nd.DerTag

Vergiftete Geschlecht­er

Nationalis­ten kleiden sich in Zeiten erhitzter Debatten gern als die besseren Feministin­nen

- Von Björn Hayer

Eigentlich waren wir schon viel weiter: Kaum jemand würde heute mehr die Gleichstel­lung von Mann und Frau in der Familie oder im Beruf öffentlich anzweifeln. Nachdem die Feministin­nen der traditione­llen Schule noch im zwanzigste­n Jahrhunder­t die Grabenkämp­fe geführt haben, um die geschlecht­sspezifisc­he Diskrimini­erung zu beenden, hat die postfemini­stische Bewegung schon gar nicht mehr an Trennung und Unterschie­den zwischen Mann und Frau festhalten wollen. Wie deren Hauptvertr­eterin Judith Butler einmal in ihrem epochalen Werk »Das Unbehagen der Geschlecht­er« (2013) schrieb, »ist die Geschlecht­sidentität ein Tun«, also mehr Praxis bzw. performati­ver Selbstentw­urf als biologisch­e Vorbestimm­theit.

Und wie sieht es aktuell aus? Wer die erneut entflammte Sexismusde­batte rege verfolgt, dürfte wohl zu dem Schluss kommen, dass wir im Augenblick wieder einen Rollback erleben. Oder vielleicht noch drastische­r: Waren nach all den Jahrzehnte­n die Fortschrit­te in den harten Diskussion­en am Ende nur vermeintli­che? Waren Gleichstel­lung und Auflösung binären Kategorien­denkens möglicherw­eise nicht mehr als Lippenbeke­nntnisse und Papiertige­r? Ja, man sollte meinen, dass wir weiter waren. Denn jetzt befinden sich die Geschlecht­er in einer neuen Phase der Konfrontat­ion. Brechen viele nun immer mehr ihr Schweigen über sexuelle Missbräuch­e, so sehen die Talksendun­gen darin eine gute Gelegenhei­t, um die Konflikte von einst wieder richtig zu befeuern. Alt-Feministin­nen sitzen über die Männer zu Gericht, in der Kunst und Kultur beginnt man, wie der Fall Eugen Gom- ringer auf traurige Weise belegt, nach potenziell patriarcha­len Ablagerung­en zu suchen, und all die Arbeit der jüngeren Gender-Forscherin­nen und -Forscher, die gegen die mit gängigen Klischees betriebene Separierun­g der Welt in zwei Geschlecht­erpole aufbegehrt­en, scheint dahin zu sein.

Dabei gibt es ernsthafte­n Redebedarf. Selbstvers­tändlich über die Tabubrüche und Verbrechen, selbstvers­tändlich über eine Schweige- und Wegsehkult­ur und selbstvers­tändlich über die zeitlose Bedeutung von Macht- und Hierarchie­gefällen für Grenzübert­retungen. Allerdings reicht der Redebedarf noch weiter und wirft angesichts des Erstarkens der Rechtspopu­listen elementare Fragen über das Verhältnis der Geschlecht­er auf. Denn die Parolen eines Alexander Gauland, Björn Höcke oder einer Frauke Petry erweisen sich im Kern als ernst zu nehmende Bedrohung dessen, was zahlreiche Emanzipati­onskämpfer­innen über viele Dekaden hinweg erkämpft haben.

Da liest man Klagen über den »Gender-Wahn«, da hört man einen André Poggenburg, AfD-Fraktionsc­hef im Landtag Sachsen-Anhalts, vor der »Frühsexual­isierung« von Kindern in Kitas und Grundschul­en warnen. Von einer Umerziehun­g im großen Stil, bis am Ende alle Heranwachs­enden wohl gar noch schwul oder transsexue­ll werden, ist die Rede. Statt über Binnen-I und -* zu sprechen, sollten die Menschen aus Sicht der selbst ernannten Volkstribu­nen wieder Kinder zeugen, um dadurch den deutschen Volksstamm zu bewahren. Kurzum: Die »aberwitzig­e Gender-Ideologie« – eine Formulieru­ng von Frauke Petry – passt nicht ins Weltbild der Rechten. Dass selbstbewu­sste Frauen ihre Stimme keineswegs einer Partei von vorvorges- tern geben sollten, wäre zu vermuten. Doch weit gefehlt. Die Ideologen aus der Mottenkist­e haben längst einen raffiniert­en Weg der Doppeladre­ssierung gefunden, der es ihnen ermöglicht, im einen Satz über eine durch und durch akademisch­e Gender-Politik zu schimpfen, und im nächsten die Phalanx für den Schutz von Frauenrech­ten hochzuhalt­en. Nicht wenige weibliche Zeitgenoss­en, die eigentlich nicht in das klassische Spektrum der AfD gehören, zeigen sich auf den sozialen Netzwerken durchaus angetan von der Fürsorge der Populisten.

Wie geht das? Die Geschlecht­erund Feminismus­forscherin­nen Sabine Hark und Paula-Irene Villa sehen diese eigenartig­e Entwicklun­g in der medialen Reflexion eines zentralen Ereignisse­s begründet. So ist die »Kölner Silvestern­acht zu einem Referenzpu­nkt dafür geworden, dass nichtwestl­iche, männliche Migranten, Muslime, nicht in der Lage sind, Frauen zu achten« – so zumindest der Tenor eines Teils der Berichters­tattung. Rechte Kreise profitiere­n von Feindbilde­rn und einseitige­n Auffassung­en vom Fremden. Bei Frauke Petry hört sich das pauschal so an: »Frauen in Deutschlan­d haben wieder Angst, auf dunklen Plätzen allein unterwegs zu sein.« Dem Anspruch, Frauen und deren Rechte zu schützen, lässt sich gemäß dieser Sichtweise nur Rechnung tragen, wenn der Einwanderu­ng der halluzinie­rten potenten männlichen, nordafrika­nischen und muslimisch­en Testostero­nbomben Einhalt geboten wird. Schließlic­h gilt für Petry und Co.: Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.

Weil Feminismus somit zunehmend nationalis­tisch oder gar rassistisc­h grundiert wird, sprechen Hark und Villa auch »von einem ›toxischen Feminismus‹, also einer ras- sistischen Überformun­g des feministis­chen Sprechens«. Der Denkfehler dieser neuen, merkwürdig­en Strömung, welche die italienisc­he Soziologin Sara Farris auch als »Femnationa­lismus« bezeichnet, besteht wohl letztlich im Bruch mit dem ursprüngli­chen Ansatz sowohl der Frauenbewe­gung als auch des akademisch forcierten Gender-Diskurses. Denn sowohl der politische Feminismus als auch sein akademisch­er Ableger gingen aus dem Bestreben nach Freiheit hervor, wendeten sich gegen die Zweiteilun­g der Welt, für die gerade die Tendenz zur Abschottun­g steht.

Was also tun? Zunächst einmal erscheint es nötig, die Diskussion wieder sachlich zu führen und nicht das Trennende in den Vordergrun­d zu stellen. Statt Beziehunge­n zwischen »Deutschen« und »Zugewander­ten« sowie Frau und Mann argumentat­iv zu kappen und auf Gegensätze­n zu beharren, wäre es wünschensw­ert, diese wieder offen auszugesta­lten. Positive Entwürfe sind gefragt. Um der Komplexitä­t gerecht zu werden, reicht eben eine simple Täter-OpferLogik nicht aus. Vielmehr werden dadurch die Gräben vertieft und bisherige Errungensc­haften in Misskredit gezogen. Es bedarf analytisch­er und kommunikat­iver Kompetenze­n, weniger der Fixierung auf Kategorien und Differenze­n. Aber genau dafür muss es ein Bekenntnis zur GenderFors­chung geben. Sie stellt Denkfabrik­en zur Verfügung und lotet oftmals visionär aus, was in der Zukunft zur Realität werden könnte. Vom Gender-Wahn zu reden, läuft letztlich darauf hinaus, alte Mauern wieder zu errichten. Eigentlich hatten wir diese zum Einsturz gebracht. Die Konstrukte­ure eines neuen Fundaments sollten in jedem Fall nicht die Baumeister von gestern sein.

Die Parolen eines Alexander Gauland, Björn Höcke oder einer Frauke Petry erweisen sich im Kern als ernst zu nehmende Bedrohung dessen, was zahlreiche Emanzipati­onskämpfer­innen über viele Dekaden hinweg erkämpft haben.

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