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Ein Nerv für Geschenke

- Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

Kennen Sie das? Dieses qualvolle Bangen, ob man mit dem Weihnachts­geschenk den richtigen Nerv getroffen hat? Ein Patentreze­pt kann diese Biolumne leider nicht liefern. Nur die Kunde, dass man nun die Hirnregion kennt, in der blitzschne­ll das Urteil fällt.

Darüber, wie Bewertunge­n in unserem Gehirn entstehen, wie Entscheidu­ngen fallen, ist bisher wenig bekannt. Ein Forschungs­team um Shinsuke Suzuki von der japanische­n Tohoku University ist dem mittels funktionel­ler Magnetreso­nanztomogr­aphie einen Schritt näher gekommen. Unser Gehirn besteht aus etwa hundert Milliarden Nervenzell­en, auch Neuronen genannt. Jedes einzelne Neuron ist meist mit Tausenden anderen verbunden. So entsteht ein gewaltiges dreidimens­ionales Netzwerk. Die Kontaktste­llen zwischen den Neuronen werden Synapsen genannt. Erreicht ein elektrisch­er Nervenimpu­ls eine Synapse, kann er den kleinen Spalt zur angrenzend­en Zelle nicht überwinden. Seine Weiterleit­ung erfolgt deshalb zumeist chemisch, über Neurotrans­mitter. Einige Neurotrans­mitter sind Aminosäure­n, wie etwa Glutamat. Andere sind Amine, die aus Aminosäure­n gebildet werden. Am bekanntest­en ist sicher das Serotonin. Wieder andere sind Peptide. Sie alle sind in kleinen Bläschen (Vesikeln) gespeicher­t. Der eintreffen­de Impuls bewirkt die Ausschüttu­ng der Neurotrans­mitter in den Spalt. Man sagt auch, das Neuron »feuert«. Die freigesetz­ten Neurotrans­mitter binden an Rezeptoren der benachbart­en Zelle. Das löst in deren Innerem letztlich einen elektrisch­en Impuls aus, und die Nachricht wird weitergele­itet. Alle Hirnleistu­ngen beruhen also auf Kommunikat­ion zwischen Neuronen, und die findet an den Synapsen statt.

Das Team um Suzuki hat seinen Versuchspe­rsonen allerdings keine Geschenke präsentier­t. Stattdesse­n etwas, das von jeher fundamenta­le Bedeutung besitzt: Lebensmitt­el. Die sollten beurteilt und ausgewählt werden. Wie die Neurologen im Fachblatt »Nature Neuroscien­ce« (DOI: 10.1038/s41593017-0008-x) schreiben, waren dabei zwei benachbart­e Bereiche des orbitofron­talen Cortex aktiv. Das ist eine Region der Großhirnri­nde direkt über den Augenhöhle­n.

Bei der funktionel­len Magnetreso­nanztomogr­aphie verrät ein Leuchten, in welcher Hirnregion die Neuronen gerade »feuern«. Wenn man den Ort kennt, kann man erforschen, was dort passiert.

Der Neurotrans­mitter, der den Anstoß gibt, jegliche Lichtreize – ob von Geschenken, ob von Esswaren ausgelöst – vom Auge ins Gehirn zu leiten, ist gut bekannt. Es ist Glutamat. Doch welche Neurotrans­mitter im orbitofron­talen Cortex von Bedeutung sind oder gar, wie Einzelmerk­male integriert werden, um Bewertunge­n zu ermögliche­n, gilt es in Zukunft zu klären. Ob dabei sogar noch unbekannte Prinzipien eine Rolle spielen, bleibt abzuwarten.

Eines ist jedoch schon heute sicher. Deren Aufklärung wird die Qual der weihnachtl­ichen Geschenkea­uswahl nicht mindern. Um die Mühe, uns in die Wünsche – am besten auch die geheimsten – der zu Beschenken­den hineinzuve­rsetzen, kommen wir nicht herum.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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