nd.DerTag

Zahlenspie­le

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Frage: Wie viele Muslime leben in Deutschlan­d? Auf einer Pegida-Demonstrat­ion in Dresden würde die Antwort lauten: »Zu viele.« Tatsächlic­h tun sich große Teile der Bevölkerun­g schwer, den Anteil an Menschen muslimisch­en Glaubens richtig einzuschät­zen. In einer Studie des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ipsos aus dem Jahr 2016 meinte die Mehrheit der Befragten, jeder Fünfte hierzuland­e sei ein Anhänger des Islam. An der Realität war dies mehr als nur knapp vorbei: In Wahrheit sind es lediglich fünf Prozent. Solche Fehl- einschätzu­ngen kommen auch zustande, wenn wiederum andere Studien vermeintli­ch belegen, wie sich der Anteil der Muslime in den nächsten Jahrzehnte­n entwickeln könnte, und dies wiederum Anlass für rechte Kräfte ist, die Bedeutung solcher Zahlen hochzuspie­len.

Genau dies passiert mit einer Prognose des »Pew Research Center« in Washington. Die Forscher haben in drei verschiede­nen Szenarien durchgespi­elt, wie hoch der Anteil der Muslime an der deutschen Bevölkerun­g im Jahr 2050 sein könnte. In einem mittleren Szenario, in dem es keine nennenswer­ten Flüchtling­sbewegunge­n aus Ländern mit überwiegen­d muslimisch­en Glauben mehr gibt, sondern nur noch eine »reguläre Migration«, würde der Anteil in Deutschlan­d auf etwa 11 Prozent steigen. Riem

Spielhaus, Professori­n für Islamwisse­nschaften am Georg-Eckert-Institut in Braunschwe­ig, hält von solchen Zahlenspie­len nicht viel: »So weit in die Zukunft kann niemand vorausblic­ken«, kritisiert die Forscherin bei mediendien­st-integratio­n.de.

Geradezu als »verantwort­ungslos« bezeichnet Spielhaus die Extremprog­nose, wonach der Anteil der Muslime bis 2050 auf 20 Prozent steigen könnte. Diese Hochrechnu­ng gehe »von den politische­n Voraussetz­ungen des Jahres 2015 aus und vernachläs­sigt, welche Veränderun­gen es in der Flüchtling­spolitik in Deutschlan­d (...) seitdem gegeben hat«.

Doch egal, wie sich die Zahlen in Zukunft entwickelt­en, über den Alltag sagen sie eh nicht viel aus. Beim Wort »Muslime« ginge »automatisc­h das Kopfkino« an, so Spielhaus. Damit werde »die Religion dieser Menschen betont, auch dann, wenn sie keine dominante Rolle in ihren Leben spielt«. Deshalb sei es falsch, wenn große Teile der Berichters­tattung zur Pew-Prognose mit Fotos von betenden Muslimen oder Frauen mit Kopftuch illustrier­t würden. Tatsächlic­h griffen sowohl spiegel.de als auch

tagesschau.de und sueddeutsc­he.de auf solche Motive zurück. Dabei sind laut der Islamwisse­nschaftler­in die meisten Muslime in Deutschlan­d weder stark religiös, noch trägt eine Mehrheit der Frauen ein Kopftuch.

Eine rassistisc­he Marke bekommt die Prognose durch Interpreta­tionen rechter Blogs. Auf tichyseinb­lick.de heißt es etwa, angesichts der Zahlen kämen dem namentlich unbekannte­n Autor »ein paar Fragen in den Sinn, die an der ›Integratio­nsfähigkei­t‹ Deutschlan­ds Zweifel aufkommen« ließen. Er listet dann etwa auf, dass Frauen in Deutschlan­d »nicht mehr sorglos Joggen gehen« könnten.

Nüchtern sieht es Malte Lehming auf tagesspieg­el.de: »Der Anteil der Muslime in Deutschlan­d wird steigen. Darüber in apokalypti­sche Panik zu verfallen, ist unangemess­en.«

 ??  ?? Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche
Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

Newspapers in German

Newspapers from Germany