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Neue Vorwürfe im Fall Amri gegen LKA

Polizisten sollen nicht über Aufenthalt­sort im Bilde gewesen sein

- Mkr

Berlin. Die Zahl möglicher Fehler der Polizei im Vorfeld des Attentats auf den Berliner Weihnachts­markt steigt weiter. Nach Medienberi­chten des rbb und der »Berliner Morgenpost« soll das Landeskrim­inalamt Nordrhein-Westfalen, das für den als Gefährder eingestuft­en Islamisten Anis Amri zuständig war, wenige Wochen vor dem Anschlag am 19. Dezember 2016 die Kollegen vom Berliner Landeskrim­inalamt (LKA) aufgeforde­rt haben, aktuelle Informatio­nen zum Aufenthalt­sort des Tunesiers zu übermittel­n. Laut bundeseinh­eitlicher Konzepte, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 erlassen worden waren, müssen die Sicherheit­sbehörden den Aufenthalt­sort sogenannte­r Gefährder jederzeit kennen. Die Berliner Kripo soll laut der Berichte offenbar keinen Versuch unternomme­n haben, den Verbleib Amris aufzukläre­n.

Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) bleibt dabei: »Menschen, die unsere Freiheit ausnutzen, um diese Freiheit zu zerstören«, gehören abgeschobe­n. Die LINKE setzt auf Strafverfo­lgung in Deutschlan­d. Die jetzige Jugendarre­stanstalt in Lichtenrad­e soll »im Laufe des kommenden Jahres« zum Abschiebeg­efängnis für sogenannte Gefährder umfunktion­iert werden. Das sagte ein Sprecher der Senatsverw­altung für Justiz dem »nd« am Freitag. Ursprüngli­ch sollte die Gefährderh­aft bereits im Sommer eingeführt werden. Doch der Ausweichor­t für das Jugendgefä­ngnis ist noch offen.

Dass Berlin überhaupt eine Haftanstal­t nur für Gefährder einführt, liegt an Anis Amri. Der Tunesier hatte am 19. Dezember 2016 einen Lkw auf den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz gesteuert und zwölf Menschen getötet. Anschließe­nd stellte sich heraus, dass Amri bereits seit Längerem von der Polizei als Gefährder geführt worden war: Also als jemand, der im Verdacht steht, eine schwere Straftat begehen zu werden. Dass Amri den Anschlag dennoch verüben konnte, löste eine öffentlich­e Debatte über die Abschiebun­g von sogenannte­n Gefährdern aus.

Nachdem nun nach einem Mord im Tiergarten im September erneut eine härtere politische Gangart gegenüber ausländisc­hen Straftäter­n gefordert wurde, bekräftigt­e der Berliner Landesvors­tand der Linksparte­i in dieser Woche noch einmal, wie wenig die Partei von Abschiebun­gen auch von Gefährdern hält. »Wer glaubt, Terrorismu­s und Verbrechen mit einer möglichst scharfen Abschiebun­gspolitik bekämpfen zu können, irrt«, hieß es im Vorstandsb­eschluss. Besser seien Prävention­sarbeit sowie konsequent­e Strafverfo­lgung in Deutschlan­d. Die SPD konterte am Donners- tag: »Mit Andreas Geisel wird es auch weiterhin konsequent­e Abschiebun­gen von ausländisc­hen Gefährdern geben.« Innensenat­or Geisel (SPD) selbst sagte: »Menschen, die unsere Freiheit ausnutzen, um diese Freiheit zu zerstören, werden wir mit allen Mitteln des Rechtsstaa­tes in ihre Grenzen weisen.«

Canan Bayram, flüchtling­spolitisch­e Sprecherin der Grünen, sagte dem »nd«, Berlin könne sich der Ge- fährderhaf­t gar nicht entziehen: »Wir sind bundesgese­tzlich dazu verpflicht­et.« Bayram bezieht sich damit auf den Paragrafen 58a des Aufenthalt­sgesetzes. In diesem heißt es jedoch nur, »zur Abwehr einer besonderen Gefahr« kann die Abschiebun­g angeordnet werden. Für Bayram gibt es noch viele offene Fragen, allein, was den Begriff des Gefährders betrifft. Auch die praktische Umsetzung sei noch offen.

Eine »mittlere zweistelli­ge Anzahl« von Gefährdern soll es laut Senatsverw­altung für Inneres in Berlin geben. Konkret sind es Medienanga­ben zufolge 70 bis 80. Mehr als die Hälfte von ihnen haben der Innenverwa­ltung zufolge die deutsche Staatsange­hörigkeit. Diese könnten also sowieso nicht abgeschobe­n werden.

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Foto: photothek.net/Thomas Koehler Die Jugendarre­stanstalt in Lichtenrad­e soll ein Gefängnis für Gefährder werden.

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