Immer ehrlich – im Leben wie im Fußball
Syrische Geflüchtete spielen in Berlin in einer eigenen Mannschaft. Einer von ihnen wurde nun ausgezeichnet
Der aus Syrien stammende und derzeit in der Kreisklasse kickende Hamza Al Hazwani erhielt am Sonntag den Fairplay-Preis des Berliner Fußballverbands. Die Krönung einer gelungenen Integration. Auf Fußballplätzen kann es gelegentlich rau werden. Das weiß Frank Godau, Referent für den Männerspielbetrieb im Berliner Fußballverband, aus eigener Erfahrung. »Vor allem in der Kreisklasse B und C geht es zuweilen ziemlich ruppig zu«, sagt er. Eine knappe Woche ist es her, da brachte ihn aber mal eine angenehme Pflicht ins Poststadion an der Lehrter Straße. Es ist ein kühler, grauer Sonntag und er hat eine Urkunde dabei: »für unseren FairplayPreis des Monats«, sagt Godau. Der geht diesmal »an Hamza Al Hazwani vom FC Karame. Er hat den Schiedsrichter darauf hingewiesen, dass ein Handspiel eines Mitspielers innerhalb des Strafraums erfolgt war und nicht außerhalb. Der Schiedsrichter hatte zuerst nur auf Freistoß entschieden gehabt«, begründet Godau die Preisvergabe.
Der Fairplay-Preis wurde vom BFV einst als Antwort auf Gewaltausbrüche und daraus resultierende Spielabbrüche in den unteren Ligen ausgerufen. Er findet nun durchaus Anklang. Kurz vor dem Anpfiff des Spiels gegen den HFC Schwarz-Weiss aus Hellersdorf versammelt Godau beide Mannschaften im Mittelkreis. Hellersdorfer und Syrer applaudieren, als der Funktionär die Urkunde an den 22-jährigen Mittelfeldspieler überreicht. »Natürlich freue ich mich«, sagte der gegenüber »nd«. Die Situation von damals schildert er so: »Unser Spieler hat den Ball im 16er mit der Hand berührt. Der Schiri hat das nicht gesehen. Dann hat er mich gefragt, und ich habe gesagt, dass das im Strafraum war. Dann hat es Elfmeter gegen uns gegeben.« Der Strafstoß wurde verwandelt.
Karame gewann das Spiel am Ende trotzdem. Wichtiger noch: »Keiner meiner Mitspieler hat sich geärgert, dass ich dem Schiri Bescheid gegeben habe. Alle fanden es gut so«, erzählt Al Hazwani, und ergänzt: »Man soll nicht lügen, sondern immer sauber spielen – im Leben wie im Fußball.«
Mustafa Gumrok strahlt bei der Preisverleihung übers ganze Gesicht. Ohne ihn gäbe es diese Mannschaft wohl gar nicht. Und nichts könnte ihn nun stolzer machen, da er sieht, dass auch die Mentalität stimmt. Gumrok, weiße Haare und mit der Ausstrahlung eines Mannes, der entscheiden, aber auch zuhören kann, lebt seit mehr als 40 Jahren in Deutschland. Er arbeitete bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2015 als Ingenieur. In seiner Jugend spielte er aber Fußball beim Erstligisten Al-Hurriya aus Aleppo. Als viele seiner Landsleute vor drei, vier Jahren nach Deutschland kamen, war er ein wichtiger Ansprechpartner.
Eine von Gumroks Initiativen war es, den FC Karame neu zu beleben. Unter dessen Dach schuf er dann noch die Mannschaft des Syrischen SV. Die nimmt seit 2015 am Spielbetrieb der Freizeit-Bezirksliga teil. Ein Team aber reichte nicht, denn 40, 50 Spieler drängten schnell in den Verein. Unter ihnen waren auch gute Fußballer – zu gute für die Freizeitliga. »Seit dieser Saison spielt unsere erste Mannschaft als FC Karame in der Kreisliga. Und die zweite ist als Syrischer SV in der Freizeitliga aktiv«, erklärt Gumrok.
Das Training wurde irgendwann von zwei auf drei Tage die Woche erhöht. Es kommen die Spieler der Kreisliga und die der Hobbytruppe. Im Training kicken sie zusammen, zu den Pflichtspielen wieder getrennt; schließlich darf jeder Spieler nur für eine Klasse gemeldet werden.
In der ersten Mannschaft sind einige Cracks dabei. Manche spielten sogar in der U21-Auswahl Syriens, würden jetzt vielleicht zum Kader der Nationalmannschaft gehören. Aber der Krieg machte einen Strich durch ihre Karriererechnung. Nach Syrien zurück können und wollen sie nicht. Mittelstürmer F. – sein voller Name soll aus Sorge um seine noch in Syrien verbliebenen Familienmitglieder nicht in den Medien auftauchen – wurde ins Gefängnis gesteckt, weil er an Demonstrationen teilgenommen hatte. Da schützte auch nicht, dass er zur U21-Auswahl des Landes gehörte.
Der nun mit dem Fairplay-Preis ausgezeichnete Hamza war erst 16, als er seine Heimatstadt Hama und seinen dortigen Verein Al Shurta verließ. In Berlin beendete er die 9. und 10. Klasse, jobbte als Kellner und in einem Sicherheitsdienst. Demnächst will er sein Abi nachholen. Stürmer F. ist da schon weiter. Er steckt mitten in den Semesterprüfungen seines Bauingenieursstudiums.
Der Fußball hat vielen Syrern hier Halt und eine Heimat gegeben. »Wir fühlen uns hier sehr wohl, fast wie zu Hause, wir sprechen ja auch die gleiche Sprache«, meinte Mannschaftskapitän Naji Negmah bei der ersten Begegnung im Frühjahr. Auf das Erlernen der neuen Sprache wird aber ebenfalls Wert gelegt. »Wir bieten hier selbst Deutschkurse an. Wir erklären auch Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Syrern, damit sie hier besser klarkom- men. Und wir unternehmen viel gemeinsam, gehen zum Bowling oder zum Schwimmen«, erzählt Mustafa Gumrok.
Der Ausflug in der Schwimmhalle geriet zum wechselseitigen Lernprozess, wie Gumrok schildert: »Wenn du mit einer so großen Gruppe arabischer Männer in eine Schwimmhalle kommst, dann stockt vielen erst einmal der Atem. Ich musste aber auch unseren Jungs erklären, wie sie sich verhalten sollen: nicht von der Seite reinspringen, nicht spritzen.« Die Lernprozesse schreiten voran. Und die Kicker aus dem Bürgerkriegsland Syrien bringen selbst mehr als genug Anstand mit. Der mündet dann eben auch mal in einem Fairplay-Preis.
Einzelne Spieler des FC Karame beteiligen sich an einem noch ehrgeizigeren Projekt: Sie spielen für die alternative syrische Nationalmannschaft. »Wir hoffen auf die Anerkennung durch die Syrische Oppositionsregierung. Und dann auf die der FIFA«, sagt Gumrok, der auch beim Aufbau dieser Truppe hilft.
Erste Freundschaftsspiele – mit Flagge – gab es schon. Zuletzt gegen Spandau 04 und den TSV Mariendorf. »Das war ein richtiges Turnier, eine tolle Atmosphäre. Wir haben auch unsere Meinung geäußert gegen den Chemieeinsatz des AssadRegimes, der damals gerade passiert war. Das war ein Erfolg«, erinnert sich Gumrok. Ein Verantwortlicher aus Mariendorf habe ihm jedenfalls gesagt: »Mustafa, 8000 Klicks auf unserer Homepage, das hatten wir noch nie!« Syrische Migranten sind offenbar in vieler Hinsicht ein Gewinn.