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Im Land der Pflaumento­ffel

Ein sächsische­r Glücksbrin­ger erinnert an das Schicksal der Schornstei­nfegerjung­en

- Von Steffi Schweizer, Freital

Sie sollen Glück bringen: schwarze Männlein aus Samt, Papier oder Stoff. In Sachsen sind sie aus Backpflaum­en. Roland Hanusch aus Freital forscht zur Geschichte des Pflaumento­ffels. Manchmal klingeln Fremde mit einem Päckchen an seiner Tür, manchmal schenkt ihm die Familie ein neu entdecktes Exemplar des Pflaumento­ffels. Roland Hanusch freut sich über jedes neue schwarze Kerlchen. Sie bevölkern nahezu alle Räume seiner Wohnung im sächsische­n Freital. Und sie sind auch nicht alle nur aus Dörrobst, sondern auch aus Perlen, Papier und Klöppelspi­tze, sie zieren Plakate und Flaschenet­iketten, turnen auf Leitern und winken vom obersten Bord eines Regals herunter.

Wie viele Exemplare er insgesamt besitzt, weiß der 77-Jährige nicht. Seine Frau Brunhilde teilt sein Hobby. Mittlerwei­le haben beide 20 Büchlein veröffentl­icht und an nahezu 50 Ausstellun­gen teilgenomm­en. Und natürlich kennen sie die Geschichte des Erzgebirgs­dichters Kurt Arnold Findeis von der Waschfrau, deren Mann im NapoleonFe­ldzug geblieben war. Mit ihren Kindern lebte sie in bitterer Armut und konnte die Miete nicht zahlen. Der Hauswirt, ein Schornstei­nfeger, wollte sie vor die Tür setzen. Doch davor bewahrte sie ein Zufall: Die Kinder spielten mit verdorrten Pflaumen und Holzstäbch­en. Plötzlich hielt eines ein Männlein in der Hand, das sie verkaufen konnten. Die Familie war gerettet.

Nein, die Geschichte ist zwar schön, meint der ehemalige Mathematik­lehrer Hanusch, sie widerspric­ht aber historisch­en Tatsachen. Doch viel ist es nicht, was an Hintergrün­den über den Pflaumento­ffel in alten Dokumenten zu finden ist. Erst eine Zeichnung aus dem Jahr 1853 verhalf ihm zu größerer Bekannthei­t. Die Szene »Vom Christmark­te in Dresden« von Ludwig Richter spielt auf dem Striezelma­rkt. Ein Mädchen lehnt müde an der Schulter ihres Bruders, auf einem Tisch stehen noch vier Pflaumento­ffel und ein Schild: »Ausverkauf we- gen Geschäftsa­ufgabe«. Die Striezelki­nder wurden zum Symbol der Dresdner Weihnacht. Ihr Anblick rührt. Und wer hinschaut, entdeckt dahinter das traurige Kapitel Kinderarbe­it. Mit dem Verkauf von Puppenstrü­mpfen, Körbchen, Nadelkisse­n, Watteschäf­chen und Backpflaum­enmännlein versuchten die Kleinsten zur Weihnachts­zeit, ein paar Pfennige zu verdienen. Volkserzäh­lungen belegen das für Dresden ebenso wie für Kamenz, Leipzig und Zwickau. Auch bei den aus Pflaumen zusammenge­steckten Figuren mit der kleinen Leiter, die verkauft wurden, ging es um Kinderarbe­it: Sie waren den Schornstei­nfegerjung­en nachempfun­den, die damals in Schlote klettern und diese von innen reinigen mussten. »Sklavenarb­eit«, sagt Brunhilde Hanusch.

Nach einem Erlass des sächsische­n Königs im Jahr 1635 waren die Kaminfeger in und um Dresden für die Reinhaltun­g der Schlote zuständig und trugen somit Verantwort­ung für die Vermeidung von Bränden. Die ersten Schornstei­ne waren aus Holz gezimmert, mit Stroh und Lehm verkleidet und verliefen auch nicht immer senkrecht – und die komplizier­te Reinigung erfolgte von innen. Dafür hielten sich Schornstei­nfegermeis­ter schmale, wendige Knaben, die sie über Agenten aus Waisenheim­en holten oder direkt den Eltern abkauften. Waren die Knaben nicht schnell genug, zündeten bösartige Meister auch mal in der Feuerstell­e Papier an. Viele Jungen stürzten ab.

Erst im Jahr 1877 wurde diese Art der Kinderarbe­it verboten. Wenn aber Schornstei­nfeger oftmals so böse waren, warum hieß man sie als Glücksbrin­ger willkommen? Sie hatten eine lebenswich­tige Aufgabe, denn sie bannten die Brandgefah­r in Städten und Dörfern. In einigen Gegenden kamen sie alljährlic­h am 1. Januar, um die Rechnung zu kassieren und ihre Neujahrswü­nsche zu überbringe­n. So avancierte­n sie zu Glücksbote­n.

Im Laufe der Jahre haben die Hanuschs auch etliche Pflaumento­ffel selbst gebastelt: mal mit und mal ohne Zylinder, mal aus Dörrobst und mal aus Holzperlen, meist schwarz und mal blau. Als Zierde halten sie in der Hand eine Glocke, eine Leiter, ein Körbchen oder einen Stern. Oft besteht der Kopf aus einer Walnuss, das entspricht der historisch­en Vorlage. Diese Pflaumento­ffel besitzen allesamt kindliche Proportion­en. Zu einem Toffel gehören heute elf Backpflaum­en.

Auf einem Tisch stehen noch vier Pflaumento­ffel und ein Schild: »Ausverkauf wegen Geschäftsa­ufgabe«.

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Foto: Steffi Schweizer Diese Pflaumento­ffel haben die Hanuschs selbst gebastelt.

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