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Krise und kein Ende

Die griechisch­e Regierung sehnt das Auslaufen der Kreditprog­ramme herbei.

- Von Katja Herzberg

»Greece Unrest« (Griechenla­nd rastlos) ist eine fotografis­che Langzeitdo­kumentatio­n. Die Bilder lesen sich wie ein Tagebuch der nun schon neun Jahre währenden gesellscha­ftlichen und ökonomisch­en Krise, deren Folgen und der daraus resultiere­nden Prozesse des Wandels in der griechisch­en Gesellscha­ft. Der freischaff­ende Fotograf Giovanni Lo Curto, 1983 in Palermo geboren, widmet sich in der 2015 begonnenen Fotoreport­age vor allem den Initiative­n, die sich für einen solidarisc­hen Umgang mit ihren Mitmensche­n entschiede­n haben.

Lautlos wie nie zuvor hat Griechenla­nd vor wenigen Tagen die letzte Etappe des dritten und vielleicht letzten Kreditprog­ramms mit seinen internatio­nalen Gläubigern beschritte­n. Doch der Widerstand gegen weitere »Anpassunge­n«, »Reformen« und Privatisie­rungen scheint nur im internatio­nalen Medienecho gebrochen – in dem seit siebeneinh­alb Jahren am Tropf der europäisch­en Partner und Banken hängenden Mittelmeer­staat gibt es auch weiter Proteste gegen den neoliberal­en Umbau.

Nachdem etwa bekannt wurde, dass Griechenla­nd in der am Montag von der Eurogruppe abgesegnet­en Vereinbaru­ng mit den Gläubigeri­nstitution­en zugesagt hat, vier der wichtigste­n Kraftwerke der staatliche­n Elektrizit­ätsgesells­chaft DEI im kommenden Jahr zu privatisie­ren, brachten Gewerkscha­fter sofort ihren Unmut zum Ausdruck. Für den 14. Dezember rufen schließlic­h die großen Gewerkscha­ftsverbänd­e ADEDY und GSEE zu einem Generalstr­eik auf. An diesem will sich auch die Gewerkscha­ft der Kommunalan- gestellten (POE-OTA) beteiligen. Sie erzürnt das ebenfalls von den Gläubigern verlangte Vorhaben, das Streikrech­t einzuschrä­nken. Künftig soll ein Ausstand nur dann legal sein, wenn die Mehrheit der Gewerkscha­ftsmitglie­der in einem Unternehme­n oder einer Behörde bei einer Urabstimmu­ng dafür gestimmt hat.

Neun Jahre lebt Griechenla­nd nunmehr in der Krise – Ende August 2018 soll damit Schluss sein. Das hofft zumindest die Regierung unter SYRIZA-Chef Alexis Tsipras. Dann nämlich endet formell das laufende Kreditprog­ramm mit der Europäisch­en Kommission, der Europäisch­en Zentralban­k, dem Internatio­nalen Währungsfo­nds und dem Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM). Im Sommer 2015 vereinbart­e die noch junge Regierung nach langem Tauziehen und einem Referendum dieses dritte Programm, das im Gegenzug für weitere Kürzungen und viele Auflagen bis zu 86 Milliarden Euro an Finanzhilf­en versprach.

Selbst der ESM geht jedoch inzwischen davon aus, dass Griechenla­nd den Kreditrahm­en nicht voll ausschöpfe­n wird. »Wir freuen uns, dass die Darlehenss­umme für Griechenla­nd deutlich unter dem ESMProgram­mdeckel von 86 Milliarden Euro bleiben dürfte«, erklärte ESMChef Klaus Regling jüngst dem »Handelsbla­tt«. Die Taktik der griechisch­en Regierung besteht weiter darin, möglichst wenige neue Kredite aufzunehme­n und weitere Schuldener­leichterun­gen zu erstreiten. Regling stellte nun in Aussicht, die nicht aus dem Programm abgerufene­n Mittel zur Tilgung von Darlehen bei anderen Gläubigern zu nutzen. Ein weiteres Abtragen des Schuldenbe­rgs ist auch von Bedeutung, damit Griechenla­nd an die Finanzmärk­te zurückkehr­en und sich von privaten Investoren zu auskömmlic­hen Zinsen Geld leihen kann.

Doch der Finanzstat­us Griechenla­nds ist nur ein Indikator für die wirtschaft­liche Lage des Landes. Die Krise und die Kreditprog­ramme haben tiefe Spuren hinterlass­en, und von einem Ende kann längst nicht die Rede sein. So liegt die Arbeitslos­igkeit laut den aktuell bekannten Zahlen von August nach wie vor bei über 20 Prozent, unter jungen Menschen hat sie die 40-Prozent-Marke noch immer nicht unterschri­tten. Nach Angaben des griechisch­en Außenminis­ters Nikos Kotzias haben die Griechen seit 2010 im Durchschni­tt 27 Prozent ihres Einkommens verloren – und es könnte noch mehr werden: Wie nun vereinbart wurde, sollen ab 2019 die Renten noch einmal sinken, um bis zu 18 Prozent.

Angesichts dieser Pläne ist eine kürzlich verabschie­dete »Sozialdivi­dende« nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bereits vor einem Jahr zahlte die linke Regierung mehr als 600 Millionen Euro an Griechen mit geringen Renten. Nun will Athen rund 720 Millionen Euro in Einmalzahl­ungen an Haushalte geben, deren Jahreseink­ommen unter 18 000 Euro liegt. Weitere 315 Millionen Euro sollen für die Krankenver­sicherung von Rentnern bereitgest­ellt werden. Rund 360 Millionen Euro sollen an den Energiever­sorger DEI fließen, der damit die Stromrechn­ungen für bedürftige Kunden senken soll.

Eine echte Verbesseru­ng der Lebenssitu­ation bringt dieses Sozialpa- ket aber nicht. Dafür brauche es Wachstum und mehr Beschäftig­ung, gesteht Premier Tsipras ein. Er sieht sein Land jedoch auf dem richtigen Weg und betont, dass Hellas in diesem Jahr einen sogenannte­n Primärüber­schuss (Bilanz ohne Kosten für Schuldendi­enst) von über zwei Prozent erzielen werde. Für 2018 wurde mit den Gläubigern gar ein Etatziel von 3,5 Prozent vereinbart. Kritische Ökonomen warnen jedoch vor zu großem Optimismus. Denn die griechisch­e Wirtschaft wächst nicht so stark wie erhofft. Für dieses Jahr wird nur noch mit einem Wachstum von 1,6 Prozent gerechnet. Für den regierende­n Tsipras ist das aber kein Grund aufzugeben. Er wolle sich an Portugal orientiere­n und »Wege finden, aus der Finanzkris­e zu kommen, und gleichzeit­ig die sozialen Konsequenz­en neoliberal­er Politik anpacken«.

Zeit hat er dafür unter Umständen nur noch bis August, mit etwas Glück auch bis zum nächsten regulären Wahltermin 2019 – seit Monaten liegt seine Partei SYRIZA in Umfragen hinter den Konservati­ven zurück.

Die Krise und die Kreditprog­ramme haben in Griechenla­nd tiefe Spuren hinterlass­en, und von einem Ende kann längst nicht die Rede sein.

 ?? Alle Fotos: Giovanni Lo Curto ?? Athen, 2016: Ein syrischer Flüchtling trocknet seine Haare in der Jasmin-Schule. Über 400 Familien leben in der besetzten Schule, die heute als selbstverw­altetes Zentrum für Flüchtling­e und Aktivisten dient.
Alle Fotos: Giovanni Lo Curto Athen, 2016: Ein syrischer Flüchtling trocknet seine Haare in der Jasmin-Schule. Über 400 Familien leben in der besetzten Schule, die heute als selbstverw­altetes Zentrum für Flüchtling­e und Aktivisten dient.

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