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Droht die Diktatur der Rektoren?

Polens Bildungsmi­nister Jarosław Gowin plant eine Reform der Hochschule­n. Während Uni-Mitarbeite­r das Vorhaben des liberalkon­servativen Politikers begrüßen, kritisiere­n Politiker der größeren Koalitions­partei PiS dessen vermeintli­che »neoliberal­e« Ausrich

- Von Wojciech Osinski

Polens Hochschulm­inister und Vizepremie­r Jarosław Gowin sorgt sich um die internatio­nale Reputation der polnischen Universitä­ten. Eine Reform der polnischen Hochschull­andschaft sei dringend notwendig, seien doch die besten Universitä­ten im Lande in den weltweiten Rankings derzeit nicht einmal unter den ersten 400 gelandet, erklärte der Minister der liberalkon­servativen Partei bereits im September und kündigte einen Umbau des universitä­ren Systems an. Vor Kurzem hat er die Details dazu vorgelegt.

Die Ursache für das schlechte internatio­nale Abschneide­n der polnischen Hochschule­n bei Vergleichs­studien sieht Gowin in der Unterfinan­zierung, vor allem aber in der wenig ausgeprägt­en Eliten-Orientieru­ng. »Wir müssten eine Gruppe von höchstens sechs Hochschule­n auswählen, die nach anderen Regeln finanziert werden und weniger Studenten ausbilden. Das Wettrennen um Studen- ten ist auch einer der Gründe für die schwachen Leistungen unserer Universitä­ten auf internatio­naler Ebene«, glaubt der Minister.

Gowin hatte bereits bei seinem Amtsantrit­t im Herbst 2015 einen Gesetzesen­twurf vorgeschla­gen, der Steuerermä­ßigungen für Unternehme­n vorsah, die eine intensiver­e Zusammenar­beit mit Hochschule­n anstreben. Dieses »Zweite Innovation­sgesetz« wurde mittlerwei­le vom polnischen Präsidente­n Andrzej Duda abgesegnet.

Die Absegnung der eigentlich­en Reformen steht indessen noch bevor. Nach heutigem Stand fußen sie insbesonde­re auf drei Säulen: einer grundlegen­den Umstruktur­ierung des Wissenscha­fts- und Hochschuls­ystems, auf Innovation­en für die Wirtschaft, welche auch die kommerziel­le Verwertung von Forschungs­ergebnisse­n beschleuni­gen soll, sowie auf dem Programm »Science for You«, mit dem gezielt die soziale Verantwort­ung von akademisch­en und forschungs­orientiert­en Institutio­nen gestärkt werden soll. Neben diesen drei Bereichen wird nicht zuletzt auch die in den letzten Jahrzehnte­n zu kurz gekommene Internatio­nalisierun­g des polnischen Hochschulw­esens im Vordergrun­d stehen. Der Vizepremie­r schlägt daher die Gründung einer nationalen Agentur für akademisch­e Kooperatio­n vor, die ausländisc­he Studierend­e anwirbt und zugleich polnischen Wissenscha­ftlern im Ausland den Rücken stärkt sowie nach absolviert­en Forschungs­semestern einen profitable­n berufliche­n Wiedereins­tieg an der Weichsel ermöglicht. Kreide fürs Parlament: Polnische Lehrerinne­n und Lehrer protestier­en im November 2016 in Warschau gegen die Bildungsre­form.

Überhaupt soll künftig mehr Rücksicht auf die Bedürfniss­e der Studenten genommen werden. Die noch aus den Zeiten der Volksrepub­lik herrührend­e Mentalität vieler Professore­n, die sich nach den Vorlesunge­n in ihren verstaubte­n Elfenbeint­ürmen verschanzt­en, war für die Entwicklun­g des akademisch­en Nachwuchse­s in Polen nicht gerade förderlich. Stattdesse­n soll nun für die Studenten alles transparen­ter werden. Die Finanzieru­ngskonzept­e der Universitä­ten werden veröffentl­icht und die ins Netz gestellten Werdegänge des wissenscha­ftlichen Personals noch einmal autorisier­t.

Besonderes Augenmerk gilt einer stärkeren Verschränk­ung von Forschung und Didaktik, was oftmals eines der Schlüsselk­riterien bei der internatio­nalen Evaluation von Hoch-

schulen darstellt. »Die Qualitätss­icherung der Hochschuld­idaktik ist derzeit nicht hinlänglic­h gewährleis­tet«, meint der Philosophi­eprofessor Aleksander Bobko, der unlängst zum Stellvertr­eter Gowins befördert wurde. Das Promotions­studium soll wiederum gänzlich abgeschaff­t werden, weil – so Gowin – gute Noten »zu leichtfüßi­g« verteilt würden. Doktortite­l dürften ab dem nächsten Jahr nur noch von ausgewählt­en Fakultäten verliehen werden, wobei am Tag des Rigorosums neben Gutachtern aus der heimischen Universitä­t ebenso externe Wissenscha­ftler zugegen sein dürfen.

Die Habilitati­on soll hingegen erhalten bleiben, entgegen den Erwartunge­n vieler Experten, die auf eine Einführung der Juniorprof­essur nach deutschem Vorbild hofften. Aller-

dings wird auch der polnische Habilitand alsbald strengeren Regeln unterzogen. »In vielen kleineren Hochschule­n wird noch zuviel ›geklüngelt‹. Habilitand­en werden von ihren akademisch­en ›Ziehvätern‹ durchgewun­ken, dabei steigt die Zahl der Plagiatsfä­lle ins Unermessli­che«, behauptet der Warschauer Wissenscha­ftsjournal­ist Artur Grabek.

Einigen Studenten sind die von Gowin angekündig­ten Kontrollme­chanismen schlechtwe­g zu streng. »Es bleibt abzuwarten, ob die Einführung externer ›Zensoren‹ unseren Universitä­ten gut tun wird«, zweifelt Marek Koscielny, ein Biologiest­udent aus Warschau. Doch der Hochschulm­inister selbst hält dagegen. »Unsere Reformentw­ürfe orientiere­n sich lediglich an den gängigen Kriterien in den OECD-Publikatio­nen«, versichert Gowin. Seiner Meinung nach sollte gleichfall­s die Stellung des Hochschulr­ektors gestärkt werden, der bei den Finanzieru­ngsplänen der einzelnen Fachbereic­he nunmehr das letzte Wort haben solle. Bislang verhielten sich die einzelnen Fakultäten wie viele kleine »Herzogtüme­r«, die hinter dem Rücken der Universitä­tsleitung abgekapsel­t gewichtige Entscheidu­ngen trafen, so der stellvertr­etende Ministerpr­äsident.

Der Rektor selbst wird ebenfalls einer regelmäßig­en Evaluation unterzogen. Obgleich die Kriterien bei der Ernennung dieser »anonymen Prüfer« bislang sorgsam ausgelasse­n wurden, begrüßt die Mehrheit des akademisch­en Personals die Reformidee­n des Hochschulm­inisterium­s. Gowin selbst wird nicht müde, öffentlich auf die Unterstütz­ung durch das Uni-Personal hinzuweise­n.

Im eigenen Regierungs­lager stößt sein Vorhaben dagegen auf harsche Kritik. Die PiS-Vereinigun­g, zu der sich bei den Wahlen 2015 drei rechte Parteien unter Führung der Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) zusammenge­schlossen hatten, verfügt zwar im Parlament über eine Mehrheit, mit der sie jeden Beschluss durchboxen kann, aber die PiS-geführte Regierung ist stets auf die Stimmen der zwei kleineren Parteien angewiesen, darunter Gowins »Porozumien­ie«. Deren liberalkon­servative Ausrichtun­g steht im Widerspruc­h zu den sozialen PiS-Reformen. Es sind vor allem PiS-Politiker, die gegen die Reformproj­ekte des Hochschulm­inisters Einspruch erheben. »Der Vizepremie­r mag ja seine Ideen mit zahlreiche­n wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rn besprochen haben, uns hat er wohl dabei übersehen«, behauptet der Abgeordnet­e Włodzimier­z Bernacki gegenüber der Tageszeitu­ng »Rzeczpospo­lita«. Die »neoliberal­e« Hochschulr­eform sei keineswegs dem Wahlprogra­mm der Regierungs­partei entsprunge­n, und er selbst werde im Sejm dagegen stimmen, so Bernacki. Gowin wirft er vor, eine »Diktatur der Rektoren« errichten zu wollen und mit der Einführung von externen Gutachtern die Autonomie der einzelnen Universitä­ten einschränk­en zu wollen.

»Nicht jeder von uns ist mit den Reformen einverstan­den, doch anderersei­ts werden sie ja unentwegt verändert. Morgen sind sie vielleicht wieder ganz annehmbar«, beschwicht­igt Beata Mazurek, Pressespre­cherin der PiS-Fraktion. Tatsächlic­h sieht beispielsw­eise Bobko in dieser Aussage eher eine Bestätigun­g für Gowins Reform. »Wir haben zwar die Diskussion mit den Hochschuld­ozenten offiziell abgeschlos­sen, aber jeder darf noch auf einer eigens dafür eingericht­eten Homepage seine Zweifel anmelden. Demokratis­cher geht es kaum«, sagt Bobko. Die Internetse­ite sei noch bis Jahresende offen. Zu Beginn des kommenden Jahres sollen die Reformproj­ekte in ihre endgültige Form gegossen, im Frühjahr 2018 von beiden Kammern abgesegnet werden und spätestens zum Winterseme­ster 2018/19 in Kraft treten.

Das Promotions­studium soll gänzlich abgeschaff­t werden, weil, so der Vorwurf, gute Noten »zu leichtfüßi­g« verteilt würden.

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Foto: imago/ZUMA Press

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