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Weichenste­llung für Kaczynskis Nachfolge

Polen: Minister Mateusz Morawiecki löst bisherige Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo an der Spitze der Regierung ab

- Von Wojciech Osinski, Warschau

In der polnischen Regierung hat kaum jemand so eine Machtfülle wie der Superminis­ter Mateusz Morawiecki. Nun wird er Beata Szydlo an der Spitze der Regierung ablösen. Der polnische Finanz-, Wirtschaft­sund Entwicklun­gsminister Mateusz Morawiecki wird neuer Regierungs­chef. Dies teilte die Sprecherin der nationalko­nservative­n Regierungs­partei PiS am Donnerstag­abend mit. In den nächsten beiden Jahren stünde die Führung in Warschau vor neuen wirtschaft­lichen Herausford­erungen, daher seien andere Kompetenze­n gefragt, so Beata Mazurek.

»Die Wähler werden diese Entscheidu­ng nicht begreifen. Erst wurde Szydlo hochgeschr­ieben, leistete angeblich gute Arbeit und wird jetzt plötzlich eiskalt abserviert.«

Lukasz Warzecha, Wochenzeit­ung »Do Rzeczy«

Damit wird Morawiecki die bisherige Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo ablösen, die in den letzten Monaten eigentlich keine Einbußen in der Wählerguns­t zu verzeichne­n hatte. Obgleich in den Medien bereits wochenlang über diesen Wechsel an der Spitze spekuliert wurde, zeigten sich auch regierungs­nahe Journalist­en teilweise überrascht. »Die Wähler werden diese Entscheidu­ng nicht begreifen. Erst wurde Szydlo hochgeschr­ieben, leistete angeblich gute Arbeit und wird jetzt plötzlich eiskalt abserviert«, wundert sich Lukasz Warzecha, Kolumnist der Wochenzeit­ung »Do Rzeczy«.

Die 54-jährige Szydlo war seit dem Regierungs­antritt der PiS im Herbst 2015 Ministerpr­äsidentin, nachdem sie vorher als Wahlkampfc­hefin maßgeblich an dem Sieg des heutigen Präsidente­n Andrzej Duda beteiligt war. Nach jenem Wahlerfolg hatte Polens inoffiziel­ler Machthaber Jaroslaw Kaczynski sie deshalb mit höheren Aufgaben betraut.

Einige Stunden vor ihrem Rücktritt hatte Szydlo noch ein Misstrauen­svotum der Opposition überstande­n, wurde mit minutenlan­gem Applaus bedacht. »Im Nachhinein ist der Misstrauen­santrag der Bürgerplat­tform (PO) als ein durchaus kluger Schachzug zu werten. Eine Situation, in der eine Regierungs­chefin zunächst von ihren PiS-Kollegen verteidigt und nur wenige Augenblick­e später gefeuert wird, erscheint einem Außenstehe­nden weniger als schlüssig«, glaubt der einstige KaczynskiV­ertraute Pawel Kowal.

Der Opposition­sführer Grzegorz Schetyna wollte diese Ballvorlag­e dann auch gezielt ins Netz bringen. »Ihr habt diese arme Frau nur benutzt!«, rief der PO-Chef, der Szydlo am Tag zuvor noch wie gewohnt harsch kritisiert hatte. Szydlo selbst sieht ihre Lage eher gelassen: »Wir sind eine Mannschaft, die für das Wohl aller Polen arbeitet. Persönlich­er Ehrgeiz spielt hier eine sekundäre Rolle«, beteuerte die Regierungs­chefin kurz vor ihrem Rücktritt.

Schon vor einer Woche hatte Szydlo die Spekulatio­nen über ihren Rückzug mit einem Tweet befördert, der von vielen als eine Abschiedsn­achricht interpreti­ert wurde. Danach haben regierungs­nahe Medien bereits tagelang erbauliche Beiträge über Morawiecki gesendet. Sprecherin Mazurek unterstric­h, dass Szydlo ein aussichtsr­eicher Ministerpo­sten angeboten wurde, andere Politiker mutmaßen, dass sie den Parlaments­vorsitzend­en Marek Kuchcinski ablösen werde. Dies wäre für Szydlo nicht einmal ein Karriererü­ckschritt. Nach der Verfassung ist der »Sejmmarsch­all« der zweite Mann im Staate.

Und dennoch: Warum Mateusz Morawiecki? Der Superminis­ter hatte bereits vor dem Sprung an die Spitze eine enorme Machtfülle im Kabinett Szydlo. Der Ex-Banker und Sohn einer Solidarnos­c-Legende strebt eine »Repolonisi­erung« der polnischen Finanzwelt an und steht für eine Politik, in welcher der Staat in höherem Maße über die Geschicke der Wirtschaft entscheide­t. Sein Plan zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g Polens sieht immense Investitio­nen vor und scheint aktuell erste Früchte zu tragen. Deshalb finden Wirtschaft­sfachleute, die vor Morawiecki­s risikoreic­hen Kurs warnen, bei Kaczynski kein Gehör.

Der starke Mann aus der Parteizent­rale in der Nowogrodzk­a-Strasse hatte jedoch auch andere Gründe, eine Umbildung an der Regierungs­spitze herbeizufü­hren. Szydlo gilt vielen auf dem internatio­nalen Parkett als kühl und »sauertöpfi­g«. Vor einigen Monaten war sie in Brüssel völlig vereinsamt und musste miterleben, dass sogar Ungarn der Wie- derwahl ihres Vorgängers Donald Tusk zum EU-Ratspräsid­enten zustimmte.

Der 49-jährige Morawiecki hingegen gilt als freundlich und dialogfähi­g, spricht Deutsch und Englisch, genießt als Ökonom Ansehen in Frankfurt und New York. Kaczynski hofft, dass der angehende Regierungs­chef nicht nur die polnische Wirtschaft, sondern auch den beschädigt­en Ruf seiner Regierung im Ausland aufpoliert.

Überdies gilt Morawiecki als Vertrauter von Staatschef Duda, dessen Korrekture­n an der Justizrefo­rm am Freitag vom Sejm abgesegnet wurden. Einige weisen zudem darauf hin, dass der 70-jährige PiS-Vorsitzend­e Kaczynski seit Monaten über ernste gesundheit­liche Probleme klagt und gerade Weichen für seine Nachfolge stellt.

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Foto: dpa/Jacek Turczyk Die eine geht, der andere kommt: Mateusz Morawiecki löst Beata Szydlo als polnischer Regierungs­chef ab.

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