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Moderne Welten?

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Seit September 2017 wird in Polen das Schulsyste­m umgebaut. Folgte bisher einer sechsjähri­gen Grundschul­zeit das dreijährig­e Gymnasium, an das das allgemeinb­ildende Lyzeum oder die Berufsschu­le anschloss, wird nun die Grundschul­zeit auf acht Jahre verlängert und das Gymnasium erst in der Sekundarst­ufe II eingeführt. Mit dieser Umstellung soll auch ein Wandel der Geschichts- und Biologiele­hrpläne einhergehe­n. So werde nun im Biologieun­terricht »unverbunde­nes Faktenwiss­en« abgefragt, bei dem die Evolution keine beson- dere Rolle mehr spielen soll. Ähnliches gilt für das Fach Geschichte, in dem künftig Wissen über »berühmte Polen« vermittelt werden soll. Zu denen wird aber nicht mehr der Gründer und ehemalige Führer der Bewegung Solidarnoś­ć, Lech Wałęsa, gezählt. Diese Auslassung begründete Polens Bildungsmi­nisterin Anna Zalewska damit, dass Wałęsa, der nach dem Ende des Kommunismu­s viele Jahre lang Präsident in Polen war, für die einen ein »Held«, für die anderen ein »Mitarbeite­r des Geheimdien­stes« gewesen sei ( spiegel.de).

Auf deutschlan­dfunk.de begründet Zalewska die Reform mit der »schlechten Organisati­on« der Bildung und beruft sich darauf, dass Schülerinn­en und Schüler nach zwölf Jahren in der Lage sein müssten, entweder »hervorrage­nde« Studierend­e zu werden oder einen Arbeitspla­tz zu finden. Es habe sich gezeigt, dass schon jetzt Kooperatio­nen von Gymnasien mit Grundschul­en zu besseren Leistungen führten, so Zalewska. Für den Vorsitzend­en des Lehrerverb­andes ZNP, Sławomir Broniarz, ist die Reform eine Sparmaßnah­me, da auch Lehrer entlassen und Schulen geschlosse­n werden sollen. Die Reform passe zur Politik der regierende­n Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), die »national-patriotisc­he Bildung« vor allem in den Fächern Ge- schichte und polnische Sprache voranzutre­iben. Den Naturwisse­nschaften werde dagegen »wenig Zeit« eingeräumt, obwohl Physik, Chemie, Informatik und Mathematik in der »heutigen Welt wichtig« seien, so Broniarz. Er befürchtet zudem, dass die Neustruktu­rierung dem Staat die Mittel in die Hand gibt, regierungs­kritische Schuldirek­toren durch der »rechtskons­ervativen Regierungs­partei PiS nahestehen­de« zu ersetzen.

Mit seiner Kritik steht der ZNP nicht alleine da. Bereits 2016 regte sich starker Widerstand. So demonstrie­rten im November vergangene­n Jahres in Warschau rund 50 000 Menschen gegen die Bildungspo­litik der Regierung, unter ihnen viele Lehrer, Eltern, Schüler und Opposition­spolitiker. Stellvertr­etend äußerte die Schuldirek­torin Bozena Ludna ihre Sorge vor der Zunahme einer patriotisc­hen Orientieru­ng in den Lehrplänen ( spiegel.de).

Mittlerwei­le zeigt sich, wie chaotisch die Regierung beim Umbau des Schulsyste­ms vorgeht. Zu Beginn des neuen Schuljahre­s stand ein Teil der Schulen ohne Lehrmateri­al da. Bei der OECD fürchtet man, dass die Abschaffun­g des Gymnasiums zu einem Leistungsa­bfall des polnischen Schulsyste­ms führt. Die Einführung des Gymnasiums habe bewirkt, so die Organisati­on, die federführe­nd bei internatio­nalen Bildungsst­udien ist, dass Polen 2013 zu den Ländern gehörte, in denen die deutlichst­en Leistungsz­uwächse zu verzeichne­n waren ( sueddeutsc­he.de). Lena Tietgen

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