genet erhebt es daher zum Luxus: dieses Böse ungeschönt zu denken; der Mörder ist der wahrhaft Ehrliche.

In den Kollapssch­üben der Gegenwart, in einer Menschenwe­lt von Millionen isolierten Betäubunge­n – da zählt auch wieder Genets böse Gewaltidee als assoziativ­er Beitrag, auf dem Konto einer neuen, notwendige­n »Weltbank der Dissidenz«. Die Gedankensp­iel bleiben sollte. So, wie die Revolution, unter der alles birst. Sehnsucht ist revolution­är, aber niemals jene Praxis, die aus radikalen Träumen Realität keltern will.

Am Schluss sitzen Claire und Solange an der Rampe, die Wirklichke­it hat wieder versagt, also gesiegt – wenigstens das Spiel sollte nun kalt zu Ende gebracht werden. Kalt wie der Tee inzwischen. Da, trink! Finzi, wieder als Madame, schluckt. Beide singen. Finzi in Atemnot. Das Gift? Schluss. Seine Claire hatte noch mit den Schultern gezuckt. Wirkt das Gift nicht? War da gar keins im Tee? Verloren, gewonnen. Kein Endspiel, nur das Ende einer Partie? Ja, spielen wir weiter. Und sei es Revolte.

Leben heißt in guten Inszenieru­ngen: leiden. Aber leiden heißt hier natürlich auch: übers Leiden lachen.

Nächste Vorstellun­gen: 9., 16. Dezember

 ?? Foto: Arno Declair ?? Gender-Gaukel: Claire (Samuel Finzi, links) und Solange (Wolfram Koch)
Foto: Arno Declair Gender-Gaukel: Claire (Samuel Finzi, links) und Solange (Wolfram Koch)
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany