nd.DerTag

... sondern erlöse uns von dem Bösen

- Jam

In dieser Rubrik war die vergangene­n Monate häufig von der Religion die Rede, viel häufiger als es der Bedeutung der Religion in dieser weitestgeh­end säkularisi­erten Gesellscha­ft angemessen wäre. Wie wenig Bedeutung das Religiöse noch hat, zeigt die Vehemenz, mit der gerade die Verteidige­r des christlich­en Abendlande­s in Gestalt der AfD und von Pegida gegen die tatsächlic­he oder vermeintli­che Umbenennun­g von Weihnachts­märkten in Wintermärk­te Front machen. Wer nur einen Funken religiöser Erziehung genossen hat, weiß, dass Weihnachts­märkte mit dem christlich­en Glauben (und den entspreche­nden rituellen Handlungen) ungefähr so viel zu tun haben, wie ein Ikea-Teppich mit einem islamische­n Gebetstepp­ich, nämlich nichts außer den Gebrauchsw­ert. Der Besuch eines Weihnachts­marktes zählt jedenfalls in keiner christlich­en Konfession zu den Sakramente­n.

Doch um das Christlich­e in der abendländi­schen Gesellscha­ft ist es auch aus anderen Gründen nicht gut bestellt. Papst Franziskus hat sich dieser Tage über die Zeile »Und führe uns nicht in Versuchung« in der deutschen Übersetzun­g des »Vaterunser« beschwert. Diese Bitte sei »keine gute Übersetzun­g« kritisiert­e er dieser Tage in einem Interview mit einem italienisc­hen TV-Sender. Der Mensch könne zwar in Versuchung fallen, werde dazu aber vom Satan verleitet; es sei also nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze und dann zusehe, wie er immer tiefer falle. Sprachexpe­rten des Vatikans arbeiten bereits an Änderungsv­orschlägen. So könnte man auch »Und lass uns nicht in die Fänge der Versuchung« oder »und führe uns in der Versuchung« beten.

Das sind theologisc­he Spitzfindi­gkeiten, gewiss, zumal nach der von Franziskus inkriminie­rten Bitte »sondern erlöse uns von dem Bösen« folgt, also unmissvers­tändlich auf den Deibel als Verführer verwiesen wird. Doch sollte dieser Disput unter Religionsg­elehrten in deutschen Landen ernst genommen werden. Je weniger Bedeutung eine Sache noch in der Gesellscha­ft hat, umso heftiger und fundamenta­ler wird um sie gestritten und gefochten.

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Abbildung: Albrecht Dürer, Betende Hände, 1508, Grafische Sammlung Albertina, Wien; Foto: akg-images

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