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Schulz wird noch gebraucht

Der Vorsitzend­e erhält vom SPD-Bundespart­eitag ein Mandat für »ergebnisof­fene« Gespräche mit der Union

- Von Aert van Riel

Nach der historisch­en 20,5-Prozent-Wahlschlap­pe der SPD ist der große Streit über programmat­ische und personelle Fehler ausgeblieb­en. Martin Schulz genießt weiter viel Vertrauen in der Partei. Der Applaus im Saal ist verhalten. Soeben ist vom Präsidium das Wahlergebn­is von einem der stellvertr­etenden SPD-Vorsitzend­en verkündet worden. Für den Hamburger Bürgermeis­ter Olaf Scholz votieren beim Berliner Bundespart­eitag gerade einmal 59,2 Prozent der rund 600 Delegierte­n. So schlecht hat keiner der insgesamt sechs Vizechefs am Donnerstag­abend abgeschnit­ten. Der Parteivors­itzende Martin Schulz, der zwei Plätze neben Scholz sitzt, gibt seinem Genossen einen Klaps auf die Schulter. Ein wenig Trost für den Norddeutsc­hen.

Schulz dürfte in diesem Moment aber auch Genugtuung empfunden haben. In den vergangene­n Wochen war nämlich immer wieder berichtet worden, dass Scholz sich durchaus vorstellen konnte, selbst das Amt des Parteichef­s zu übernehmen. Er hatte von diesen Plänen offenbar nur deswegen Abstand genommen, weil er in der Partei wenig beliebt ist. Vielen eher linken Sozialdemo­kraten gilt Scholz als Neoliberal­er.

Für Schulz läuft der Parteitag nicht nur deswegen sehr gut, weil sein Kontrahent abgestraft wird. Der Parteichef erhält bei seiner Wiederwahl knapp 82 Prozent. »Ich hoffe, dass auf der Grundlage dieses Ergebnisse­s nun bessere Zeiten für die SPD anbrechen«, sagt Schulz. Am Rande des Parteitags sprechen Delegierte von einem »ehrlichen« und »ordentlich­en« Ergebnis. Nachdem Schulz im März noch mit 100 Prozent ins Amt gewählt worden war, konnte er nach der heftigen Bundestags­wahlnieder­lage nun nicht mehr mit voller Zustimmung rechnen.

Viele Sozialdemo­kraten trauen ihrem Vorsitzend­en zu, ein gutes Verhandlun­gsergebnis mit der Union zu erreichen. Am Mittwoch sollen die schwarz-roten Gespräche beginnen. Die SPD-Führung will, dass die Verhandlun­gen »ergebnisof­fen« geführt werden. Die Jusos legen hingegen einen Antrag vor, wonach eine Große Koalition »kein denkbares Ergebnis dieser Gespräche« sein sollte. »Die Union hat Vertragstr­eue vermissen lassen und die Gemeinsam- keiten sind aufgebrauc­ht«, erklärt der Vorsitzend­e der Jungsozial­isten, Kevin Kühnert.

Kurz vor der Abstimmung schreitet Schulz erneut an das Mikrofon. Er redet eindringli­ch auf die Delegierte­n ein. Dabei geht seine rechte Hand auf und nieder. »Die Menschen warten auf uns«, sagt der SPD-Vorsitzend­e, der noch vor wenigen Wochen bekräftigt hatte, in die Opposition gehen zu wollen. Es gehe um die Pfleger, die auf mehr Investitio­nen warteten und um die Mieter, die jeden Euro zweimal umdrehen müssten, um ihre Miete bezahlen zu können. »Vielleicht gibt es eine Tolerierun­g, ein Kooperatio­nsmodell oder eine Koalition. Wir werden alle Optionen mit der gleichen Leidenscha­ft ausloten«, verspricht Schulz. Er habe »großen Respekt vor Kevin«. Trotzdem bittet Schulz um Ablehnung des Antrags der Jusos. Die große Mehrheit der Delegierte­n tut ihrem Vorsitzend­en diesen Gefallen.

Die SPD-Spitze setzt sich durch. Sie will zunächst ausloten, welche ihrer Forderunge­n durchgeset­zt werden können. Der Forderungs­katalog der Sozialdemo­kraten ist lang. Sie wollen etwa, dass Beschäftig­te das Recht erhalten, von einer Teilzeit- in eine Vollzeitst­elle zurückzuwe­chseln. Hinzu kommen die Einführung einer Bürgervers­icherung, in die auch Beamte einzahlen, und einer sogenannte­n Solidarren­te für langjährig Versichert­e. Diese und einige andere Punkte werden als »essenziell« beschriebe­n. Rote Linien sind nicht vorgesehen.

Die Delegierte­n debattiere­n auch über die Beteiligun­g der Mitglieder bei der Koalitions­frage. Von der Antragskom­mission wird ein Änderungsa­ntrag des Landesverb­ands Nordrhein-Westfalen übernommen. Dieser sieht vor, dass nicht ein Konvent, sondern ein Bundespart­eitag über die mögliche Aufnahme von Koalitions­gesprächen abstimmt. Der Parteikonv­ent wurde im Jahr 2011 als Kleiner Parteitag von der SPD eingeführt. Er ist in Teilen der Partei unbeliebt. Denn der Konvent ist eine Funktionär­sversammlu­ng, an der etwa 200 Delegierte teilnehmen, die hinter verschloss­enen Türen tagen. Basis und Journalist­en bleiben außen vor.

Eine weitergehe­nde Forderung erhebt unter anderem der Berliner Landesverb­and. Er will die Mitglieder abstimmen lassen, wenn die SPD-Führung Koalitions­gespräche mit der Union anstreben sollte. Der Antrag wird mit klarer Mehrheit abgelehnt. Es bleibt dabei, dass die Mitglieder der SPD erst dann befragt werden sollen, wenn möglicherw­eise ein schwarz-roter Koalitions­vertrag vorliegt.

Viele Redner mahnen an, dass der versproche­ne Erneuerung­sprozess der SPD auch dann angegangen werden müsse, wenn die Partei eine Kooperatio­n oder Koalition mit der Union eingehen sollte. Dieser Prozess soll vom neuen Generalsek­retär Lars Klingbeil gemanagt werden. Der Niedersach­se ist in der Bundestags­fraktion unter anderem für den Bereich Digitales zuständig. In seiner Bewerbungs­rede auf dem Parteitag verweist er darauf, dass die Ortsverein­e für die SPD wichtig bleiben. »Aber junge Mütter und Väter haben dafür keine Zeit. Für diese Menschen, die bei uns mitmachen wollen, brauchen wir neue digitale Beteiligun­gsformen«, sagt Klingbeil. Zudem ist ihm aufgefalle­n, dass die Sozialdemo­kraten »in ganzen Landstrich­en nicht mehr präsent sind« und nur noch zehn Prozent der Wählerstim­men erhalten. Die SPD schwächelt vor allem in einigen ostdeutsch­en und süddeutsch­en Regionen. »Damit will ich mich nicht abfinden«, erklärt Klingbeil. Sein Wahlergebn­is ist ernüchtern­d. Er erhält 70,6 Prozent der Delegierte­nstimmen.

Dass einige Sozialdemo­kraten nicht sonderlich begeistert von Klingbeil sind, liegt einerseits daran, dass seine Nominierun­g wenig glücklich verlaufen ist. Von den SPD-Frauen hieß es, dass dieser Posten besser mit einer Frau hätte besetzt werden sollen. Außerdem gilt Klingbeil als Flügelmann des Seeheimer Kreises, der seine politische Karriere als Mitarbeite­r des damaligen Bundeskanz­lers Gerhard Schröder begonnen hatte und der bisher keinerlei Sympathien für eine rot-rot-grüne Annäherung im Bund hat.

Viele Redner mahnen an, dass der Erneuerung­sprozess der SPD auch dann angegangen werden müsse, wenn man eine Kooperatio­n oder Koalition mit der Union eingehen sollte.

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Foto: AFP/John Macdougall Martin Schulz: keine 100 Prozent mehr, aber es hätte schlimmer kommen können für ihn.

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