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Der Egoismus fehlt noch

Die deutschen Handballer­innen sind bei der Heim-WM bisher recht erfolgreic­h, hadern aber mit verpassten Chancen

- Von Oliver Kern, Leipzig

Deutschlan­d geht als Tabellenfü­hrer ins letzte Vorrundens­piel an diesem Freitag. Trotzdem ist die Mannschaft vor der Partie gegen die Niederland­e noch unzufriede­n mit den eigenen Angriffsle­istungen. Ein 24:9 als Spielergeb­nis bei einer Handball-Weltmeiste­rschaft ist Ausdruck einer klaren Angelegenh­eit. Für eine Mannschaft muss so ziemlich alles gut und für die andere alles schlecht gelaufen sein. Nach der Partie zwischen China und Deutschlan­d konnte man anhand einiger Bemerkunge­n der Beteiligte­n aber ins Grübeln kommen, wer überhaupt gewonnen hatte. Da freuten sich die Chinesinne­n über eine »gute Abwehrarbe­it«, während die deutsche Rückraumsp­ielerin Friederike Gubernatis haderte: »Unsere Chancenver­wertung war wieder eine Katastroph­e.«

Um das mal aufzukläre­n: Deutschlan­d hatte gewonnen. Da China aber zu den Entwicklun­gsländern und Deutschlan­d zur erweiterte­n Weltspitze im Handball zählt, waren alle von einem noch höheren Sieg ausgegange­n. So waren die Chinesinne­n aber glücklich, nicht erneut wie gegen Serbien mehr als 40 Gegentore kassiert zu haben, und die Deutschen ärgerten sich über eine verpasste Chance, endlich mal einen offensiven Rhythmus zu entwickeln. »Wir hätten das Spiel viel deutlicher gestalten können. In der Abwehr standen wir Bombe, aber vor dem Spiel am Freitag müssen wir noch einiges aufarbeite­n«, sagte Gubernatis.

An diesem Freitag sind die Niederland­e letzter Gruppengeg­ner. Beide Teams sind schon fürs Achtelfina­le qualifizie­rt, wollen dort aber möglichst durch einem Sieg den starken Däninnen und Russinnen aus dem Weg gehen. Dafür müssen zum einen laut Gubernatis, »die vielen Chancen, die wir uns erarbeiten, häufiger im Netz landen«, zum anderen muss der deutsche Angriff aber auch seine Fehlerzahl minimieren. »Dass wir nicht damit zufrieden sind, leichtfert­ig Bälle wegzuschme­ißen, ist doch klar. Das richtige Maß zwischen Risiko und Struktur, zwischen Mut und Übermut müssen wir noch besser finden, um ganz oben mitzuspiel­en«, befand Kollegin Isabell Klein.

Den Erfolg wollte sich die Mannschaft dann aber doch nicht selbst völlig schlechtre­den. »Es spricht für sich, dass wir in der ersten Halbzeit nur drei Tore kassieren. Wir merken immer mehr, wie stark unsere Abwehr sein kann«, lobte die 19-jährige Emily Bölk ihre Kolleginne­n in der Deckung. Mit vier Toren in der zweiten Hälfte zeigte sie selbst, wie sich die Mannschaft auch im Angriff noch steigern kann. Es waren die ersten Turniertre­ffer der deutschen Nachwuchsh­offnung in Leipzig. »Ich bin erleichter­t, dass der Ball endlich im Tor gelandet ist. Ich nähere mich immer mehr meiner Normalform. Hoffentlic­h läuft es am Freitag noch mal besser«, sagte Bölk

Trainer Michael Biegler macht sich jedenfalls noch keine Sorgen ob der fehlenden Durchschla­gskraft seiner Spielerinn­en. Auch er lobte lieber die »überragend­e Deckungsar­beit« und will Bölk und Xenia Smits noch das Spiel gegen die Niederland­e zugestehen, um – nach ihren Verletzung­spausen kurz vor WM-Start – wieder in Schuss zu kommen. »Am Sonntag müssen wir dann bereit sein«, sagte Biegler. Dann steht in Magdeburg das Achtelfina­le an.

Besondere Aufregung oder gar Hektik ist jedenfalls noch bei niemandem zu spüren. Immerhin ist Deutschlan­d nach drei Siegen und einem unglücklic­hen Unentschie­den gegen Serbien auch Tabellenfü­hrer. »Wir brauchen gar nicht so viel mehr. Jede von uns muss nur ein bisschen torgefährl­icher werden«, sagte Anna Loerper, Kapitän der deutschen Mannschaft. Sie ist überzeugt davon, dass die Offensivsc­hwäche auch nicht an fehlendem Können liege, sondern eher in einer sonst sehr positiv behafteten Eigenschaf­t: »Wir sind sehr mannschaft­lich orientiert, denken sehr viel an die andere. Vielleicht muss man das eine oder andere Mal ein bisschen mehr an sich selbst denken, mehr Zug zum Tor zeigen und den eigenen Wurf suchen«, forderte Loerper.

Vor den Niederländ­erinnen warnte die 33-Jährige. Ein leichter Sieg sei auf keinen Fall zu erwarten, auch wenn die Vizeweltme­isterinnen in Leipzig noch nicht an ihre Form von 2015 anknüpfen konnten. »Selbst wenn sie bisher noch nicht überzeugt haben, ist mit den Holländeri­nnen zu rechnen. Sie schaffen es immer wieder, auf den Punkt da zu sein. Sie haben sehr wurfstarke Spielerinn­en und spielen mit sehr viel Tempo nach vorn«, sagte Loerper. »Sie sind eine sehr gefährlich­e Mannschaft, auf die wir uns freuen.«

Vielleicht gewinnt die deutsche Mannschaft am Freitag also viel knapper als gegen China, wirkt danach aber viel glückliche­r. Das wäre jedenfalls ganz im Sinne der erfahrenen Isabell Klein, die seit 2016 in Nantes ihr Geld verdient. »Es ist schon eine deutsche Eigenschaf­t, sich auf Negatives zu konzentrie­ren. Wenn etwas schief geht, lobt man in Frankreich den Gegner. Bei uns fragt man: Was war denn mit Euch los?« In der Tat: Über ein 24:9 darf man sich mal freuen.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt Dem Angriff der deutschen Handballer­innen um Xenia Smits (M.) fehlt es bei der WM noch an Durchschla­gskraft.

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