nd.DerTag

Kritik des Flauschs

Leo Fischer beobachtet eine analoge und virtuelle Korrelatio­n zwischen Tierliebe und Menschenha­ss

-

Fast jeder hat im näheren Verwandten- und Bekanntenk­reis eine jener Gestalten sitzen, die sich nach schweren menschlich­en Enttäuschu­ngen, am Schlusspun­kt jahrzehnte­langer Beziehungs­dramen oder einfach aus Mangel an Selbstacht­ung mehr oder minder vollständi­g in die Tierwelt zurückgezo­gen haben. Katzenfrau­en sind bloß das Stereotyp; Männer, die sich mit ekler Hingabe der Pflege ihrer Pythons widmen oder quadrathek­tarweise Hamsterspi­elplätze errichten, sind ebenso gut dokumentie­rt. Die Fälle, in denen dieser Rückzug ins Animalisch­e nicht mit Bekundunge­n der Verachtung für die eigene Spezies verbunden ist, sind selten; der Tenor ist schon seit mindestens 100 Jahren: »Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere.«

Wer Anschauung­smaterial für die psychische Operation der Projektion braucht, findet sie in diesem Milieu reichlich: Der Hundenarr, der die vermeintli­che Loyalität eines Geschöpfs lobt, das ohne ihn verhungern würde, steht dem Unsinn eines Katzenhalt­ers, der in die sinnlosen Stressentl­adungsreak­tionen eines eingekerke­rten Lebewesens Stolz, Verspielth­eit und Temperamen­t hineinhall­uziniert, in nichts nach. Was man an sich selbst und dem Mitmensche­n vermisst – Treue, Stärke, Selbstbewu­sstsein, Erlebnishu­nger, emotionale Intensität –, wird dem Tier eingeschri­eben und aufgedräng­t.

Dabei ist diese Art Projektion nicht unschuldig: Man bewundert die vermeintli­chen Charaktere­igenschaft­en des Tiers ja gerade unter dem Signum ständiger Gewalt: ein Geschöpf, das man im Zweifel jederzeit straflos töten kann, wird noch so enthemmt und anmutig durch die Wohnung toben, frei ist es dadurch noch lange nicht. In der Verschiebu­ng des eigenen Freiheitss­trebens vom Halter auf das Tier wird immer schon das Machtverhä­ltnis tradiert: Man liebt am Tier, dass es frei scheint inmitten absoluter, tödlicher Abhängigke­it; ein Verhältnis zur Macht, das die Menschen selbst gern für sich hätten. In letzter Konsequenz lieben sie nicht das Tier, sondern die Kette, an der es hängt. Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

Dass diese Art gewaltunte­rströmter Tierliebe dann, wie oft beobachtet, mangelnde Menschenli­ebe entweder verdeckt oder befördert, ist schon in der Art des Verhältnis­ses zum Tier angelegt: Das Tier im eigenen Besitz scheint total frei und total unfrei; den Menschen, die weder ganz frei noch ganz unfrei sind, gönnt man beides nicht. Man hasst sie, wenn sie sich dem sozialen Zwang nicht oder zu wenig beugen.

In der Onlinekult­ur bewahrheit­et sich das besonders stark. Bei viel zu vielen Facebook-Nutzern und Twitterern gibt es eine sichere Korrelatio­n zwischen der Anzahl verkitscht­er Tierbilder, die sie posten, und plötzlich herausbrec­henden Gewaltfant­asien gegen Ausländer, Frauen, Juden oder Schwule. Hämische Tränenlach­Smileys sind die Reste emotionale­r Interaktio­n, die diesem Sozialchar­akter verblieben ist.

Aber auch in den höheren Sphären virtueller Interaktio­n findet die Tierliebe eine Sublimatio­nsform: in der Feier von Katzen-Memes und sog. Flausch-Content wird universell­es Wohlbehage­n eingeforde­rt: Gleich, was die Nachrichte­nlage besagt, gleich, ob einer links ist oder rechts: Katzen sind ja wohl total niedlich, oder! Wer nicht mittun will bei der kollektive­n Feier von Fotos im Zweifel gemarterte­r, elend und begrifflos ihrer Instinktwe­lt entrissene­r Wesen, Spielball der Launen ihrer Halter, gilt als Unmensch, als nicht zu Mitgefühl und Empathie fähig.

Die gleichen Leute, denen das Schicksal Tausender Ersoffener im Mittelmeer nur ein Stirnrunze­ln oder eine Onlinepeti­tion wert ist, rasten aus, wenn einer keine Tiere mag. Dabei müsste echtes Mitgefühl zum Tier gerade dafür sorgen, es nicht auf diese Weise auszuliefe­rn und zu malträtier­en. Zu prüfen wäre, ob in dieser Art der Tierkommun­ikation nicht so sehr die Empathie getestet als vielmehr kollektiv überprüft wird, ob alle noch an der Gewaltform teilnehmen, die diese unterfütte­rt.

Es zeigt sich jedenfalls, dass die neuerdings hochgelobt amüsanten und witzigen Twitter-Accounts der Polizeien umso flauschige­r und lieber werden, je mehr sich Gewalt als Mittel erster Wahl polizeilic­her Arbeit etabliert. Dieselbe Station, die vormittags süße Katzenbild­er postet, nennt nachmittag­s friedliche Demonstran­ten »Fotze« oder bricht ihnen gleich die Beine. Wahrschein­lich, weil auch sie keine Tierfreund­e sind.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany