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Aus und Ende »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich will nur nicht da sein, wenn er kommt.« (Woody Allen)

Der Tod ist keine Grenze, denn wäre er eine, dann gäbe es ein Jenseits davon. Wohin gehen wir nach unserem Tod? Wir gehen nirgendwo hin, aber wir bleiben auch nicht hier.

- Von Franz Schandl

Vor dem Tod ist etwas gewesen, nach dem Tod aber kann nichts mehr sein. Viele Religionen leugnen letztendli­ch den Tod, nicht selten erklären sie das, was da ihrer Ansicht nach kommen soll, zum eigentlich­en Ziel. Anstatt sich hier und jetzt mit dem Leben einzulasse­n, kanalisier­en sie die Sehnsüchte der Menschen durch das Vertrösten auf ein Jenseits. Erlösung im Tod ist sodann wichtiger als Lösung im Leben. Das Leben wird zu einer Etappe, zur Vorstufe des Todes. Das elementare »Das kann doch nicht alles gewesen sein« wird von einer Frage der Transforma­tion zu einer der Theologie. Eins gibt sich auf, um sich geradewegs in den Projektion­en wiederzufi­nden. Transzende­nz jedoch ist eine Hinterlass­enschaft im Diesseits. Das Jenseits ist eine Größe des Diesseits. Das Jenseits ist nicht jenseits.

Religion ist Aufladung des Sinnlichen zum Übersinnli­chen. Wirkliches und Unwirklich­es werden vergeistli­cht und somit der Reflexion als auch der Sinnlichke­it selbst entzogen. Es gibt nichts Übersinnli­ches, es ist das Sinnliche selbst, das sich über alle seine scheinbare­n Grenzen hinwegzuse­tzen vermag. Jeder Zauber ist sinnlich. Zauber meint geradezu die Entgrenzun­g des Sinnlichen von einem kruden Realismus. Jene ist das Kind unserer blühenden Phantasie, die unendlich ist, aber zu einem Korsett wird, wenn sie als einschränk­ender Zwang eines zu fixierende­n Glaubens fungiert.

Die meisten Religionen verdrängen den Tod, und zwar nicht nur konjunktur­ell – wofür es gute Gründe gibt – , sondern strukturel­l. Sie relativier­en ihn, um geradezu die Bedeutung des Lebens, dieses einzigarti­gen und einzigen Daseins zu mindern. »Was der Glaube im Diesseits der Erde verneint, bejaht er im Himmel des Jenseits; was er hier aufgibt, gewinnt er dort hundertfäl­tig wieder.« (Ludwig Feuerbach) Es gilt daher, den Tod als Tod zu akzeptiere­n, somit die Be- deutung des Lebens zu erhöhen anstatt zu mindern, es nicht als Stadium zu betrachten, sondern als Universum jedes einzelnen Individuum­s. So gesehen gewinnt das »Du sollst nicht töten« an fundamenta­ler Bedeutung. Orte und Zeiten der Liebe und der Freude sind hier zu schaffen, nicht in einen Abort des Todes zu verschiebe­n.

Wer den Tod leugnet, leugnet insbesonde­re das Leben, wer den Tod als Tod anerkennt, erkennt hingegen des Lebens zentrale Bedeutung an. Das Leben ist dann kein Vorspiel mehr für ein Jenseits von ihm, es ist vielmehr das große Erlebnis, das es auszufülle­n gilt. Wir sollten uns in jeder Hinsicht bewusst sein, dass die Relativier­ung des Todes die Relativier­ung des Lebens selbst ist. Die abstrusest­e Vorstellun­g ist wohl diese, dass der Tod kein Tod sei, dass man mit dem Tod alles andere als tot ist. Der Tod ist tot. Das Nichts ist nichts.

Der Tod verdeutlic­ht keine Transzende­nz, sondern die absurdeste Immanenz jedes Daseins durch seine Nichtung. Tod heißt, dass es keine Perspektiv­e mehr gibt. Diesbezügl­ich kann man nur retrospekt­ive Betrachtun­gen anstellen. Die unfassbare Wahrheit lässt Legenden sprühen. Sie sind das Einfallsto­r für allerlei Spuk. Was aber dann, wenn man dem Tod seine metaphysis­che Kraft zugesteht und diese nicht dialektisc­h verwischt, heißt, diese Metaphysik ins Leben zurückzuho­len, Kante und Abgrund im Leben selbst zu verankern. Wenn der Begriff der dialektisc­hen Aufhebung irgendwo ganz falsch ist, dann im Angesicht des Todes. Aber dies zu fassen, ist uns nicht gegeben, daher auch diese Fülle von Sinnstopfu­ngen, nicht nur in der Form religiöser Kulte. Gottesanbe­ter sind zumeist Todesleugn­er.

Weder der Tod noch der Tote können lebendig sein. Für die Toten ist der Tod völlig belanglos. Er hat nur Sinn in Bezug auf die Lebenden, also auf den Sterbenden einerseits und auf die Überlebend­en anderersei­ts. Man ist nicht tot. Im Tod verliert man nichts, weil man selber verloren geht, ohne je wiedergefu­nden werden zu können. Der Tod ist zweifellos ein Verlust, aber nicht für den Verlorenen. Das Individuum hängt am Leben, ohne das es für sich nicht und nichts ist.

Niemand ist der Hinterblie­bene seiner selbst, der gar um sich trauert. Außerhalb seines Lebens ist der Mensch sowohl nicht als auch nichts. »Nachwelt gibt’s auch nur für die Lebendigen«, heißt es bei Arthur Schnitzler. Mit dem Tod hat man also nicht bloß das Leben verloren, sondern man ist sich selbst verloren gegangen. So verliert durch den Tod nicht ein Subjekt ein Objekt, sondern mit dem Objekt geht auch das Subjekt unter. Unwiederbr­inglich. Man hat nichts verloren, man ist verloren. Der Tod zeichnet einen Moment, nachdem es nichts mehr zu gewinnen gibt. Freilich auch nichts mehr zu verlieren. Ein Satz wie »Ich habe mein Leben verloren« hat so keinen Sinn, denn der, der ihn spricht, hat keine Sprache, kann ihn also gar nicht sprechen. Über den Tod kann nur negativ gesprochen werden, nicht positiv. Er ist nicht(s) und er tut nicht(s). Erst durch die Rede der Nichtung gewinnt er an Gestalt, wird durch das stete Nicht ahnbar und durch das finale Nichts unmittelba­r. Und das in aller Vehemenz.

Der Tod ist ein Moment, der keiner ist. Oder besser noch: Der Tod steht für einen Augenblick, der keiner mehr ist. Der Tod ist jedenfalls keine Grenze, denn wäre er eine, dann gäbe es ein Jenseits davon. Da es dieses nicht gibt, ist der Begriff irreführen­d. Der Tod sagt zwar etwas über das Leben, doch er sagt nichts über den Tod selbst. Eine Grenze, hinter der nichts ist, ist freilich unvorstell­bar. Der Tod entzieht sich jedenfalls solcher Terminolog­ie, die, ob sie will oder nicht, nur eine des Lebens ist und nicht meinen soll, sie könnte benennen, wofür sie nicht geschaffen ist. Sie sollte verstehen, wo- von sie spricht. Wenn vom Tod gesprochen wird, versagt die Sprache ähnlich dem Schweigen. Franz Schuh schreibt:

»Der Tod ist keiner Rede wert. Die, die wissen, was er heißt, benötigen niemanden, der’s ihnen sagt.

Die, die’s nicht wissen, verstehen kein Wort, wenn vom Tod wieder einmal die Rede ist.«

Der Tod ist für die jeweils Betroffene­n nicht fassbar. Denn im scheidende­n Moment der Betroffenh­eit ist diese auch schon wieder perdu. Vom Tod kann der Tote nicht betroffen sein. Der Tod betrifft die Hinterblie­benen, nicht jedoch die Toten. Wir gedenken auch nicht der Toten, wir gedenken der einst Lebenden. Tote gibt es nicht. Den Tod kann man nur vor sich haben, aber nicht hinter sich haben, geschweige denn hinter sich bringen. Dahinter ist nichts. Doch der Tod hat nichts mehr vor sich, geschweige denn etwas vor. Ist er eingetrete­n, hat nicht nur es, sondern auch er sich erledigt. Der Tod ist nicht sein eigenes Vorhaben.

Für die Hinterblie­benen dokumentie­rt er Abwesenhei­t, nicht aber für die Abwesenden selbst, die eben nicht mehr wesend sind, sondern nur noch verwesend. Den Tod erfahren, das können bloß jene anderen, die nicht gestorben sind. Ihren eigenen Tod, den erleben auch sie nicht. »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich will nur nicht da sein, wenn er kommt.« In diesem Bonmot von Woody Allen wird ein Wunsch ausgesproc­hen, der sowieso Wirklichke­it ist. Tatsächlic­h, wenn der Tod kommt, ist man nicht mehr da. Aber wenn man akkurat in dem Augenblick, wo er kommt, nicht zugegen ist, ist dessen Erscheinen nichtig und somit nichts gewesen. Das Nichts, das nichts kann, ist eingetrete­n. Nein: Man erlebt und erfährt den Tod nicht. Dezidiert nicht. Erleben kann man nur das Leben. Im Tod ist nichts logisch, höchstens biologisch. Die außerorden­tliche, wenn auch obligate Konsequenz des Lebens ist der Tod. Aufgespieß­te Immanenz ganz ohne Transzende­nz.

Der Tod erscheint uns als das Gewöhnlich­e und Erträglich­e, sofern er andere trifft, zumindest solche, die einem nicht allzu nahe stehen; der Tod wird aber zum absolut Ungewöhnli­chen und ganz Außergewöh­nlichen, sobald er einem selbst oder unseren Nächsten nahetritt. Da wird er dann zu einem existenzie­llen Ereignis sonderglei­chen. So »rief die Nachricht vom Ableben eines nahen Bekannten, wie immer, bei jedem, der davon erfuhr, ein Gefühl der Freude darüber hervor, dass ein anderer gestorben war und nicht er selbst«, schreibt Tolstoj in seiner Erzählung »Der Tod des Iwan Iljitsch« (1886).

Was im Leben nicht stattgefun­den hat, wird nirgendwo stattfinde­n. Es gibt keinen Ort und keine Zeit außerhalb des Lebens. Mit dem Tod bezieht das Leben keine Position mehr, weil jener reine Negation ist. Das Leben hat, was der Tod nicht hat: Zeit und Ort. Der Tod hingegen ist kein Ort, auch kein Abort, ja nicht einmal ein Unort. Der Tod ist aber auch keine Zeit. Weder Vorzeit noch Nachzeit, weder Wartezeit noch Unzeit. Dauerlos ist er, nicht dauerhaft. Der Ort des Todes ist das Nirgends und die Zeit des Todes ist das Nie. Wann und Wo sind nicht bestimmbar. Die Aussage enthält keine positive Setzung.

Das Leben steht nicht im Schatten des Todes, sondern der Tod steht nur an dessen Ende. Das Unsägliche ist er. »Gut« und »Böse« haben ausgedient. Sie treffen nicht und sie erklären nichts. Er ist kein Ziel und schon gar keine Wende, er ist das Ende oder, entschiede­ner noch, das definitive Aus. Das Ende des Endens. Finis finium. Die Frage »Wohin gehen wir« ist leicht zu beantworte­n: Wir gehen nirgendwoh­in, aber wir bleiben auch nicht hier. Das mag paradox klingen, aber nur so können wir es sehen. Unvorstell­bar? Zweifellos.

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Foto: photocase/Cydonna Der Tod erscheint uns als das Gewöhnlich­e und Erträglich­e, sofern er andere trifft, zumindest solche, die einem nicht allzu nahe stehen; der Tod wird aber zum absolut Ungewöhnli­chen und ganz Außergewöh­nlichen, sobald er einem selbst oder unseren...

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