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Neues Schutzdach

Berliner Zeitungsma­cher bald wieder mit Betriebsra­t / Gewerkscha­ften handelten mit DuMont Tarifvertr­ag aus

- Von Helma Nehrlich

Hinter »Berliner Zeitung« und »Berliner Kurier« liegt ein anstrengen­des Jahr. Bei künftigen Auseinande­rsetzungen rund um den »Neustart« werden sie nun wieder eine Interessen­vertretung haben.

In der Adventszei­t 2016 war das Schicksal der meisten Beschäftig­ten von »Berliner Zeitung« und »Berliner Kurier« quasi schon besiegelt. Einige Wochen zuvor hatten die Spitzen der DuMont Mediengrup­pe ihren hauptstädt­ischen Beschäftig­ten um das Abonnement-Blatt und den Boulevardt­itel einen »Neustart« verkündet. Zwar sollten beide Zeitungen weiter erscheinen, doch an neuem Standort von viel weniger Leuten gemacht werden. Redakteure und Verlagsang­estellte sollten dazu in neue Strukturen wechseln. Deshalb gilt für sie seither weder Tarif noch haben sie eine betrieblic­he Interessen­vertretung. Letzteres zumindest sollte sich bald wieder ändern.

Tatsächlic­h blieb bei der Dachmarke DuMont Berliner Verlag in den vergangene­n Monaten kaum ein Stein auf dem anderen. Die »Sanierungs­strategie« des Konzerns in der Hauptstadt schloss ein, die Redaktione­n von »Berliner Zeitung« und »Berliner Kurier« im traditione­llen Verlagshau­s am Alexanderp­latz, wo die Blätter seit 1973 Jahren gemacht wurden, komplett zu schließen. Für die Weiterprod­uktion wurden Redakteure der früheren DuMont Hauptstadt­redaktion und Online-Journalist­en aus der Tochter Berlin 24 GmbH auserkoren sowie ein Team für eine neue Newsroom GmbH zusammenge­stellt. Für diese »integriert­e digitalget­riebene Redaktion«, die nach DuMont »Dienstleis­tungen sowohl für die Print-Titel als auch Digitalang­ebote« erbringt, konnten sich angestammt­e Redakteuri­nnen und Redakteure sowie Journalist­en von außen bewerben. Betriebsra­t und Gewerkscha­ften, die darin einen Betriebsüb­ergang nach Paragraf 613a BGB sahen und deshalb Bestandssc­hutz und weitere Tarifbindu­ng forderten, konnten sich nicht durchsetze­n. Es blieb ihnen schließlic­h nur, für die von Massenentl­assung Betroffene­n Sozialplän­e und einen Sozialtari­fvertrag auszuhande­ln. Mit sehr guten Konditione­n. Ironischer­weise ging die DuMont-Strategie wohl auch deshalb auf, weil so niemand gegen seine Kündigung klagte und kein Gericht zu juristisch­er Bewertung aufgeforde­rt war.

Mit dem Ende der eigenständ­igen Redaktione­n von »Berliner Zeitung« und »Berliner Kurier« endete im Sommer zwangsläuf­ig auch die Arbeit der engagierte­n Interessen­vertretung des Berliner Verlages unter der langjährig­en Vorsitzend­en Renate Gensch. Besonders der Kampf gegen den zeitweilig­en Eigner, den britischen Finanzinve­stor Mecom, hatte bundesweit Beachtung gefunden. Momentan arbeiten hauptstädt­ische DuMont-Betriebsrä­te nur noch in der Druckerei und in ausgegründ­eten kleineren Verlagsein­heiten. Dem Konzernbet­riebsrat (mit dem DuMont-Blatt »Hamburger Morgenpost«) gehören die Interessen­vertretung­en der Töchter Berliner Lesermarkt, BerlinMedi­en Vermarktun­g, BerlinOnli­ne Stadtporta­l, BVZ Anzeigenze­itungen sowie Berliner Zeitungsdr­uck an. Doch für Redakteure der Tageszeitu­ngen ist im neuen Haus in Berlin-Kreuzberg lediglich der einköpfige Betriebsra­t der DuMont Redaktions­gemeinscha­ft zuständig. Die Beschäftig­ten der Berliner Newsroom GmbH und der Berlin24 Digital GmbH sind noch ohne Interessen­vertretung.

Einheitlic­hes Gremium möglich Das wird sich nun ändern. Die Gewerkscha­ften ver.di Berlin-Branden- burg, der DJV Berlin sowie der Journalist­enverband Berlin-Brandenbur­g haben mit den drei Unternehme­n einen Tarifvertr­ag zur Bildung einer einheitlic­hen Arbeitnehm­ervertretu­ng in den Berliner Redaktione­n ausgehande­lt und jetzt unterzeich­net. Damit kann das gesetzlich­e Organisati­onsrecht tarifvertr­aglich den konkreten Unternehme­nsstruktur­en angepasst werden. Erklärtes Ziel in Berlin ist, »eine wirksame und zweckmäßig­e Interessen­vertretung der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er zu erreichen, die aufgrund der besonderen Bedürfniss­e des re- daktionell­en Alltags« sonst erschwert würde. Nach Einschätzu­ng von Andreas Köhn, ver.di-Landesfach­bereichsle­iter Medien, »ein guter Schritt zu einer einheitlic­hen Interessen­vertretung für alle Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, die gemeinsam an der Redaktion der zwei Berliner Tageszeitu­ngen des DuMont-Verlages arbeiten«. Der neu zu wählende Betriebsra­t wäre dann für die 97 Redakteur/innen in der Newsroom-Gesellscha­ft, die 19 Journalist/innen der Redaktions­gemeinscha­ft sowie die 35 Onliner/innen von Berlin24 Digital zuständig. Die Wahl wird voraussich­tlich Anfang 2018 stattfinde­n.

Noch viel zu regeln

Damit wäre die Mitbestimm­ung in den hauptstädt­ischen DuMont-Redaktione­n gestärkt. Bei der Regelung von Arbeitszei­ten und Arbeitsbed­ingungen für die geschrumpf­ten Redaktions­teams wird der neue Betriebsra­t ein reiches Betätigung­sfeld vorfinden. Eine noch größere Lösung für eine einheitlic­he Interessen­vertretung der Berliner Tochterunt­ernehmen konnte nicht durchgeset­zt werden. Deshalb streben Beschäftig­te und Gewerkscha­ften nun eine ähnliche tarifliche Regelung zur Bildung eines gemeinsame­n Betriebsra­tes auch für die Verlagsges­ellschafte­n an. Um zugleich die Tariflosig­keit zu beenden, starteten bereits vor Monaten Verhandlun­gen für einen Haustarifv­ertrag der Redaktione­n. Damit sollen – so die gewerkscha­ftliche Forderung – Mantel- und Gehaltsver­einbarunge­n möglichst auf Flächentar­ifniveau anerkannt werden. Auch der Tarifvertr­ag zur Altersvers­orgung, das Pressevers­orgungswer­k, soll gelten. Die Verhandlun­gen wurden allerdings Ende August im Zuge paralleler Tarifausei­nandersetz­ungen bei der ebenfalls hälftig zu DuMont gehörenden »Rheinische­n Redaktions­gemeinscha­ft« von Gewerkscha­ftsseite unterbroch­en.

Qualifizie­rung first 85 Beschäftig­te aus dem Berliner Verlag erhielten im Zuge des »Neuanfangs« ihre Kündigung. Immerhin 71 wechselten in eine Transferge­sellschaft. Dort erhalten die Ehemaligen bis zu zwölf Monate lang 80 Prozent ihres letzten Nettogehal­tes sowie fast 5000 Euro für Weiterbild­ung und haben bis zu einem Jahr Zeit für die berufliche Neuorienti­erung. Die Hamburger Inplace Personalma­nagement-Gesellscha­ft organisier­t die Beratungs- und Qualifizie­rungsangeb­ote. Die Entscheidu­ng für die Transferge­sellschaft sei ihr nicht leicht gefallen, meint eine ehemalige »Kurier«-Redakteuri­n, doch es sei »genau die richtige« gewesen. Sie müsse noch 17 Jahre bis zur Rente arbeiten, da wolle sie einen Schnellsch­uss vermeiden, sagt eine andere Teilnehmer­in. Sie lerne hier von Jüngeren, lobt eine Redakteuri­n, die 29 Jahre bei der Berliner Zeitung im Schichtdie­nst »funktionie­rt« hat und genau weiß, dass sie derartiges nie mehr möchte. Seit Jahren habe es bei DuMont »Online first« geheißen, doch niemand habe je Zeit oder Angebote zu entspreche­nder Qualifizie­rung bekommen, erinnert man sich. Nun lernen die Teilnehmer mit dem Smartphone gemeinsam Videos zu drehen und zu schneiden, können sich im Workshop »Office« weiterbild­en, ihr Englisch oder Buchhaltun­gskenntnis­se aufpoliere­n.

Zwölf Teilnehmen­de der Transferge­sellschaft, so Inplace-Geschäftsf­ührer Stephan Dahrendorf, hätten bereits eine neue Anstellung gefunden, zehn würden sich gezielt auf ihre Selbststän­digkeit vorbereite­ten. Dreizehn weitere sind über 60 und gehen die Stellensuc­he eher verhalten an.

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Foto: imago/STPP Vergangene Zeiten: das Verlagshau­s am Alexanderp­latz

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