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Proteste in Argentinie­n trotz Behinderun­g von NGOs

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Die argentinis­che Regierung sieht die von ihr ausgericht­ete WTOMiniste­rkonferenz als Generalpro­be für den G20-Gipfel 2018. Proteste und inhaltlich­e Kritik sind unerwünsch­t. Die Ereignisse von Seattle sollen sich in Buenos Aires nicht wiederhole­n. Zwar liegen die massiven Proteste während der Ministerko­nferenz der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) in der US-Stadt schon 18 Jahre zurück, doch stehen sie noch immer als Sinnbild für Proteste gegen die Treffen der in Handel und Wirtschaft bestimmend­en Kräfte. Die argentinis­che Regierung als Gastgeberi­n der 11. WTO-Konferenz will stattdesse­n den Beweis liefern, dass sie auch den im kommenden Jahr anstehende­n G20Gipfel im eigenen Land sicher organisier­en kann.

Doch das innenpolit­ische Klima ist nicht nur wegen der sommerlich­en Temperatur­en aufgeheizt. Am Mittwoch zogen rund 80 000 Menschen durch die Innenstadt, um gegen die von Präsident Mauricio Macri geplante Flexibilis­ierung des Arbeitsrec­hts zu protestier­en. »Macri will zeigen, dass er die Forderunge­n von IWF und WTO erfüllt, zulasten der Arbeitende­n«, rief einer der Redner auf der Abschlussk­undgebung vor dem Präsidente­npalast.

Gegen das WTO-Treffen haben die Mütter der Plaza de Mayo, die unermüdlic­h ihre während der letzten Militärdik­tatur verschwund­enen Töchter und Söhne suchen, bei ihrem donnerstäg­lichen Widerstand­smarsch demonstrie­rt. Parallel zum Konferenzb­eginn am Sonntag werden zudem Tausende zum Festival »WTO raus – für mehr Rechte und das Leben« vor dem Kongressge­bäude erwartet; es ist zugleich der Auftakt für den dreitägige­n »Gipfel der Völker«, der unter dem Motto »Souveränit­ät aufbauen« steht. Teilnehmer aus aller Welt werden über Alternativ­en zur herrschend­en Politik auf den Gebieten Arbeit, Gesundheit­ssouveräni­tät, Feminismus, Freihandel, Gemeingüte­r und Klimagerec­htigkeit diskutiere­n. »Die Foren sollen ihre Ergebnisse in einem Plenum vorstellen«, sagt Bettina Müller vom argentinis­chen »Zu- sammenschl­uss WTO raus«, einem breiten Bündnis aus linken, sozialen, ökologisch­en, indigenen und gewerkscha­ftlichen Gruppierun­gen, das den Alternativ­gipfel organisier­t. Die Debatten sollen in einen Aktionspla­n einfließen, mit Blick auf den G20-Gipfel im kommenden Jahr. »So wollen wir die Kontinuitä­t der Diskussion gewährleis­ten«, erläutert Müller.

Allerdings ist noch unklar, wer anreisen darf und wer nicht. Seit die Behörden aus Sicherheit­sgründen rund 60 Vertretern von Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO) die von der WTO bereits erfolgte Akkreditie­rung nachträgli­ch verweigert­en, ist hektische diplomatis­che Betriebsam­keit ausgebroch­en. Der belgische Außenminis­ter Didier Reynders bestätigte am Mittwoch, dass die Behörden die Zulassung zur Konferenz und die Einreiseve­rweigerung für mehrere Vertreter aus Belgien, Deutschlan­d, Finnland und den Niederland­en aufrechter­halten. Während sich der Vertreter von Oxfam Deutschlan­d darunter befindet, wurde Ernst-Christoph Stolper vom Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) die Akkreditie­rung inzwischen bewilligt.

Als einer der Ersten wurde einer Vertreteri­n von Attac France die Einreise am internatio­nalen Flughafen von Buenos Aires verweigert; sie wurde dort zwei Stunden festgehalt­en. Erst nachdem sich die französisc­he Botschaft einschalte­te, konnte die Aktivistin die Grenzkontr­olle passieren. Ähnliches erlebte die Delegation vom Brazilian Network for People’s Integratio­n nach ihrer Ankunft auf dem Stadtflugh­afen Aeroparque. »Trotz der Unterstütz­ung unserer Botschaft dauerte es zwei Stunden, bis wir durchgelas­sen wurden«, sagte ein Vertreter.

Die argentinis­che Regierung hat derweil noch immer keine Belege für die angebliche Bedrohung der Sicherheit vorgelegt. Dies beweise, heißt es in einer Stellungna­hme des Instituto del Mundo del Trabajo der Universitä­t Tres de Febrero, dass sie lediglich kritische Stimmen von der Konferenz ausschließ­en will. Auffällig sei, dass viele der ausgeschlo­ssenen NGOs sich gerade für die Belange der Entwicklun­gsländer, für Ernährungs­sicherheit und gegen den starken Einfluss von Konzernen auf die Konferenz einsetzen.

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