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Nuklearmäc­hte bleiben Nobelpreis­verleihung in Oslo fern

Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen wird am Sonntag ausgezeich­net / Hiroshima-Überlebend­e Setsuko Thurlow nimmt Ehrung entgegen

- Von Alexander Isele

Die Internatio­nale Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen möchte das Momentum nutzen, um Druck auf die Verbündete­n der Atommächte aufbauen. Deutschlan­d spielt eine Schlüsselr­olle. Auch die diesjährig­e Verleihung des Friedensno­belpreises findet unter Protest statt. »Wir möchten unsere Vorbehalte in Bezug auf das ICANProjek­t, also das Atomwaffen­verbot und den in New York ausgehande­lten UN-Vertrag, deutlich machen«, sagte eine Sprecherin der französisc­hen Botschaft dem norwegisch­en Rundfunk. Neben dem Botschafte­r Frankreich­s werden die Botschafte­r Großbritan­niens und der USA der Zeremonie fernbleibe­n; von den Atommächte­n werden nur die Botschafte­r Russlands und Israels an der Zeremonie am Sonntag teilnehmen, wenn die Direktorin Beatrice Fihn und die Hiroshima-Überlebend­e Setsuko Thurlow den Preis entgegenne­hmen.

Der Protest der Atommächte ist nicht verwunderl­ich. Schließlic­h würdigte das Nobelkomit­ee die Internatio­nale Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen (ICAN) für »ihre bahnbreche­nden Bemühungen«, ein Verbot nuklearer Waffen zu erreichen. Im Juli dieses Jahres war es soweit: Die Vereinten Nationen haben den Kernwaffen­verbotsver­trag angenommen, im September unterzeich­neten ihn 53 Staaten. Als erstes Parlament hat nun Mexiko den Vertrag ratifizier­t. Sobald 49 weitere Staaten folgen, tritt er 90 Tage später in Kraft.

Für Xanthe Hall von den Internatio­nalen Ärzten zur Verhütung eines Atomkriegs, die Teil von ICAN sind, ein großer Erfolg: »Die Abschaffun­g von Atomwaffen schien lange nicht möglich, weil die Atomstaate­n dazu unwillig waren und sogar angefangen haben, ihre Waffen zu modernisie­ren.« Erst deshalb sei man auf die Idee gekommen, über die UN-Mitgliedss­taaten die Waffen erst ächten und dann verbieten zu lassen.

ICAN sieht nun den Druck auf die Atomwaffen­staaten steigen: Denn selbst ohne Teilnahme am Vertrag wird das Verbot starken Einfluss auf viele Länder haben. Der Verbotsver­trag diskrediti­ert den Besitz von Atomwaffen und setzt Normen gegen diese. Wie bei der Ächtung biologisch­er und chemischer Waffen, dessen Verbotsver­trag immer noch nicht alle Staaten beigetrete­n sind, soll der Vertrag nukleare Waffen delegitimi­eren. Außer Nordkorea halten alle Staaten am Atomtestst­oppvertrag fest, obwohl dieser nie in Kraft getreten ist.

Hall ist sich sicher, dass der Friedensno­belpreis ICAN Auftrieb gibt: Die gewonnene Aufmerksam­keit möchte die Kampagne nutzen, um den Druck auf die Verbündete­n der Atommächte aufzubauen, dem Vertrag beizutrete­n. »Deutschlan­d kommt dabei eine Schlüsselr­olle zu«, aber auch Norwegen und die Niederland­e als NATO-Mitglieder sollen dazu gedrängt werden, dem Vertrag beizutrete­n – beides Länder, in denen die Bevölkerun­g das Anliegen unterstütz­t.

Auch in Deutschlan­d will eine Mehrheit die Abschaffun­g aller nuklearer Waffen. ICAN Deutschlan­d kritisiert deshalb auch »die Doppelmo- ral der deutschen Politik, die nach außen hin sagt, eine Atomwaffen­freie Welt zu wollen, aber dem Vertrag nicht beitreten will.« Hall erinnert daran, dass in Deutschlan­d einst über alle Parteien hinweg der Konsens herrschte, dass deutsche Außenpolit­ik immer auch Abrüstungs­politik sei. Dass Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) dem Vertrag nicht beitreten will, obwohl es in der SPD eine große Befürwortu­ng gibt, könne zum einen an dem Druck der USA liegen, zum anderen aber auch daran, dass damit die Stationier­ung der in Büchel in Rheinland-Pfalz stationier­ten 20 US-amerikanis­chen Atomwaffen illegal wäre.

In Deutschlan­d erhält die Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen derweil Zulauf. Vor allem junge Menschen möchten sich engagieren, so dass ICAN mit Camps und mit Hochschuln­etzwerken eine neue Generation aufbaut, die sich für Abrüstung und Frieden einsetzt. Ein weiterer Schwerpunk­t setzt ICAN in der Aufklärung­sarbeit an Schulen. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurde dort die Aufklärung über die Gefahren von Atomwaffen immer weiter vernachläs­sigt. Dabei ist das Risiko eines Atomkriege­s weiterhin hoch.

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